Durch die Corona-Pandemie stehen Sommertouren ins nahe In- und Ausland wieder hoch im Kurs. Auf diesen Reisen gibt es viel zu entdecken.

Text: Bernard Pichon

Die Renaissance der Grand Tour

Vor Jahrhunderten bildete sich in Europa eine neue Art des Reisens heraus. Ziel war es, die kulturelle und intellektuelle Entwicklung der Jugend zu fördern.

Die Idee einer solchen «Grand Tour» entstand im 16. Jahrhundert in England und traf im 17. und insbesondere im 18. Jahrhundert auf so viel Begeisterung, dass sie für junge Männer aus dem Adel und Grossbürgertum ein Muss wurde. Das Ziel? Die wichtigsten Städte Frankreichs, Italiens, Deutschlands und der Schweiz zu bereisen, um die Kulturschätze und politischen Systeme dieser Länder kennenzulernen, Beziehungen – auch romantischer Natur – zu knüpfen und die eigene mondäne Bildung abzurunden. In der Schweiz führt die «Grand Tour of Switzerland» heute in neun Etappen über insgesamt 1643 Kilometer durch das ganze Land. Auf diesem Road Trip gibt es 45 Tourismus-Highlights, 12 UNESCO-Welterbestätten, 2 Biosphärenreservate und 22 Seen zu entdecken.

Die Natur in all ihren Formen

Auf Naturwunder trifft man in der Schweiz nicht nur entlang der Grand Tour auf Schritt und Tritt. Hier vier Vorschläge, die den Nationalpark und die botanischen Gärten einmal aussparen:

1 Aubonne (Waadt)

Das in der Schweiz einzigartige nationale Arboretum ist ein riesiger Park mit 3000 verschiedenen Baum- und Straucharten aus allen Kontinenten. Durch das Arboretum fliesst die Aubonne, ein am Jurafuss südöstlich von Bière entspringender Wildbach. Der Park ist ein herrliches Ausflugsziel für Spaziergänger, und von Botanikern sowie Förstern wird er als Labor zur Beobachtung und Gegenüberstellung heimischer und ausländischer Pflanzen genutzt.

2 Derborence (Wallis)

Der vor allem durch den berühmten Roman von C.-F. Ramuz bekannt gewordene, durch seine Biodiversität bestechende Talkessel von Derborence lädt zu vielen aussergewöhnlichen Wanderungen ein. Die meisten Wandertouren sind unschwierig und bieten ein einmaliges Erlebnis in dem durch die Trümmer des Felssturzes von 1714 modellierten Tal.

3 La Sarraz (Waadt)

Insider hätten die Tine de Conflens, diesen Wasserfall von fast amazonischer Schönheit inmitten des Waadtlands, sicher gerne geheim gehalten. Am Zusammenfluss von Veyron und Venoge bricht er spektakulär aus dem Felsen hervor. Der Spaziergang dahin startet im Zentrum von Cossonay. Dort läuft man in Richtung La Sarraz durch Feld und Wald, durchquert das Dörfchen Dizy und erreicht schliesslich diesen wildromantischen Ort.

4 Maggiatal (Tessin)

Das Tessin ist ein Paradies für badebegeisterte Wanderer, die Naturschauspiele wie den 60 Meter hohen Wasserfall Cascata del Salto lieben. Der atemberaubende Ort beherbergt ein grosses Naturschwimmbad, das von überhängenden Felsen gesäumt wird und dadurch wie eine Grotte wirkt. Die Hauptrolle spielt hier der Fluss Maggia, der die Wanderer auf den zahlreichen Wegen im gleichnamigen Tal erfrischt. Flussaufwärts befinden sich einige ruhige, in die intakte Natur eingebettete Becken, die nur über urige Pfade erreichbar sind. Bei Ponte Brolla durchstösst die Maggia eine grosse Moräne, gräbt sich tief in den harten Gneis ein und hinterlässt im Fels Höhlen, Spalten und Löcher. Am Ufer bilden Sand und Geröll perfekte Ruheplätze für erschöpfte Wanderer. Im unteren Maggiatal beruhigt sich der Wasserlauf schliesslich und lädt dazu ein, sich auf kleinen, feinsandigen Stränden aufzuwärmen.

Stelldichein mit der Kunst

Wenn Skulpturen und Installationen die Gärten erobern, florieren die Freiluftgalerien.

5 Aigle, Leysin, Col des Mosses

2010 ist durch die Fusion dreier Tourismusbüros ein Verein entstanden, der Ausflugsgästen und anderen Touristen im Rahmen des Konzepts «Art Nature» ein originelles Kunsterlebnis bietet. Unter freiem Himmel lassen sich in ländlicher Umgebung vergängliche Kunstwerke von renommierten, aufstrebenden und lokalen Künstlern aus einer anderen Perspektive bewundern.

6 Zug

Gut möglich, dass Sie in Zug an einem seiner Kunstwerke vorbeilaufen, ohne es zu bemerken. Die Rede ist von den Installationen des japanischen Künstlers Tadashi Kawamata, der zwischen 1996 und 1999 mit dem Kunsthaus Zug den Stationenweg «Work in Progress in Zug» geschaffen hat. Dieser ist mittlerweile integraler Bestandteil der Zuger Infrastruktur. Der Stationenweg führt an fünf hölzernen Installationen vorbei zum Kunsthaus.

7 Dietikon (Zürich)

Sein Wirken in und um Dietikon hat Bruno Weber berühmt gemacht. Bis zu seinem Tod widmete sich der Künstler unermüdlich seinem Gesamtkunstwerk: einem Garten voller skurriler Bauten und Wesen, der Gross und Klein zum Besuch einlädt. Mit seiner Entschlossenheit, bei der Gestaltung des Parks der Fantasie freien Lauf zu lassen, erinnert er an den französischen Landpostboten Cheval und dessen eigenwilligen «Palais idéal». In Webers Weinrebenpark warten Pyramiden, riesige Säulengänge und Wasserbecken darauf, entdeckt zu werden.

8 Graubünden

In Graubünden herrscht künstlerische Aufbruchstimmung, seitdem die polnische Kunstsammlerin Grazyna Kulczyk ihr Museum für zeitgenössische Kunst und Hauser & Wirth in St. Moritz eine Galerie eröffnet haben. In dieser Atmosphäre ziehen auch andere Installationen, die in letzter Zeit im ganzen Engadin entstanden sind, die Aufmerksamkeit der Besucher auf sich, wie etwa 2020 die «Kunstwege» in Pontresina. Die Ausstellung von Originalwerken entlang den von Jugendstilhäusern gesäumten Strassen war so erfolgreich, dass weitere Ausgaben wahrscheinlich sind. Ein weiteres gutes Argument für eine Region, die Familien auch sonst viel bietet – darunter ein Velowegenetz von 400 km Länge und 580 Wanderwege, von denen einige zur grössten Steinbockkolonie der Alpen führen.