Anfang Frühling, während der imposante F50-Katamaran in Neuseeland fertiggestellt und zum Saisonauftakt des SailGP 2022/23 auf die Bermudas überführt wurde, bereitete sich das frisch zusammengesetzte Segelteam mit vollem Einsatz auf den grossen Tag vor.

Text: Oliver Dufour

Das allererste Schweizer SailGP-Team strotzt vor Motivation. Seit im September 2021 das für den Schweizer Segelsport monumentale Projekt angekündigt wurde, können es die Crewmitglieder und das Betreuungsteam kaum erwarten, endlich loszulegen. Welcher ambitionierte Segler träumt nicht davon, mit Cracks wie Ben Ainslie, Peter Burling, Jimmy Spithill, Tom Slingsby oder Nathan Outteridge auf Augenhöhe zu regattieren?

«Ich könnte mir nichts Schöneres vorstellen, als am SailGP mitzumischen», freute sich Sébastien Schneiter vor dem Auftakt zur dritten Saison der selbsternannten «grössten Segelliga der Welt». Am 14. und 15. Mai ist es endlich soweit, dann wird der 26-jährige Genfer auf den Bermudas zu seiner ersten Regatta auf dem gigantischen F50 starten. Er wurde für drei Jahre verpflichtet und wird der jüngste Steuermann an diesem hochkarätig besetzten Wettkampf sein.

SUI SailGP Season 3 © Tomàs Moyà

Vorausgegangen ist eine Unmenge Arbeit, die viele Beteiligte an ihre Grenzen brachte. «Wir sind uns nach und nach bewusst geworden, wie viel Aufwand uns das Projekt abverlangt. So etwas habe ich vorher noch nie erlebt», staunte Sébastien Schneiter. Viel Erfahrung konnte der Sieger der Bol d’Or Mirabaud 2015 auf dem F50 bisher nicht sammeln. Zwei Tage im vergangenen Oktober in Cadix mussten reichen, um sich mit dem Katamaran vertraut zu machen. «Das Boot ist untypisch, unglaublich kraftvoll und reagiert dennoch sehr fein», urteilte er. «Man muss sehr koordiniert sein, denn die Regattabahnen sind im Verhältnis zur Grösse der fliegenden Kats extrem klein und die Boote segeln auf engem Raum.»

Hektische Tage am Simulator

Um die kurze Zeit bis zum ersten offiziellen Training auf den Bermudas optimal zu nutzen, segelte eine wechselnde Crew an der Seite des Steuermanns auf den Foilerkatamaranen der GC32-Klasse. Daneben wurde am beeindruckenden Simulator von Artemis Technologies in Belfast geübt. Tanguy Cariou, CEO des Switzerland SailGP Teams, bezeichnet die Erfahrung als höchst aufschlussreich: «Mit dem Simulator konnten wir die Eigenschaften des F50 realitätsnah erleben und die Koordination an Bord verbessern. Er besteht aus einem Cockpit-Querschnitt auf Hydraulikzylindern und einem Grossbildschirm und hat den grossen Vorteil, dass man die Wind- und Wetterbedingungen wählen und die Segelphasen beliebig oft wiederholen kann. Die Arbeit am Simulator ist sehr intensiv, denn man ist ständig in Bewegung und die Sinne ermüden durch die vielen Reize.»

Die Strapazen dürften sich aber auszahlen. Das Schweizer Team hofft, damit den Abstand zu den Nationalteams aus Australien, Frankreich, Gross-britannien, den USA und Japan, die bereits zwei Saisons auf den Maxi-Kats bestritten haben, zu verringern. China hat sich nach der ersten Saison zurückgezogen und wurde zunächst durch Dänemark, dann durch Spanien und schliesslich durch Neuseeland ersetzt. Die Schweiz wurde dieses Jahr zusammen mit Kanada neu aufgenommen. Als Newcomer darf sie mehrere ausländische Segler aufstellen, während die anderen Teams nur ein Mitglied aus einem anderen Land ins Boot holen dürfen.

Ende Februar gab Switzerland SailGP Team die Verpflichtung von zwei Olympiaseglern bekannt: dem Briten Stuart Bithell als Flügeltrimmer und dem Neuseeländer Jason Saunders als Flight Controller. Sébastien hatte mit den beiden gerade zuvor den Bacardi 69F Cup in Miami gewonnen. Sie bringen bereits Erfahrung in der F50-Klasse mit und sollen die Schweizer mit ihrem Know-how tatkräftig unterstützen. Der ursprüngliche Plan, möglichst viele Schweizer Topsegler für das Projekt zu gewinnen, kam ins Stocken, nachdem Bertarelli im Dezember ankündigt hatte, dass er mit Alinghi Red Bull Racing erneut Jagd auf den America’s Cup macht.

Verstärkung für den harten Kern

«Wir haben zusammen mit dem AC-Challenger nach Synergien gesucht, aber die SailGP-Regatten mit ihren sehr kurzen Läufen passen nicht in seine sportliche Vorbereitung», erklärt Tanguy Cariou. «Deshalb konnten wir bisher auch keine Brücke zwischen unseren beiden Projekten bauen, wir werden aber gegenseitig genau mitverfolgen, was die anderen machen.» Mit ihrer Expertise werden Bithell und Saunders zudem eine wichtige Stütze sein, um Schweizer auf dem F50 auszubilden, die dann ihren Platz einnehmen können, wenn das Team nicht mehr als Rookie eingestuft wird und nur noch einen Ausländer an Bord haben darf.

Die Rekrutierung der Schweizer Crew wurde gerade abgeschlossen. Richard Mason aus England und die Westschweizer Eliot Merceron und Julien Rolaz stossen als Grinder zum Team. «Wir setzen stark auf Richards Erfahrung, der schon mit Ben Ainslie gesegelt ist. Für uns ist er ein Glückstreffer», verrät Sébastien Schneiter. «Er wird Eliot und Julien eine grosse Hilfe sein, denn sie müssen noch viel lernen, scheinen den GC32 aber gut im Griff zu haben. Die Kondition war bei der Wahl wichtiger als taktische Kenntnisse.» Nicolas Rolaz’ Bruder Julien ist noch nie im Profizirkus gesegelt, wird dafür aber seine körperliche Fitness aus der Rugby-Nationalliga und dem Crossfit mitbringen.

SailGP hat sich zudem dem Frauenförderprogramm Women’s Pathway angeschlossen und schreibt daher unter der Saison mindestens drei Seglerinnen pro Team vor. Eine davon muss stets Teil der sechsköpfigen Segelcrew sein. Beim Schweizer Team sind Laurane Mettraux, Maud Jayet und Maja Siegenthaler im Gespräch, eventuell auch Elodie-Jane Mettraux und Nathalie Brugger. Sie bringen zwar noch nicht viel Erfahrung auf fliegenden Mehrrümpfern mit, werden dem Team aber bestimmt eine wichtige taktische Stütze sein.

SailGP SUI, Season 3 © Tomàs Moyà

Wenn Sie diese Zeilen lesen, ist der brandneue Schweizer F50 in der neuseeländischen Werft vom Stapel gegangen und auf dem Weg zu den Bermudas, wo er im Hinblick auf die 20 zusätzlichen Trainingstage, von denen die Newcomer profitieren, zusammengebaut wird. «Wir müssen zwar noch viel lernen, wollen aber dennoch so schnell wie möglich mithalten können», sagt der Steuermann. Er und sein Team visieren in den drei kommenden Saisons klar Podestplätze und Siege an.