„Wenn der 5.5er an ein Propellerflugzeug erinnert, dann ist der Toucan ganz klar ein Düsenjäger.“ Dieser abenteuerliche Vergleich stammt von niemand geringerem als dem erfolgreichen Segler Philippe Durr. Er weiss, wovon er spricht, schliesslich hat der damals 21-Jährige die Geburtsstunde des Toucan hautnah miterlebt. Er war nicht nur am Bau des ersten Toucans aus formverleimtem Holz in der Luthi-Werft beteiligt, sondern auch Mitglied der Crew, die 1971 völlig überraschend die Bol d’Or gewann.
Doch wie kommt Durr auf den Vergleich mit einem Düsenflugzeug? Um ihn zu verstehen, muss man in die Zeit zurückgehen, in der die internatio-nalen Meterklassen – die 5.5mR, 6mR und 8mR – die Genferseeregatten dominierten und es weder Düsenjäger noch Mehrrumpfboote gab. Zwar diente den Designern und R-Klasse-Spezialisten Pierre Noverraz und André Fragnière der 5.5er als Vorbild, aber sie wollten den Toucan von den Fesseln der Bauvorschriften befreien und konzipierten ein Boot, das sich durch drei besondere Merkmale auszeichnet: eine grosse Kielbombe (65% der Verdrängung), ein am Heck angehängtes Ruderblatt und eine lange Wasserlinie.
Ein Toucan an The Transat

Philippe Durr und Alain Gliksman, zwei bekennende Toucan-Liebhaber. © DR
Das Ergebnis kann sich sehen lassen: Auch heute noch hat der Einrumpf-Flitzer nur wenige Konkurrenten, die es mit ihm aufnehmen können. Bereits dem französischen Segler Alain Gliksman war die moderne Bauweise des Kielbootes nicht entgangen. Er überquerte den Atlantik bei der Einhandregatta The Transat von 1971 als einziger Segler auf einem Toucan. In seinem Buch „Les Années Vagues“* erzählt er von seinem ersten Besuch in der Luthi-Werft. Seine Aufmerksamkeit erregte besonders der Kiel, der aussah „wie der Flügel eines Überschallflugzeuges, an dessen Ende sich ein bleiernes Torpedo mit einem ausgefeilten Profil befand“. Über den Rumpf schrieb er nicht weniger erstaunt: „Ich habe bestimmt eine Stunde damit zugebracht, den Rumpf aus jedem Blickwinkel zu betrachten. Er erinnerte eher an ein Wurfgeschoss als an eine Hochseejacht.“
Egal, ob alt oder jung, aus Holz oder Polyester, die Toucan lernen die Konkurrenz noch immer das Fürchten. © Yves Ryncki
Und trotzdem spielten der Toucan mit Kabine und sein Fahrer an der englischen Regatta mehr als nur eine Statistenrolle. Alain Gliksman wurde mit acht Tagen Rückstand auf den Sieger hinter lauter Trimaranen und grossen Einrümpfern Achter. Gewonnen hatte Alain Colas auf seinem Trimaran Pen Duick IV in 20 Tagen und 12 Stunden. Gliksman wurde immerhin noch mit dem Pokal der Boote unter 35 Fuss belohnt. „Ich hätte auch den der Boote unter 55 Fuss gewonnen, wenn es ihn gegeben hätte“, meinte er schmunzelnd.
Der Toucan ist nämlich nicht nur schnell, sondern trotz eines so gut wie nicht existierenden Freibords auch hochseetauglich. Das hat Alain Gliksmans Abenteuer eindrücklich bewiesen. Komfort bot er allerdings keinen. „Ich habe es dem Bergsteiger Walter Bonatti nachgemacht und alles auf die Karte der Einfachheit und der Kondition gesetzt. Zudem habe ich auf einige Tricks wie auf drei Motorradhelme mit Sichtscheibe, mit denen ich den Wassermassen die Stirn bieten konnte, zurückgegriffen!“
Ohne die Unterstützung der Luthi-Werft und des Mastenherstellers Albert Coeudevez aus Yverdon hätte er die Atlantiküberquerung aber unmöglich bewerkstelligen können, betont Alain Gliksman. Er hatte damals kein Geld und war auf ihre Hilfe und die seiner Freunde angewiesen. Nach der Regatta gab er das Boot an die Luthi-Werft zurück, worauf es von Edouard-Henri Fischer für seine Söhne Pierre und Marc erworben wurde. Die liebevoll gepflegte Transat liegt in Prangins und segelt noch immer. Pierre Fischer würde sich für keinen Preis der Welt von ihr trennen.
Ein Boot von und für Passionierte
Der Erfolg des Toucan ist drei Männern zu verdanken: dem ersten Eigner und passionierten Segler Marcel Stern, dem Segelmacher André Fragnière und Ingenieur Pierre Noverraz, Neffe des berühmten Louis Noverraz. Auch der Meteorologe, Schiffsdesigner und erfahrene Steuermann Bernard Dunand wurde angefragt, ob er mitmachen wolle, doch der hatte im Februar 1971 Besseres vor, nämlich Skifahren! Ausserdem musste René Luthi als Fachmann für formverleimte Holzkonstruktionen eingebunden werden. Insgesamt gingen mehr als 30 Toucans in seiner Werft
vom Stapel.
Die Leistungen des Bootes überzeugten dermassen, dass es keine Anlaufschwierigkeiten gab. Fünf bis sechs Toucans pro Jahr wurden ausgeliefert, einige mit Kabine. Seinen Ruf verdiente sich der schmale Einrümpfer mit seiner Teilnahme an The Transat, vor allem aber mit seiner während acht Jahren ungebrochenen Siegesserie an der Bol d’Or (1971 bis 1978).
Jean Psarofaghis stürzte sich 1976 ins Abenteuer, „mit Erfolg“, wie er sagt, denn er hatte die Chance, mit Stern, Firmenich und Bigar die besten Steuermänner an seiner Seite zu haben. „Die Toucans wurden damals noch aus Holz gefertigt. Der letzte trug die Nummer 55. Parallel dazu bot ich schon sehr bald Polyester- und später auch Epoxymodelle an. Die Herausforderung bestand darin, aus Fasern ein genauso leichtes Boot zu fertigen wie aus Holz. Das ist uns dank unserer empirischen Vorgehensweise auch gelungen. Erst 2000 wurden im Zuge eines neuen Deckplans genaue Grössenberechnungen vorgenommen.“
Wunderbarer Kampf an der Bol d’Or. Die Gaffelsegel haben stark dazu beigetragen, das Image des Toucan zu modernisieren. © Yves Ryncki
Viele Werften aus der Schweiz (Lanauer, Hefti, Corsier-Port, Liechti, Décision) und aus dem Ausland (die Rümpfe wurden eine Zeit lang von der deutschen Werft Haefele hergestellt) machten sich den Markt der Toucan streitig, doch nur Luthi und Psaros konnten sich dauerhaft durchsetzen. Insgesamt wurden 86 Einheiten gebaut. Sie segelten vor allem auf dem Genfersee, waren aber auch auf den anderen Schweizer Seen und sogar im Ausland wie beispielsweise auf dem Gardasee und dem Chiemsee anzutreffen. Berücksichtigt man die Qualitäten und den fairen Preis des Racers, der sich als Einmannboot genauso leicht steuern lässt wie im Team, bei Leichtwind extrem schnell ist und bei Starkwind kein Erbarmen kennt, dann ist diese Bilanz allerdings alles andere als zufriedenstellend.
Vollblüter mit Tradition
Für den eigentlich doch eher mässigen Erfolg gibt es eine plausible Erklärung: Der Toucan ist ein Boot von Passionierten für Passionierte und die Schweizer Werften sind weder gross noch zahlungskräftig genug für eine Serienproduktion im grossen Stil. Jean Psarofaghis erinnert sich an eine Bestellung aus den USA. Sie liess Hoffnungen auf einen neuen Markt aufkommen. „Das Boot wurde über den grossen Teich geschickt, aber nie bezahlt“, erinnert sich Bootsbauer Luc Munier halb amüsiert, halb gekränkt. Der Präsident der Toucan-Klassenvereinigung Asprotoucan erinnert sich auch an das Vorhaben einer nordfranzösischen Werft. Sie wollte Mitte der Achtzigerjahre 30 Toucans bauen. Das Projekt verlief aber schliesslich
im Sand.
Da es dem Toucan an einem direkten Nachfahren fehlt, ist sein Schicksal als „Traditionsboot“ laut Luc Munier besiegelt. Nicht selten segeln die heutigen Eigner seit 25, 30 oder sogar mehr Jahren auf ihrem Vollblüter. Vielleicht kommt ja aber doch bald ein frischer Wind aus der Deutschschweiz? Jean Psarofaghis hält das nicht für ausgeschlossen und verweist auf den unglaublichen Erfolg, den der Lacustre gerade wieder auf den Deutschschweizer Seen erlebt.
*Les Années Vagues, Alain Gliksman, Arthaud, 1986, 378 Seiten