Justine Mettraux und Alan Roura sind offiziell qualifiziert und können sich mit dieser Sicherheit im Rücken gezielt auf das grosse Abenteuer vorbereiten. Auch Oliver Heer kann seinen Traum weiterträumen. Er erhielt nach wochenlangem Bangen schliesslich doch noch die begehrte Wildcard.
Text: Grégoire Surdez
Die Blicke sind ausnahmsweise nicht auf die Klassenbesten, sondern nach hinten gerichtet – zu Oliver Heer, dessen Teilnahme an der Vendée Globe 2024 lange auf der Kippe stand. Der Zürcher wird seit einem Jahr von technischen Problemen geplagt, dann drohte auch noch sein Traum von der Vendée Globe zu platzen. Grund dafür war einerseits das vorzeitige Aus an der Transat Jacques Vabre 2023, das ihn viele Seemeilen gekostet hat, andererseits das enttäuschende Abschneiden an den beiden Transat 2024. Hinzu kam der Vorwurf, er habe an The Transat CIC unerlaubte Hilfe angenommen. Auch wenn ihn eine internationale Jury inzwischen freigesprochen hat, kam doch einiges zusammen. Trotzdem entschieden sich die Organisatoren jetzt für Oliver Heer. Er erhält die einzige Wildcard und wird damit als dritter Schweizer an der Vendée Globe 2024 teilnehmen.
An der längsten Einhandregatta der Welt gelten strenge Regeln, die rigoros durchgesetzt werden. Für die diesjährige Ausgabe mit Start am 10. November werden vierzig Plätze vergeben, kein einziger mehr. Dreizehn Plätze sind für neue Boote der sogenannten Generation 2024 reserviert. Deren Skipper profitieren von einem abgespeckten Qualifikationsprogramm. Sie mussten zwei Einhandrennen des IMOCA-Kalenders absolvieren, wobei mindestens eines in diesem Jahr bestritten und eines zu Ende gesegelt werden musste. Jean Le Cam ging das Ganze sehr pragmatisch an. Er sicherte sich sein Ticket mit der Einhand-Atlantiküberquerung Retour à la Base 2023 und dem Start an The Transat CIC am 28. April, an der er nach einer 39 Seemeilen kurzen Expressfahrt umdrehte und in den Hafen zurückkehrte. Damit ist König Jean bereits zum sechsten Mal an der Solo-Regatta nonstop um die Welt dabei.
Heer angezählt
Zu den Skippern der neuen Boote gesellen sich die 26 Seglerinnen und Segler mit dem grössten Durchhaltevermögen, das heisst jene mit den meisten Seemeilen im Logbuch. Dazu gehören auch Justine Mettraux und Alan Roura. Neben diesen insgesamt 39 Qualifizierten wird eine einzige Wildcard vergeben. Wer die oder der Glückliche ist, steht Anfang Juli fest. Dass sie an Oliver Heer ging, ist eigentlich logisch, denn er belegt als erster Reservist den 41. Platz.
Der Haken an der Sache: Ollie befand sich in einer misslichen Lage, denn gegen ihn wurde ermittelt, weil er gegen die Auflagen der Transat CIC verstossen haben soll. Nach der Zieleinfahrt des für ihn extrem beschwerlichen Rennens berichtete Oliver freimütig und wohl etwas naiv von seiner Krise während der Regatta. Er sei in ein tiefes Loch gefallen und habe weder ein noch aus gewusst, so der Skipper. Dann habe er mit seinem Mentalcoach telefoniert, der ihm über das Tief hinweggeholfen habe. Es wird zudem gemunkelt, dass die bisherigen Leistungen des Zürchers in der IMOCA-Serie, insbesondere die als ungenügend eingestufte Vorbereitung der Open 60’, gegen ihn gesprochen haben.
Alan Roura: Job erledigt
Oliver Heer hielt trotzdem an seinem Traum fest. «Ich bin froh, dass ich in diesem Jahr beide Atlantikrennen beendet habe», sagte er nach der New York Vendée. «Natürlich bin ich enttäuscht, dass ich die direkte Qualifikation so knapp verpasst habe. Wäre die Transat Jacques Vabre im letzten Jahr nach Plan verlaufen, sähe die Situation heute anders aus.
Viele Seglerinnen und Segler träumen von dieser knallharten Weltumsegelung. Für Justine Mettraux wird der Traum zum ersten Mal, für Alan Roura bereits zum dritten Mal wahr. «Ich habe die Regatta noch lange nicht satt», lacht der Skipper der Hublot. «Die letzten beiden Saisons und der Jahresanfang mit den beiden Transats waren sehr intensiv, aber ich bin immer noch mit der gleichen Begeisterung dabei. Ich habe meinen Job gemacht und mich qualifiziert. Jetzt können wir den Endspurt gelassen angehen. Das an The Transat beschädigte Foil wird repariert und im Sommer wieder eingebaut. Auch der lädierte Rumpfboden wird fachgerecht instandgesetzt.» Im September wird das Hublot Sailing Team wieder auf dem Wasser sein.
Justine, die Bastlerin
Die Teilnahme von Justine Mettraux ist ebenfalls unter Dach und Fach. Nach einem Abstecher an die Bol d’Or Mirabaud ist die Genferin zurück in Lorient, wo sie sich um ihre IMOCA kümmert. Ihre Jacht wird von ihrem technischen Team auf Vordermann gebracht. Justine hat sich souverän für ihre erste Vendée Globe qualifiziert und kann ihrer Premiere mit der nötigen Zuversicht ent- gegensehen. Sie ist guter Dinge: «An den beiden Transatlantikregatten hatte ich Gelegenheit, mein Boot mit den grösseren Foils in den Griff zu bekommen. Ich bin insgesamt zufrieden mit meinen Ergebnissen und meiner momentanen Form. Körperlich habe ich mich an den beiden kräftezehrenden Rennen sehr gut gefühlt. Ich habe durchgehalten, obschon die Bedingungen, vor allem auf dem Rückweg, an die Substanz gegangen sind und ich die Müdigkeit gespürt habe.»
Justine ist mental und physisch in bester Verfassung. Und sie hat ihren Gegnern gezeigt, dass sie sich handwerklich zu helfen weiss. «Ich hatte ein paar kleinere technische Probleme, dadurch musste ich mich manuell und gedanklich mit Teilen des Boots befassen, die sonst nicht präsent sind. Ich bin froh, dass ich Lösungen gefunden habe und die Schäden reparieren konnte. Das gibt auf jeden Fall Selbstvertrauen.»
Mit Alan Roura, Justine Mettraux und Oliver Heer stehen die Chancen gut, dass in diesem Winter drei Schweizer den Gipfel des Everest erreichen.