Genauso wie es allgemein als erwiesen gilt, dass Schamfilen für das Ende der Segelschifffahrt verantwortlich ist, steht jetzt auch fest, dass sich Francis Joyon so lange an Rekorden zu schaffen gemacht hat, bis sie ihm nichts mehr entgegenzusetzen hatten. Und dennoch: Alle Superlative und Lobhudeleien scheinen wirkungslos an dem Seemann abzuperlen, obwohl er sie zehnmal verdient hätte. Er steht da wie ein Fels in der Brandung (Achtung, Klischee!) – oder besser wie ein Eisberg im Südpazifik. Ehrbezeugungen und Glückwünsche lassen ihn kalt.
Eine Weltumsegelung, eine Nacht vor Anker, eine einstündige Pressekonferenz und das war’s auch schon. Die Bevölkerung der Stadt Brest wusste, dass der gefeierte Held allzu viel Aufmerksamkeit scheut und nahm es ihm deshalb auch nicht übel. Wie könnte sie auch?! Bereits 2004 bekam Joyon nach seiner Einhand-Weltumsegelung ohne Zwischenstopps auf einem Mehrrümpfer in der bretonischen Hafenstadt wieder festen Boden unter die Füsse. Brest passt irgendwie zu ihm. Genau wie er ist auch diese Stadt nüchtern, kantig, aber vor allem authentisch, ehrlich und schlicht. Am Quai Malbert, mitten im Handelshafen und nur ein paar Meter vom Schlepper Abeille Bourbon entfernt festgemacht, fühlt sich die IDEC 2 bestimmt eher in ihrem Element als in einer Luxusmarina. Und ihrem Skipper ist die Gesellschaft der Docker und Fischer tausendmal lieber als eine ihn umschwänzelnde Horde Stars und Sternchen.
Wenn Joyon mit seinem typischen, entrückten Ausdruck erklärt, das Meer habe ihn durchgelassen, kann man sich lebhaft vorstellen, wie das Meer ihn erkannt und wie einen alten Freund begrüsst hat. Bereits auf seiner ersten Weltreise unter Segeln hatte Joyon seinen grossen Respekt vor der Natur kundgetan. Der Mensch werde zur Nebensache, meinte er und schwor, sich für die Natur einzusetzen, sobald er wieder zurück in der Zivilisation sei. Das tat er denn auch. Um sich die von Ellen MacArthur im Jahr 2005 ausgeliehene Krone zurückzuholen, entwickelte er ein Schiff, das einzig mit erneuerbarer Energie – Windrädern, Solarzellen und Brennstoffbatterien – funktioniert. Kein Motorengeräusch sollte die heilige Stille stören.
Die von Nigel Irens und Benoît Cabaret meisterhaft gezeichnete 30-Meter-Rennmaschine erreichte dank eines problemlosen Hochseeritts und eines extrem langen und schnabelförmigen Mittelrumpfs, der das Einstechen in die Wellen vor dem Wind verhindert, eine Durchschnittsgeschwindigkeit von 25 Knoten. „Das Boot ist auf Francis und seine körperlichen Fähigkeiten zugeschnitten. Es sind viele seiner Ideen eingeflossen“, lässt der begnadete britische Konstrukteur wissen. Lob, wem Lob gebührt! Und Nigel Irens weiter: „Francis hat einen ausgeprägten Sinn fürs Einfache. Dadurch konnten wir uns aufs Wesentliche konzentrieren und auf jeweils nur ein Ziel auf einmal hinarbeiten.“ Nicht nur Einfachheit, sondern auch Recycling spielte eine Rolle. Das Steuer und andere wichtige Elemente stammen noch von der IDEC I. Ihre Karriere ging nach einer letzten Heldentat an einem Sommertag 2005 zu Ende. Zusammengefasst wären also das Boot, ein beispielloses seglerisches Feingefühl und ideales Wetter die drei Faktoren, an denen sich Francis unbeschreiblicher Riesensatz nach vorne nur vier Jahre nach seinem ersten Rekord festmachen lässt? Ellen MacArthur hatte ihm den Titel um eine Handvoll Stunden entrissen, doch so leicht liess sich der bretonische Teufel nicht abschütteln. Er schwang sich auf seine Yacht und verbesserte die Bestzeit um sagenhafte 14 Tage (!!!) und 0 Stunden. Die läppischen Minuten und Sekunden ersparen wir Ihnen hier gnädigst.
Wie gesagt, auch das Wetter spielte eine entscheidende Rolle. Lassen wir den amtierenden Rekordhalter darüber berichten, schliesslich hat er und nur er sich damit herumgeschlagen. „Bis zum Indischen Ozean waren die Winde günstig und ich glitt problemlos dahin. Doch bei einem solchen Kurs gehören Schwierigkeiten einfach dazu. Der Pazifik war normal, der Atlantik hingegen überdurchschnittlich schwierig. Es kommt bestimmt der Augenblick, in dem man für die einfacheren Passagen
bezahlt. Ich habe noch nie eine solch kräftezehrende Atlantiküberquerung erlebt.“ Wir erinnern uns: Bei der Rückfahrt über den Atlantik schwebte der Mastbruch wie ein Damoklesschwert über von Francis’Haupt, viermal kletterte er den Mast hoch, um eine launische Want wieder richtig zu positionieren.
„Halte durch, Francis, jetzt musst du das Ding zu Ende bringen“, schrieb ihm während dieser beklemmenden Episode eine gewisse Ellen Mac Arthur. Sie stand über Satellit in häufigem telefonischen und elektronischen Kontakt mit Francis Joyon. Dass er nicht mit leeren Händen zurückkehren würde, damit rechnete sie. Während Joyon sich dem Ziel näherte, sass Ellen, die 2005 einen als unschlagbar geltenden Rekord unterboten hatte, in einer Fähre, die sie über den Ärmelkanal in die Bretagne bringen sollte. Schliesslich hätte sie „das“ um keinen Preis verpassen wollen. „Niemand verdient den Rekord so wie Francis“, sagte die britische Seglerin und fügte im gleichen Atemzug hinzu: „Er hat es als erster geschafft, ich habe ihm den Titel entrissen und jetzt hat er sich die Krone wieder zurückgeholt. Damit bleibt der Rekord wenigstens in der Familie. Ich bewundere ihn und habe einen Riesenrespekt vor seiner Leistung. Francis hat nicht nur eine sportliche Meisterleistung hingelegt. Indem er ohne fossile Energie „sauber“ über die Weltmeere gefahren ist, hat er auch eine wichtige Botschaft ausgesandt. Francis ist ein guter Mensch, in jeder Hinsicht.“ End of the story… zumindest im Moment.