“Die spinnen, die Segler”, müssen allfällige Zeugen des ungewöhnlichen Treibens auf der Chamade denken. Sie liegt in einem menschenleeren Ankerplatz vor Burnt Island. Während die Sonne langsam hinter den Bergen verschwindet, werfen die Matrosen immer wieder die Leinen ins Meer. Für das, was auf den ersten Blick so seltsam erscheint, gibt es eine einfache Erklärung: Vor knapp 24 Stunden sind die beiden Herztransplantierten Elena und Sandra, der Nierentransplantierte Yvan und sein Bruder, der ihm eine Niere geschenkt hat, an Bord der Chamade gegangen. Sie wollen die Öffentlichkeit mit einem Törn auf die Wichtigkeit von Organsspenden aufmerksam machen (Infos zum Projekt unter: www.chamade.ch). Da keiner der vier Besatzungsmitglieder Segelerfahrung mitbringt, ist Üben angesagt, denn schon morgen soll es zum Crinan Canal gehen. Bis dahin gilt es 15 Schleusen und genauso viele Anlegemanöver zu bewältigen. In den Strudeln rächen sich Patzer sofort.
Der Crinan Canal: zurück ins 19. Jahrhundert
Kaum hat die Truppe angelegt, wird sie auch schon vom Schleusenwart begrüsst. Seine Worte sind wegen des starken schottischen Akzents kaum zu verstehen, doch seine einnehmende Art spricht Bände. Der Crinan Canal wurde im 19. Jh. gebaut, um den Transport zu erleichtern und die Highlands zu erschliessen. Mit Ausnahme der beiden windenbetriebenen Meeresschleusen wird alles noch von Hand erledigt. Die Schleusentore müssen von der Crew eigenhändig geöffnet und geschlossen werden. Die kräftigen Strudel und Verwirbelungen in der Schleuse machen den Matrosen die Arbeit doppelt schwer, Schweiss tritt ihnen auf die Stirn. Die Anstrengung lohnt sich trotz allem. Erstens ist die Landschaft umwerfend schön, zweitens gibt es keine bessere Abkürzung. Rund 80 Seemeilen kann man sich ersparen und auch die Durchfahrt des berüchtigten Mule of Kintyre entfällt. Der letzte Teil des Kanals führt einem Berghang entlang. Darunter breiten sich riesige Sümpfe aus, ein Schwarm Wildgänse fliegt in einer exakten V-Formation dicht übers Wasser hinweg. Ein unvergesslicher Anblick!
Tiere, so weit das Auge reicht
Naturfreunde schweben in Schottland ständig auf Wolke sieben. An der Westküste ist die Natur noch unberührt und die ungezähmte Landschaft leuchtet in sattem Grün. Drei Stunden nach der Abfahrt in der Marine von Largs wird im Schutz von Burnt Island in der hintersten Ecke von West Kyle geankert. Es ist gar nicht so einfach, die Teammitglieder dazu zu bringen, sich auf das Manöver zu konzentrieren. Ihre Augen schweifen ständig zu den rund hundert Möwen, dem Dutzend Graureiher, den Seehunden, die den Rumpf umkreisen und dem nur eine Kabellänge vom Boot entfernten Schwarm Delfine. Bei so viel Ablenkung geht das “Klar zum Ankern” des Skippers im Freudengeschrei des Teams unter.
Der Hexenkessel
Der Corryvreckan, zu Deutsch “Hexenkessel”, ist eine der gefürchtetsten Strömungen der Welt. In diesem bis zu 100 Meter tiefen Meeresarm überfluten die Wassermassen eine bis knapp 20 Meter unter die Wasseroberfläche ragende Felsspitze, die sogar bei ruhiger See stehende Wellen von bis zu 4 Metern auslöst.
Der Corryvreckan ist beileibe nicht der einzige Hexenkessel. Überall zwischen den unzähligen Inseln brodelt das Wasser und bildet gefährliche Strudel. Unmöglich, die engen Durchlässe bei Gezeitenstrom zu durchqueren. Auch wenn der Wind gegen den Strom steht, ist kein Durchkommen. Da wir aber nicht die ersten sind, die hier durchwollen, sind die Routen gut betonnt. Mit Hilfe von Seekarten, Segelanweisungen und Gezeitentafeln können wir die Strömungen zu unseren Gunsten nutzen und vom Stillwasser in den Gatts profitieren.
Tim und Struppi – Die schwarze Insel
Einen Törn in Schottland kann man unmöglich beenden, ohne nicht am Fuss eines Schlosses geankert zu haben. Darauf verzichten würde heissen, unsere Kindheit und die vielen Stunden, die wir in Tim und Struppi geschmökert haben, zu verleugnen. Beim Anblick des Achadun Castle an der Westspitze von Lismore Island muss man dann auch unweigerlich an die Comic-Helden denken. Geankert wird direkt unter dem Schloss in einem verzaubernden Licht. Man wünscht sich fast einige Nebelschwaden herbei, die dem Ort etwas Gespenstisches verleihen würden. In der Dunkelheit der hereinfallenden Nacht verwandelt sich der mit Kerzen erhellte Salon bei einem Glas wärmendem Talisker in ein Piratennest. Schottland, wie es leibt und lebt!
Noch ‘nen Whisky, Sir?
Schottland und Whisky gehören untrennbar zusammen. Am angesehensten sind die „Single Malt“ der Inseln. Wenn Sie Ihren Törn zu einer „Whisky-Route“ machen möchten, dann kommen Sie um Islay Island nicht herum. Lagavulin, Laphroaig, Caol Ila und Ardberg – alle legendären Brennereien sind hier nur einen Steinschlag voneinander entfernt. Am besten ankern Sie vor Lagavulin. Die Einfahrt in die kleine Bucht ist zwar eng, aber gut betonnt. Von dort brauchen Sie nur dem unverwechselbaren Duft, der aus den Destillierkolben strömt, zu folgen. Beginnen Sie den Tag mit einer Führung durch die Brennerei (Start: 9.30 Uhr). Vor Ardberg kann ebenfalls festgemacht werden. Falls Sie Zeit haben, laufen Sie die Insel Skye an. Hier befindet sich zwar nur eine Brennerei, aber was für eine! Die Rede ist natürlich von Talisker. Weitere Besichtungsmöglichkeiten bieten sich auf Jura Island und auch in Oban; ein Rundgang durch die Brennerei im Dorfkern ist einen Umweg wert!