Für das Schweizer Syndikat gleicht der America’s Cup einem Wettlauf gegen die Zeit. Ernesto Bertarelli hat erst am 14. Dezember 2021 bekannt gegeben, dass er mit einem neuen Herausforderer in den Farben der SNG wieder ins Rennen um die Silberkanne einsteigt. Als Austragungsort haben die Titelverteidiger aus Neuseeland Barcelona auserkoren, wo von September bis Oktober 2024 zum 37. Mal um die prestigeträchtige Trophäe gesegelt wird. Die Zeit drängt!

Text: Jacques-Henri Addor

Die Trainingsjacht des Alinghi Red Bull Racing Teams war das erste Boot, das im Hafen von Barcelona zu Wasser gelassen wurde. Das Schweizer Syndikat hat die AC75 Emirates Team New Zealand abgekauft, das sie am 6. September 2019 als To Aihe (Delfin) vom Stapel gelassen hat. Inzwischen wurde der Foilerjacht ein komplett neuer Look verpasst. Ernesto Bertarellis Sohn Alceo hatte die Ehre, die traditionelle Champagnerflasche an einem der Foils zu zerschlagen.
Die Einwasserung war nicht nur ein wichtiger Meilenstein im Aufbauprozess des Teams, sondern soll auch den Zusammenhalt weiter stärken. Entsprechend gross war die Freude in der Equipe. Arnaud Psarofaghis meinte stellvertretend: «Wir brennen regelrecht darauf, die AC75 auszuprobieren. In wenigen Tagen können wir an Bord gehen und uns mit der Jacht vertraut machen. Wir sind unglaublich aufgeregt und können es kaum erwarten.» Ursprünglich waren die ersten Testfahrten für Mitte August geplant gewesen, die AC75 kam aber verspätet an und mit einem solchen Geschoss darf man nichts überstürzen. Halbherzig arbeiten liegt nicht drin. «Alles muss hundertprozentig stimmen, bevor wir damit rausfahren. Wenn auch nur das Geringste nicht perfekt funktioniert, wird es gefährlich», betont der Routinier.

Teambuilding

Wichtigstes Element ist die Jacht, doch ohne gut funktionierende Crew ist auch sie nicht viel wert. «Bei einem solchen Abenteuer spielt das Teammanagement eine entscheidende Rolle», bekräftigt Arnaud Psarofaghis. «Alle müssen sich in ihrer Haut wohl fühlen, damit wir eine Einheit bilden. Ich fühle mich wie ein Teamchef und finde es super, dass die Mannschaft aus lauter Schweizerinnen und Schweizern besteht.» Und wie gedenkt das Syndikat seinen Rückstand auf die anderen Teams wettzumachen? «Wir werden es schaffen, denn viele unserer Mitglieder waren schon früher bei Alinghi und sind gut eingespielt. Zudem verfügen wir über unzählige Stunden Videomaterial, mit dessen Hilfe wir schnell lernen, wie die Boote funktionieren.» Die Jüngeren bringen logischerweise noch nicht so viel Erfahrung mit, sind aber hochmotiviert. Um den ungestümen Eifer von Nicolas Rolaz (22), Maxime Bachelin (24) oder Nils Theuninck (25) zu kanalisieren, kann Arnaud Psarofaghis auf die Erfahrung von Yves Detrey, Nicolas Charbonnier und Bryan Mettraux zählen. Die Jungspunde verfügen über die unterschiedlichsten Werdegänge, sind aber alle mit jugendlichem Tatendrang, einer grossen Offenheit und vor allem mit einem unbändigen Wissensdurst gesegnet.

SKIPPER NICOLAS ROLAZ HOCHKONZENTRERT ALF ENEM TF35

Das America’s-Cup-Reglement lässt in Bezug auf das Gewicht der Mannschaft nur sehr wenig Spielraum. Es muss zwingend zwischen 680 und 700 Kilo liegen. Besonders leichte Schwachwindformationen sind ebenso wenig zugelassen wie Kolosse bei Starkwind. Daher ist vor allem eins gefragt: Vielseitigkeit. «Dazu braucht es Back-ups», erklärt Arnaud Psarofaghis. «Daher ist das Team mit 15 Mitgliedern auch eher gross. Kein Segler hat seinen Platz an Bord auf sicher. Bei der Zusammensetzung des Teams zählt die Leistung, nicht die Person.»
Wie 2003, als Ernesto Bertarelli mit den Kiwis Russell Coutts und Brad Butterworth in den America’s Cup eingestiegen ist, hat Alinghi Red Bull Racing auch dieses Mal Spezialisten verpflichtet: den neuseeländischen Crack Dean Baker, Sieger des AC Cups 2000 und 2021 Steuermann der American Magic, und Pietro Sibello, Finalist der letzten Cupaustragung mit Luna Rossa.
An Bord der Schweizer AC75 werden jeweils acht Personen segeln. Taktiker, Steuermann, Foiltrimmer und Segeltrimmer bilden die Driving Group, die vier Grinder die Power Group. Sie liefern die nötige Energie für die Fahrt und den Bootstrimm.