Stelldichein am Kap Hoorn
Die Alinghi-Basis ist in heller Aufruhr. Zwei Tage, nachdem sich das Team im Dubai International Marine Club eingerichtet hat, werden die Masten auf der SUI64 und der SUI94 montiert. Derweil trocknet der Teer auf der speziell für den Schweizer Defender errichteten Zugangsrampe. Morgen ist es soweit. Erstmals in der America’s-Cup-Geschichte werden die Class America mit dem Wasser des Persischen Golfs in Berührung kommen. Noch zwei Stunden haben Pierre-Yves Jorand und Grant Simmer Zeit, die seltsamen Segelboote ohne Kiel- und Steuerflosse genauer unter die Lupe zu nehmen. Sid Bensalah, Regattaleiter des DIMC*, informiert uns über Funk wann und wo genau gestartet wird. Wir sollen uns zum Kap Hoorn aufmachen. Auf dem Tender werden fragende Blicke getauscht. Natürlich ist damit eine Fahrrinne zwischen zwei Sandinseln des künstlichen Archipels „The World“ gemeint, der vor Dubai aus dem Wasser gestampft wird. Jede Insel ist nach einem Land benannt, zusammen bilden sie eine Mini-Welt mit einem Umfang von 20 Seemeilen. Am gleichen Morgen trainiert eine Volvo 40 vor der Marina, um den ersten Weltumsegelungsrekord rund um diesen Zwergplaneten aufzustellen. “Eine verlockende Idee”, finden auch Pierre-Yves Jorand und Yves Detrey. Sie sind scharf darauf, die Bestzeit mit der F40 Alinghi zu brechen, bevor sie überhaupt steht. Zur Zeit liegt die Genferseeyacht allerdings noch in Einzelteilen in der Lagerhalle. Mal schauen, was da alles noch kommt.
Auf die Plätze, fertig, Leinen los!
Uns ist völlig entgangen, dass das Startprozedere bereits begonnen hat. Die rund fünfzig Boote liegen unbeweglich auf dem Wasser. Zwar befinden sie sich alle in einer Zone hinter den beiden Bojen, doch einige Crewmitglieder sind noch im Wasser und halten die unstabile Nussschale aufrecht. Den Geschickteren gelingt es nicht ohne Mühe das Gleichgewicht zu halten; sie haben lediglich den Anker geworfen, damit ihre Dhau nicht fortgetrieben wird. Plötzlich ertönt der Startschuss. In wenigen Sekunden sind alle Segel gebläht, auf den Booten bricht Hektik aus. Ein paar der Crewmitglieder sind bereits baden gegangen, andere versuchen mit Händen und Füssen gegnerische Dhaus zurückzustossen, die ihnen gefährlich nahe kommen. Ohne Schwert und Ruderflosse, nur mit einem Brett als Ruderblatt und einem Bugspriet-Ersatz aus Bambus als einzigem Baum gleicht das Handling der 22-Fuss-Boote mehr sportlichen Verrenkungen als Regattamanövern. Eine Halse nimmt fast eine Minute in Anspruch, so riskant ist das Unterfangen. Die besten brauchen dazu nur 30 bis 40 Sekunden, an den ersten Regatten vor fünfzehn Jahren habe eine Halse noch 1,20 Minuten gedauert, klärt uns Sid auf und weist uns darauf hin, dass die Rennen zudem sehr taktisch sind. Schwer zu glauben, schliesslich befindet sich das Ziel auf halbem Wind direkt vor uns am Eingang zum Yacht Club. Doch Sid soll Recht behalten. Die traditionellen Skiffs schwärmen in alle Richtungen aus, einige profitieren von einem besonders günstigen Wind – wie, bleibt uns ein Rätsel. Sekundenbruchteile später sieht die Situation wieder ganz anders aus. An Bord des Alinghi-Tenders herrscht Hochspannung. Wer wird die Wetten gewinnen? Saeed Hareb, Generaldirektor des DIMC, erklärt uns über Funk, dass Vater und Sohn auf den beiden ersten Plätzen kämpfen. Es ist zwar nur eine kleine Regatta, doch immerhin ist ein Preisgeld von CHF 30’000 ausgesetzt. Da der Segelsport in Dubai eine strategisch wichtige Rolle spielt, wird er von privater und von Regierungsseite mit erheblichen finanziellen Mitteln gefördert.
Segeln: ein Landeskulturerbe
Die ersten Dhaus wurden vor dreihundert Jahren für den Fischfang und den Handel mit Indien und Afrika gebaut. Seither hat sich ihr Aussehen kaum verändert. Einzig der Steven ist gerader geworden und auf einigen grösseren Einheiten wurde das Holz durch Karbon ersetzt. Grossfamilien besitzen in der Regel um die zehn Dhaus in den drei Kategorien 22, 43 und 60 Fuss. Geändert hat sich dagegen ihr Status: Vor fünfzehn Jahren hat die Regierung beschlossen, dieses historische Erbe zu schützen und es in die Fremdenverkehrsförderung zu integrieren. Es wurde ein Amt für Segelsport eingerichtet, das eine subventionierte Landesmeisterschaft auf die Beine stellte und Vermessungsregeln festlegte. Mit diesen Massnahmen sollten die Familien dazu bewegt werden, ihre Boote zu unterhalten und an Regatten teilzunehmen. Dubai organisiert jährlich über 120 Wassersportevents (auch für Motorboote). Der bedeutendste ist sicherlich das Sir Bunair Race im Mai, laut Sid Bensalah die „grösste Regatta der Welt“. Ca. 120 Teams à 20 bis 25 Crewmitglieder nehmen auf ihren 60 Fuss-Yachten daran teil. Vorher wird auf der Insel 54 Seemeilen vor Dubai, die als Start dient, drei Tage lang gefeiert. Die Regatta selbst wird während der gesamten Dauer vom nationalen Fernsehen live übertragen. Das Preisgeld – stolze sechs Millionen Dirham (4 Millionen CHF) – motiviert die Segler, sich anzumelden und ihre Flotte zu pflegen (eine 22-Fuss-Yacht kostet rund 65’000 Dirham). Wie wäre es mit einem Bundesamt für Segeln in der Schweiz?
* s. Skippers Nr. 22