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Segeln am Rand des kanadischen Waldes

von Quentin Mayerat

Die kanadische Westküste ist kein typisches Törnrevier mit türkisblauem Wasser und weissen, palmengesäumten Sand stränden. Trotz dem hat sie Bilderbuch charakter. Sie bietet den Seglern ungeahnte Schätze von unglaublichem Reichtum. Ihre Gezeiten und Strömungen erinnern an die Bretagne, doch ansonsten kennt die Region mit ihren Inseln, Fjorden, einsamen Ankerplätzen und kleinen, direkt am Wasser gebauten Dörfern nichts Vergleichbares. Hier kann man sich Krabbenfleisch und Lachs schmecken lassen und gleichzeitig Hirsche, Robben und manchmal sogar Wale beobachten. Das Gebiet westlich der Strasse von Georgia ist der einzige Ort Kanadas mit mediterranem Klima. Da die Gebirgsketten auf Vancouver Island und auf der Olympic-Halbinsel die pazifischen, Regen führenden Winde zurückhalten, sind die Segelreviere in der sonst sehr regnerischen Region relativ gut geschützt. Im Sommer ist es warm und trocken, im Winter mild und feucht. Am besten zu erreichen sind die Gulf Island über Vancouver oder, falls man aus den USA anreist, über Seattle.

Man kann im Hafen von Victoria, der Haupt stadt Britisch-Kolumbiens, zwar Segelboote chartern, einfacher ist es aber den Törn in Nanaimo auf der direkt gegenüberliegenden Insel Vancouver zu beginnen. Die Strasse von Georgia ist ein von Fähren, Frachtern und anderen Schiffen stark befahrener Seeweg und die Navigation ist streng reglementiert. Es ist deshalb besser die Strasse in der Nähe von Gross städten zu meiden. Eine gute Alternative stellen die Wasserflugzeuge dar. Sie verkehren zwischen dem internationalen Flughafen und den meisten Küstenstädten der Insel. Auch die Fähre ist eine interessante Lösung. Sie ist zwar oft ziemlich voll, aber relativ günstig.

In Nanaimo bieten sich zwei Törnrouten an. Geübte Segler und Meilenfresser können den rund hundert Seemeilen von der Nordküste des Kontinents gelegenen Desolation Sound ansteuern. Das Meeresschutz gebiet ist für seine Fjorde und seine naturbelassenen Regionen bekannt. Allerdings sollte man dafür doch mindestens zwei Wochen einrechnen, damit man im Fall von ungünstiger Witterung genügend Spielraum hat. Ausserdem verbieten die Charterunter nehmen wie fast überall die Navigation bei Nacht. Auch darauf muss bei der Planung der Route und der verschiedenen Etappenhalte geachtet werden. Wer allerdings nur eine Woche zur Verfügung hat, sollte auf die andere Möglichkeit – die Gulf Islands – ausweichen. Die ersten Inseln liegen dem Hafen von Nanaimo direkt gegenüber. Wichtig ist bei beiden Routen, dass man die Tiden- und Strömungstabellen genau studiert, denn einige weniger als 100 Meter breite Passagen können bei Stillwasser gefährlich oder sogar unmöglich zu durchqueren sein.

Die Gulf Islands bestehen aus den acht Hauptinseln Gabriola, Valdes, Galiano, Mayne, Saturna, Pender, Salt Spring und Saturna und mehreren Hundert kleineren Inseln. Sie erstre cken sich über ca. 50 Seemeilen von Ost nach West und 20 Seemeilen von Nord nach Süd. Ein attraktives Törnrevier also, in dem man in einem einzigen Tag problemlos mehrere Ziele anlaufen kann. Obwohl der Archipel nicht ganz so unberührt ist wie Desolation Sound, ist es trotzdem möglich mehrere Tage lang fernab von der Zivilisation zu segeln.

Den steilen, zerklüfteten und felsenbewehrten Küsten der Gulf Islands sind zahlreiche Riffe vorgelagert. Segeln in dieser Region ist zwar nicht extrem schwierig, setzt aber doch genügend Erfahrung voraus und fordert viel Aufmerksamkeit. Für Besuche in kleinen Buchten oder Flussmündungen kann ein auf dem Boot mitgeführtes Meereskajak (oder auch zwei) sehr nützlich sein. Sie haben auf dem Vorderdeck problemlos Platz und machen dazu noch einen Heiden spass, vor allem, wenn man mit Kindern unterwegs ist. Kajakfahrern begegnet man in den Gulf Islands häufig. Viele verzichten ganz auf eine Yacht und bewegen sich nur mit Hilfe ihrer Paddel vorwärts. Sie haben eine Camping ausrüstung dabei und schlagen ihr Lager an den Stränden auf. Zuvor sollte man sich aber gut über die geltenden Vorschriften informieren, da mehrere Regionen zu National parks erklärt wurden und Campen nicht überall erlaubt ist. Dass die Schönheit der Natur die Haupt attraktion der Inseln ist, muss wohl nicht erst erwähnt werden. Tiere und Pflanzen auf dem Land und im Meer sind eine einzige Augen weide. Kaum hat man mit dem Boot an einem einsamen Ort festgemacht, regt sich auch schon die Entdeckerlust. Man will mehr sehen von dieser traumhaften Landschaft und dringt neugierig in die alten Sekundärwälder ein, die einen Grossteil der Inseln bedecken. Sie bergen eine einzigartige Artenvielfalt und verbinden die verschiedenen, äusserst anfälligen Ökosysteme der Region. Im Meer tummeln sich Schweinswale, Seelöwen und Robben. Um einen Schwertwal zu Gesicht zu bekommen, braucht man schon etwas mehr Glück. In den meisten Küstenstädten und Dörfern werden Ausflüge mit dem Gummiboot und in Begleitung erfahrener Walführer angeboten. Wer unbedingt einen der imposanten Meeressäuger sehen will, bucht am besten eine solche Expedition. Die Gulf Islands sind jedoch nicht nur ökologisch von Interesse. Auch die Bevölkerung weist einige Besonderheiten auf. Eine davon ist die legendäre kalifornische Gast freund schaft, die uns zurückhaltenden, kalvinistischen Schweizern den Kontakt erleichtert und deshalb besonders geschätzt wird. Etwas Besonderes sind die Inseln aber auch aufgrund der Zusammensetzung der Einwohner. Der Archipel lockte in den 1960er-Jahren viele Hippies und Aussteiger an, die sich heute als Künstler, Handwerker, Schriftsteller oder Sänger betätigen und mittlerweile einen gewissen Wohlstand erreicht haben. Dennoch pflegen die „Übersee-Bobos“ auf den Gulf Islands einen eigenen Lebensstil. Sie sind aus der lärmigen Stadt aufs ruhige Land gezogen, um in der Nähe der Natur zu leben. Die schwimmenden Häuser in der Marina von Genoa Bay vermitteln ein gutes Bild über die hier herrschendeEinstellung. Auch die vielen Hütten entlang der Küste lassen viel über das Profil der Bewohner erahnen. Die meisten bewegen sich mit dem Wasserflugzeug fort. Das ist hier kein Luxus, sondern aufgrund der Topographie so gut wie unerlässlich. Man gewöhnt sich schnell an die besondere Lebensart und die zum Nachdenken anregende Atmosphäre. Träumerisch erwischt man sich bei dem Gedanken, ein Urlaubsjahr einzuschalten und ein Buch zu schreiben.

Damit wäre klar: Spaziergänge und andere Exkursionen sind während des Törns ein Muss. Die meisten Ankerplätze sind sicher, so dass man unbesorgt von Bord gehen und die Yacht allein lassen kann. Da keine Insel der anderen gleicht, verdienen es alle entdeckt zu werden. In den angenehmen, gut ausgestatteten Dörfern finden häufig kleine Märkte statt, an denen lokale Produkte feilgeboten werden. Am eindrücklichsten sind die in Salt Spring und Pender. Hier befindet sich auch das Hope-Bay Café, die beste Adresse des ganzen Archipels für frische Krabben. Es verfügt über einen eigenen Steg und bietet einen herrlichen Blick auf das Meer. Ein weiterer Ort, den man auf keinen Fall verpassen sollte, ist Pirates Cove auf Courcy Island. Die kleine Bucht ist zwar je nach Tide nur schwer zu erreichen, bietet Seglern aber alles, was das Herz begehrt. Kinder können hier dank eines beschilderten Parcours sogar auf Schatzsuche gehen! Zwischen den Seglern herrscht eine gesellige, herzliche Atmosphäre, was sicherlich auch daher kommt, dass die Liegeplätze nicht wie in anderen Törnrevieren hoffnungslos überfüllt sind.

Nicht verpassen sollte man bei einer Reise in die Region der Gulf Islands Victoria, die „very british“ Hauptstadt von Vancouver Island. Obschon der Touristenauflauf hier doch ziemlich gross ist, hat das gastfreundliche Victoria seinen Reiz bewahrt. Wir wollen nur eins: so schnell wie möglich wieder hierher zurückkommen!

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