Es gibt Tage, an denen legt man sein Le-ben in die Hände von irgendwelchen Fremden. Sergei stammt aus Russland, genauso wie sein Hubschrauber, ein sowjetischer MI-2, der wohl schon zu Zeiten von Chruschtschow gedient hat. Die Schalter erinnern an die Detektorenempfänger aus den 40er-Jahren und der Rotor gibt schrille Pfeifgeräusche von sich, die wegen der fehlenden Passagierhelme das Trommelfell ziemlich arg strapazieren. Wir fliegen tief über die Strasse von Hormus und scheuchen dabei eine Schar Flamingos auf. Der frühere Söldner hat die Helitüre noch immer nicht geschlossen, wahrscheinlich, um etwas frische Luft in die Kabine zu lassen. Er ist wenigstens angeschallt. Ich aber versuche mich hinten an der Kabinendecke festzuhalten und verdanke meine mehr oder weniger aufrechte Position nur zwei Butangas-Flaschen. An ihnen klammere ich mich fest, als der Hubschrauber von Steuerbord nach Backbord kippt und einen ausserirdisch anmutenden Canyon überfliegt. Auf ockerfarbene Weiten, auf denen die Vegetation ein Schattendasein fristet, folgen unzählige Hektaren Kies ohne eine einzige befahrbare Strasse. Sergei zeigt auf den Gipfel einer über die Wüste wachenden Bergkette. Dort oben thront ein Adlerhorst, der auf seltsame Art an eine Unterkunft des Alpenclubs erinnert. Willkommen in der Berghütte von Scheich Saud bin Saqr Al Qasimi! Sein Antlitz grinst uns an jeder Kreuzung von riesigen Postern entgegen. Kein Zweifel, dieser Mann hat hier das Sagen. Schliesslich ist der Emir ja auch der grosse Stammeshäuptling von RaK.
Islamisches Versailles
„Scheich Saud erholt sich gerne in seiner Zweitresidenz, wo die Luft reiner und leichter ist“, erklärt mir der Wächter. Das mehrstöckige Gebäude besteht ganz aus grossen Natursteinquadern. Nur wenige Fremde haben Zutritt zu dieser uneinnehmbaren, streng bewachten Festung. Eine Ziege aus Oman schert sich hingegen nicht um die Vorschriften. Heimlich lässt sich die illegale Einwanderin die Blümchen des Prinzen schmecken. Der Herr des Hauses stört sich jedoch nicht an solchen Protokollverstössen. Zu behaupten, er hätte von seinen Vorfahren einen Hang zum Rustikalen geerbt, ginge dann aber doch zu weit, wie sich noch zeigen wird.
Bei untergehender Sonne landet der Hubschrauber direkt vor dem Palast. Er liegt eine Autostunde von Dubai entfernt, auf einem Hügel mitten in der Stadt Ras al-Khaimah. Aus der Nähe hat das Gebäude nicht mehr viel mit einer Berghütte gemein, das Anwesen würde sogar die verwöhntesten Hollywoodstars vor Neid erblassen lassen. Nachdem man die obligaten Sicherheitschecks passiert hat, geht es zu Fuss weiter über eine mit Strassenlaternen im Pariser Stil gesäumte Allee aus weissem Marmor. Sie führt zum Vorplatz, auf dem eine weisse Limousine steht. In diesem Theater aus Tausend und einer Nacht spielt jeder perfekt seine Rolle: Makellos gekleidet und mit der traditionellen rot-weissen Kufiya bedeckt, öffnen die Wächter die schweren Tore zum Allerheiligsten. Dahinter verbirgt sich ein echtes islamisches Versailles: ein Hightech-Prunkgemach, das den Flitter des Sonnenkönigs mit zeitgenössischer, arabisch angehauchter Raffinesse kombiniert. Säulengänge, eine effektvolle Raumaufteilung und architektonische Verwegenheit schaffen eine grandiose, hell erleuchtete Filmkulisse.
An der Spitze eines Unternehmens
Plötzlich betritt der Herrscher den Raum. Kultiviert, ehrlich und aufgeklärt soll er sein. Seine schlanke, gepfl egte Erscheinung erinnert an Lawrence von Arabien. Als wolle er seine Eleganz noch betonen, trägt er eine schneeweisse Kandura aus reiner Schweizer Baumwolle. Der schöne 53-jährige Prinz kommt sogleich auf unsere Eidgenossenschaft zu sprechen. Sie sei ein Vorzeigemodell für Integration und vor allem für Bildung – ein Wert, der auch in seinem Land Priorität hat. Es ist deshalb auch kein Zufall, dass er einen unserer Landsleute zum persönlichen Berater gewählt hat. Der gebürtige Libanese und Christ Dr. Khater Massaad hat über 17 Jahre in Lausanne gelebt. Dort hat er sich auch das nötige Fachwissen angeeignet, das er für das Management seines äusserst einträglichen Keramik-Imperiums im Emirat benötigt. Wer weiss, dass Khater Massaad an der EPFL studiert hat, den wundert auch nicht, dass die Eidg. Technische Hochschule im Emirat demnächst eine Aussenstelle eröffnet. „Wir wollen nicht nur zu einem Zentrum für Tourismus und Industrie werden, sondern auch zu einer Hauptstadt der Wissenschaften und des Wissens“, verkündet der Unternehmer. Im Gespräch mit dem Scheich stellt sich heraus, dass er die Visionen seines Beraters teilt. Saud bin Saqr Al Qasimi ist geprägt von orientalischer und westlicher Kultur. Er studierte an amerikanischen Universitäten und bezeichnet sich selbst als Weltenbürger. Er fühle sich überall zu Hause, auch am Genferseeufer, wo seine Familie mehrere Liegenschaften besitzt.
Familie wird im Emirat sowieso gross geschrieben. Die Angehörigen teilen sich die Verwaltung des Scheichtums. Sie sitzen im Vorstand der Unternehmen, die die Kassen des kleinen Staates füllen. Sie alle sind gewiefte Geschäftsmänner geworden – mit einer einzigen Ausnahme. Ein Prinz wurde verleugnet und des Landes verwiesen, doch jegliche Anspielung auf das schwarze Schaf scheint hier fehl am Platz. Ahmed ist für die Häfen und den Zoll zuständig, Omar für das Banken- und Versicherungswesen usw. Die Nachfolge ist bereits gesichert, denn der machthabende Scheich hat sechs Kinder.
Regieren heisst vorausschauen
„Als mein Vater mich zu seinem Nachfolger machte, ruhte sich das Land auf seiner ruhmreichen Vergangenheit aus“, beschreibt der Scheich die Zeit, in der RaK die Metamorphose Dubais aus der Ferne betrachtete. Damals wurde im Emirat kaum gebaut, es gab sich mit den kläglichen Überresten der alten, vom Zahn der Zeit zerfressen Wachtürme zufrieden. „Mir war sofort klar, dass meine Aufgabe darin bestehen würde, eine Zukunftsvision zu schaffen“, fährt der Scheich fort und spielt dabei lässig mit seinem Mobiltelefon. Mit seiner Machtübernahme folgte auf das Zeitalter der Karawanen das der Bulldozer. Gebäude schossen wie Pilze aus dem Boden, Freihandelszonen wurden eingerichtet und an der etwas sumpfigen Küste Hotels und Marinas gebaut. Ein paar Jahrzehnte nach seinen Nachbarn hat sich auch RaK vom Golffieber anstecken lassen, dabei aber auch die heute so trendige nachhaltige Entwicklung nicht ausser Acht gelassen. Diese langsame Gangart hat ihr Gutes: Sie hat das Scheichtum vor den spekulativen Exzessen und dem Immobiliencrash, der Dubai gerade mit voller Wucht trifft, verschont. Mit einer jährlichen Wachstumsquote von 5 Prozent hat Ras al-Khaimah einen Teil seines Rückstands aufgeholt und besitzt viele Argumente, wie etwa die tiefen Grundstückpreise, die billigen Arbeitskräfte und die völlige Steuerfreiheit, die es für ausländische Anleger attraktiv machen. Das allein war aber nicht ausschlaggebend für Alinghis Entscheidung, den Austragungsort des 33. America’s Cups nach Ras al-Khaimah zu verlegen. Zwar haben die Organisatoren vor Ort versprochen, für den Event eine künstliche Insel zu erbauen, damit die beiden Teams ihre Basen dort einrichten können und die internationale Presse über die nötigen Infrastrukturen verfügt. Vor allem aber bietet die Region am Persischen Golf ideale Wind- und Wetterbedingungen für die Hightech-Racer. Bertarellis Männer konnten sich bei ihrem Trainingslager in Dubai ein gutes Bild von der ruhigen See und den leichten, regelmässigen Thermikwinden machen.
Wenig Erdöl, aber eine Fülle von Ideen
Im Gegensatz zur Schweiz, in der öfters die sterilisierende Wirkung der direkten Demokratie bemängelt wird, scheinen in RaK kein Amtsschimmel und keine rechtlichen Scherereien die Baulöwen zu bremsen. Die Verantwortung, eine allzu chaotische Entwicklung zu verhindern, liegt allein auf den Schultern des Prinzen. Auf dieses Problem angesprochen gibt sich Scheich Saud Bin Saqr Al Qasimi beschwichtigend. Sein Wille sei es, für ein harmonisches Gleichgewicht zu sorgen und die Ursprünglichkeit zu erhalten. Identität bewahren scheint
– neben dem Dollar – seine Lieblingsdevise. Um den Worten des Prinzen Gewicht zu geben, zeigt Dr. Massaad Modelle vor, in denen der Ökologie ein grosser Platz eingeräumt wird und die Fehler der Nachbarn möglichst vermieden werden. Ein schönes Bild, das uns da aufgezeigt wird. Angesichts der Mammutprojekte kommt man allerdings schon beim Versuch ins Schwitzen, den dafür nötigen Stromverbrauch abzuschätzen. Doch daran soll es nicht scheitern. Dann werden eben neue Stromwerke und/oder Entsalzungsanlagen gebaut… Ein Luxus-Thermalband wurde bereits vollendet, etwas weiter entfernt soll ein futuristischer Bergpalast entstehen und andernorts wird ein kulturell ausgerichteter Themenpark aus dem Boden gestampft. Seinen Palast aber will der weiss gekleidete Scheich den Fans des Cups nicht öffnen.