Text: Mélanie Prénat Potez 

Fotos: Hervé Potez

Von Fernweh gepackt sind wir vor zwei Jahren zu zweit aufgebrochen, um an ständig wechselnden Orten immer neue Erfahrungen zu machen. Unser Zuhause in dieser Zeit: die Allures 45 Myriades. Von Hyères sind wir der spanischen und marokkanischen Küste entlang zu den Kapverden gesegelt, haben den Atlantik in Richtung Brasilien mit Zwischenstopps in Bahia, Rio und Ilha Grande überquert, Uruguay erkundet, das Ufer Argentiniens hinter uns gelassen und sind im Januar dieses Jahres in Ushuaia gelandet. Zwischen Mar Del Plata und Feuerland wurden wir mit einigen magischen Orten wie der Peninsula Valdez, Caleta di Horno, den Isla Leones oder Puerto Aguirre verwöhnt: allein zwischen Himmel und Wasser mitten im Nirgendwo, umgeben von Wüste, karger Natur und einer üppigen Meeresfauna.

Die Route in den Süden Argentiniens zwingt uns, vorausschauend zu handeln und unsere Pläne dann doch immer wieder anzupassen, weil das Meer und die Winde hier unglaublich heftig sein können. Wir studieren regelmässig die Wettermodelle und diskutieren mit den Seeleuten vor Ort. Vor allem aber warten wir zwischen zwei Tiefs geduldig auf ein gutes Wetterfenster, um bestenfalls zwei, drei Tage am Stück segeln zu können. Dabei sind wir uns nicht zu schade, wenn nötig eine ganze Woche in einem gottverlassenen Nest auszuharren. Denn etwas haben wir während dieser Etappe gelernt: Vieles löst sich von selbst, wenn man sich nur genug Zeit lässt. Schliesslich sind wir genau aus diesem Grund losgezogen: Wir wollten uns Zeit zum Leben nehmen. Während wir warten, dass sich der Wind beruhigt, können wir loslassen, träumen, leben, stundenlang die Landschaft bewundern, lesen, kochen und uns anderweitig die Zeit vertreiben – fast wie in den Bergen bei Schneesturm und eisigen Temperaturen, allerdings ohne Kaminfeuer!

Natürlich kann man eine solche Reise auf die harte Tour angehen, man muss aber nicht. Wir wollten nicht auf Komfort verzichten und haben uns deshalb überlegt, welche Ausstattung wir benötigen, um uns vor Kälte und Feuchtigkeit zu schützen und zu verhindern, dass literweise Wasser von den Wänden rinnt und uns im Schlaf ins Gesicht tropft. Für Patagonien sollten es doppelverglaste Luken, ein korkgedämmter Boden und zwei Heizsysteme sein: eine Luftheizung von Webasto und eine angepasste Autoheizung am Motor mit Wärmerückgewinnung. So ausgerüstet haben wir sechs Monate bei minus oder plus 20° in einem trockenen Boot gelebt.

Das Kap Hoorn hat sich uns fast aufgedrängt. Wir befanden uns schon so weit südlich, dass wir unmöglich auf die legendäre Felsspitze verzichten konnten. Am Valentinstag waren alle Bedingungen erfüllt, um sie von West nach Ost zu runden. Bei Sonnenschein passierten wir schliesslich die von der Urgewalt der Elemente gezeichnete Landschaft.

Schroffe, ursprüngliche Natur

Nachdem wir Argentinien hinter uns gelassen hatten, fuhren wir vier Monate gemütlich durch die chilenischen Kanäle. Die Navigation war einfacher als vermutet. Ab Puerto Williams gegenüber Ushuaia ist das Meer flach, da es von einem Labyrinth aus teils glattgeschliffenen, teils zerklüfteten Felsen geschützt wird. Der Wind wird durch das Gelände kanalisiert. In den Engpässen herrscht häufig starke Strömung. Aber wie gesagt: Alles ist machbar, wenn man sich nur genügend Zeit lässt.

Nahe der Kanaleinfahrt, auf der Höhe der Isla Gordon, eignet sich das Gelände wunderbar für Wanderungen am Fuss der Gletscher. Wie imposante Monster ragen Pia, Garibaldi und Coloane aus dem Wasser. Rund herum nichts als unberührte Natur und wildes Gebüsch auf moosigem Untergrund. Geankert haben wir in der Caleta Brecknock. Die Bucht liegt in einem majestätischen Felskessel, der sich zu einer kleinen, geschützten Bucht mit spärlicher Vegetation öffnet. Wir entschieden jeden Tag spontan, wo wir die Nacht verbringen wollten. Unsere Bordbibel Patagonia and Tierra del Fuego (Hrsg. Incontri Nautici 2004) half uns dabei. Das Buch wurde von einem italienischen Paar verfasst und beschreibt über 500 geschützte Caletas in den Kanälen.

Im Norden von Puerto Natales reicht der Urwald bis ans Wasser. Er ist so dicht, dass wir gar nicht erst versuchten, an Land zu gehen. Beim Anblick des letzten Naturwunders dieser Etappe verschlug es uns fast den Atem. Seno Iceberg ist der letzte mit dem Boot erreichbare Gletscher auf dem Weg Richtung Norden. Ein Eisgigant inmitten von opalfarbenem Wasser und glattgeschliffenen Felsen, der mit seinem leuchtenden Blau die ganze Umgebung zum Strahlen bringt. Ausser Meerestieren – Vögeln, Seelöwen, Delfinen und Walen – gibt es hier keine Lebewesen. Es regnet viel und oft, doch sobald die Wolken aufreissen, wandelt sich das Bild komplett und die Sonne schenkt magische Momente.

Und an Bord?

Auch dort nahmen wir uns Zeit. Wir hatten ähnlich wie an Land einen Alltag zu bewältigen, lichteten um 9 Uhr den Anker und waren um 17 Uhr am Liegeplatz. Dazwischen segelten wir gemütlich vorwärts. Manchmal gestaltete sich das Leben komplizierter, denn das Klima erfordert mehr als nur eine Badehose. Um vor dem Aufstehen Strümpfe, Pullover und Socken unter der Bettdecke anzuziehen, brauchten wir mindestens zehn Minuten. Und das Brot ging nie richtig auf. Schwierig, unter solchen Umständen die Mannschaft kulinarisch zu verwöhnen.

Treibstoff und Proviant bunkern konnten wir einmal im Monat. Da waren gute Organisation, Flexibilität und Kreativität gefragt, denn das Angebot an frischen Produkten hält sich in Grenzen. Der Internetzugang auch. Aber genau das macht uns glücklich. Das Leben auf dem Meer ist so bereichernd und vielfältig, dass wir erneut aufbrechen werden, sobald die Grenzen wieder offen sind. Nach ein paar Stopps im Pazifik soll es erneut in kältere Gefilde gehen, denn wir haben Freude daran gefunden. Alaska, wir kommen!