Huahine fristet etwas abseits der weltberühmten Insel Bora-Bora ein Schattendasein. Da ihr deutlich weniger Medienaufmerksamkeit zuteilwird, konnte sie ihre Ursprünglichkeit bewahren. Die unauffällige, aber nicht minder attraktive Insel bietet eine reizvolle Alternative zu den traditionellen Törnzielen der Inseln unter dem Wind.

Text: Erwann Lefilleul Fotos: Bertrand Duquenne

Rasdu, unsere Reisebegleiterin, scheint geradezu zwischen Himmel und Wasser zu schweben. Vor dem blauen Hintergrund wirkt sie, als würde sie den Gesetzen der Schwerkraft trotzen. Einzig eine Ankerkette verbindet sie lose mit der Realität. Das Wasser ist glasklar und so ruhig, dass die Oberfläche unsichtbar wird. Mit blossem Aug lässt sich seine Tiefe unmöglich abschätzen. Dass mindestens eine Handbreit Wasser unter dem Kiel ist, zeigen lediglich ein paar träge unter den Auslegern des Katamarans durchschwimmende Schwarzspitzenhaie.

Nach dem Start in der Charterbasis von Raiatea geht es auf direktem Weg zum Motu Mahaea östlich von Tahaa. Das Eiland ist ein Muss, denn es vereint alles, was Törns auf den Inseln unter dem Wind weltweit so berühmt macht: ein riesiges Riffgebiet mit einer Wassertiefe von weniger als drei Metern, Sandgründe, die in der prallen Sonne blendend weiss leuchten und mit einigen fischreichen Korallenbänken bestückt sind, psychedelische Blau- und Grüntöne und mittendrin ein kleines Motu (Sandinsel) auf der von langen, schlanken Kokospalmen beschatteten Riffkrone. Wie betäubt vom Streicheln der erfrischenden Brise und dem beharrlichen Rauschen der Brandung vergeht die Zeit hier nur langsam.

Für ein einwöchiges, gemütliches Charterprogramm ist die Umrundung von Tahaa in Kombination mit einer Erkundung der weltweit als «Perle des Pazifiks» besungenen Insel Bora- Bora eine beliebte Route. Beide Lagunen beschwören die gleichen Emotionen herauf wie das Motu Mahatea, bieten aber zusätzlich noch Korallengärten, Mantarochen und gefleckte Adlerrochen.

IN DER SCHMALEN LAGUNE IST DIE FASZINIEREND ÜBERBORDENDE NATUR NIE WEIT. MAN BEFINDET SICH EIGENTLICH
AN JEDEN ANKERPLATZ MITTENDRIN.

Kurs auf Huahine, die Diskrete

Statt die sakrosankte Pilgerfahrt zu absolvieren, die ein Grossteil der Crew zugegebenermassen bereits hinter sich hat, kehren wir ihr den Rücken und nehmen Kurs nach Osten Richtung Huahine, die Authentische. Uns reizt das andere, deutlich weniger touristische Polynesien, fern der Bungalows auf Pfählen, der Honeymoon-Suiten und der betreuten Wassersportaktivitäten.

Mit Ausnahme der Verbindung Raiteea-Tahaa – die beiden Schwesterninseln teilen sich eine schiffbare Lagune – gelangt man auf den Inseln unter dem Wind immer nach dem gleichen Muster von A nach B: Man sucht im Riff nach einer Öffnung, durchquert sie und verlässt das schützende Innere, um sich durch die langen Wellen des offenen Meers bis zum Ziel vorzukämpfen. Die Passe Toahotu beim Motu Mahaea weist uns den Weg zum Pazifik. Kaum haben wir die Fahrrinne hinter uns gebracht, empfängt uns der Ozean mit zwei bis drei Meter hohen Wellen aus Südost. Rasdu, die solide und schwere Bali 45 von Dream Yacht Charter, lässt den Angriff stoisch über sich ergehen und nimmt vor dem Wind unbeirrt die 23 Seemeilen nach Huahine unter den Bug.

OBEN AUF DEM MONT TEAPAA ZEIGT SICH DIE FARBENPRACHT DER GROSSARTIGEN MEERESLANDSCHAFT IN IHRER GANZEN SCHÖNHEIT.

Auch die anfangs etwas durchgeschüttelte Crew gewöhnt sich schnell an die holprige Fahrt und findet plötzlich sogar Gefallen daran. Unsere kleine Gesellschaft ist eine fröhliche Mischung aus Menschen unterschiedlichsten Schlags. Die beiden begeisterten Segler Bertrand und Erwann vom französischen Fest- land haben Polynesien schon mehrmals bereist. Laura, die nach Raiatea ausgewandert und mit ihrer langjährigen Freundin Violetta dabei ist, hat die Region lieben gelernt und immer einen Geheimtipp bereit. Und Antoine, der gerade erst mit dem Segeln angefangen hat und Polynesien nicht kennt, entdeckt staunend den Garten Eden.

Es geht kaum Wind, der bleigraue Himmel liegt schwer und drohend über dem Meer. Aus den Wolken ergiessen sich immer wieder Platzregen. In nur 48 Stunden hat der turbulente Süd- ostwind Maraamu das schöne Wetter vertrieben. Polynesien ist nicht immer nur sonnig und warm. Hin und wieder werden die Reisenden an

sein tropisch-feuchtes Klima erinnert. Ihm verdankt es schliesslich das üppige Grün der ungebändigten Natur. Es bleibt uns nichts anderes übrig, als uns mit der Situation abzufinden. Trotzdem lassen wir es uns nicht nehmen, die Kraft der Tikis zu beschwören. In den Steinfiguren haust der Geist der Götter und Vorfahren. Vielleicht können wir sie ja gütig stimmen.

AM SPÄTEN NACHMITTAG FAND SICH DIE CREW JEWEILS VOLLZÄHLIG AN DECK EIN, UM GEMEINSAM DEN SONNENUNTERGANG ZU GENIESSEN

Schlafende Schönheit

Je mehr Seemeilen wir dem Wind abtrotzen, desto schärfer zeichnet sich der Umriss der «Fraueninsel» vom Horizont ab. Ihre Kurven aus üppig grünen Bergen und Hügeln wirken betörend. Die Kammlinie des Berges Tavaiura erinnert an die Silhouette einer auf dem Rücken liegenden schwangeren Frau. Einfach zu erkennen ist sie allerdings nicht. Dennoch hat ihr Huahine, das wörtlich übersetzt «Geschlecht der Frau» bedeutet, ihren Namen zu verdanken. Eine andere Deutung führt ihn darauf zurück, dass in der Lokalpolitik nur Königinnen das Sagen hatten.

Egal, was stimmt, in Huahine muss man sich einfach verlieben. Sie macht es ihren Verehrern aber ganz schön schwer. Um zu ihr vorzudringen, muss man im brodelnden Wasser eine Durchfahrt finden. Gar nicht so einfach, denn der gewaltige Aufprall der Wellen auf das Riff lässt die Gischt meterhoch spritzen. Es scheint kein Durchkommen zu geben. Da bleibt nur eins: Wir müssen uns an die GPS-Karten und die Markierungen (rot an Backbord, grün an Steuerbord in der Einfahrtsrichtung) halten. Trotz dieser wertvollen Hilfen hat die Fahrt durch die mit voller Kraft heranrollenden Tubes beidseits der Passes Avamoa und Avapei etwas Einschüchterndes.

DAS KORALLENRIFF: SCHARF, BRUTAL UND DENNOCH VERLOCKEND.
OHNE KORALLENRIFF GÄBE ES KEINE LAGUNE, GESCHWEIGE DENN EIN SO RUHIGES SEGELREVIER

Plötzlich herrscht Stille. Kein Tosen, Brausen und Spritzen mehr. Wie von Zauberhand wurde die tobende Natur ausgeschlossen. Vor uns liegt ruhig ein grosses Revier, das wir in den nächsten Tagen gut geschützt er- kunden können. Huahine besteht aus den beiden Vulkaninseln Huahine Nui und Huahine Iti. Sie sollen von der Piroge des Gottes Hiro gespalten worden sein und liegen so dicht beieinander, dass man über eine kleine Brücke von der einen zur anderen gelangt. Sie überspannt das, was die stete Schmirgelarbeit der Erosion in zig Jahren getrennt hat. Die mal wilde, mal von der Landwirtschaft gebändigte, aber stets üppige Vegetation gedeiht überall. Nur ein paar kleine Dörfer säumen die Küste. Dort finden sich einige Unterkünfte abseits des Massentourismus.

Das Binnengewässer ist viel kleiner als in Rai- atea/Tahaa und Bora-Bora und nur teilweise schiffbar. Die meisten Liegeplätze befinden sich auf der Westseite entlang einer nur gerade 500 Meter schmalen Lagune zwischen Küste und Riffplateau. In der im Grossen und Ganzen klaren Fahrrinne verbergen sich dennoch ein paar vereinzelte Gefahren, vor allem auf Höhe der kleinen Bucht Haapu, wo man sich unbedingt an den S-förmigen Kurs halten sollte. Auf der Ostseite sind eigentlich nur nahe der Passe Farerea ein paar wenige mit dem Segelboot zugängliche Stellen zu finden. Die von Charterbooten nur selten genutzte Fahrrinne erreicht man, indem man die Insel auf dem offenen Meer gegen den dominierenden Wind umrundet. Mit dem Dinghi oder einem Kajak lässt sich praktisch die gesamte Lagune befahren.

DAS BERÜHMTE POLYNESISCHE VAA. DIE EINHEIMISCHEN PADDELN DAMIT GERNE IN DER HECKWELLE DER VORBEIZIEHENDEN JACHTEN

Die Authentische

Am nächsten Morgen wachen wir in der Bucht Avea im Süden von Huahine auf. Dort haben wir am Vorabend auf einem grossen Sandplateau geankert. Der ohrenbetäubende Lärm tausender hellwacher Vögel, die in den nahegelegenen Baumwipfeln den Morgen einsingen, und das durchdringende Krähen einiger freilaufender Hähne hat uns aus dem Schlaf gerissen. Der Hupe, eine angenehm erfrischende Morgenbrise, weht von den Bergen herab und verströmt den Duft von nasser Erde und wohlriechenden Blumen, allen voran Tiare Tahiti.

In der schmalen Lagune ist die faszinierend überbordende Natur nie weit. Man befindet sich eigentlich an jedem Ankerplatz mittendrin. Besonders verlockend ist ein Landgang beim Mont Teapaa mit seinem langen Strand. Er wird von riesigen, uralten Bäumen gesäumt und von Philippe, einem ehemaligen, redseligen Legionär, bewacht. Auf den Gesellschafts- inseln trifft man sie oft an, jene selbsternannten Hüter besonderer Orte, in denen die spirituelle Kraft Polynesiens, die sogenannte Mana, steckt. Meistens sind sie sehr gesprächig und ihre Erzählungen hochspannend. Sprechen Sie sie an, Sie werden es nicht bereuen! Auf den Mont Teapaa führt eine schöne Wanderung zu einem Aussichtspunkt mit Blick auf die Lagune. Am Ende dieser Wanderung durch den warmen, feuchten Wald sollte man es sich nicht entgehen lassen, sich inmitten der fischreichen Korallengruppen des nahegelegenen Motu Vaiorea abzukühlen.

Huahine ist nicht nur für seine schöne Natur an Land und im Wasser bekannt, sondern auch für die gute Laune und die Nonchalance seiner Einwohnerinnen und Einwohner, deren Lebensstil an das alte Polynesien erinnert. Man muss gar nicht weit ins Landesinnere reisen, um sich davon zu überzeugen. Schon an der Mole des Hauptorts Fare spürt man diese dörflich anmutende Ungezwungenheit.

An diesem Samstagmorgen ist in der Hauptstrasse viel los. Es sind aber keine Touristen, die Fare so lebendig machen, sondern Einheimische. An Ständen, in Buden und manchmal auch nur auf einem kleinen Klapptisch werden landwirtschaftliche Erzeugnisse aus der Region angeboten. Man stöbert, plaudert und macht Geschäfte. Eine Gruppe befreundeter Musiker spielt zum Vergnügen, während im Hafen lebhaft diskutiert wird. Man wartet auf die Fähre, die in Kürze die bestellten Waren entlädt. Die Frauen haben sich besonders schön gemacht. Heute ist nämlich Wahltag. Sie tragen wallende Blumenkleider mit zarter Spitze und grosse Blumenkränze auf ihrem schwarzen Haar. Hier grüsst man einander noch, sei es auch nur mit einem Lächeln. Überwinden Sie Ihre Scheu und machen Sie den ersten Schritt. Ein ehrliches La Orana (guten Tag) wirkt Wunder und man hat das Gefühl, dazuzugehören.

Ein Törn in Huahine ist wunderbar entschleunigend. Auf den wenig besuchten Ankerplätzen und bei den Landgängen übernimmt man unbemerkt den ortstypischen Lebensrhythmus Mit neu gefundener Gelassenheit lässt sich das geheimnisvolle, wilde und authentische Paradies in vollen Zügen geniessen.