„Hallo meine Neffen, ich sitze in der Patsche ! „. So fängt die ganze Geschichte an. Unser Onkel Paul, unterwegs in die Ferien nach Spanien, verletzt sich am Arm. Damit ist der Urlaub im Eimer und seine RM 10,50 zum Problem geworden. Wohin mit dem Segelboot während der Sommersaison ? Wie soll er es in den bretonischen Heimathafen Kernevel zurückbringen ? Auf Oléron an der Atlantikküste raten wir Paul, etwas weiter nach Süden zu fahren. In Port Médoc am Südufer der Gironde-Mündung sind nämlich sogar im Hochsommer noch einige Plätze frei. Harold und ich beschliessen, eine Woche Ferien für die Heimschaffung der Moustik zu blockieren. In typischer Überführungsmanier schnurstracks das Ziel anzupeilen kommt für uns aber nicht in Frage. Wir wollen von einigen der 250 Inseln profi tieren, die sich über die 250 Seemeilen lange Strecke verteilen und nehmen gleich auch noch zwei Alban und einen Pierre mit auf die Reise. Zunächst haben wir aber nur eins im Sinn : schnellstmöglich die trostlose Atmosphäre von Port Médoc verlassen. Ohne Mitfahrgelegenheit oder Velos ist es schwierig, aus diesem Kaff herauszukommen, um im ein paar Kilometer weiter südlich gelegenen Soulac doch noch einen angenehmen Abend zu verbringen. Auch Lebensmittelladen ist in einem Umkreis von mehreren Kilometern keiner zu fi nden. Gegen Mittag, wir haben uns gerade mit dem von Lombard entworfenen Boot vertraut gemacht, versuchen wir unser Glück etwas weiter nördlich im gegenüberliegenden Royan. In diesem Badeort ist trotz seiner schwierigen Vergangenheit einiges mehr los. 1945 wurde das Stadtzentrum bei englischen Bombenangriffen zerstört und danach um einen grossen und leicht zugänglichen Jachthafen herum wieder aufgebaut. Wir erreichen ihn nach einem 5 Seemeilen langen Zickzackkurs, da die Strömung in der Mündung 3 bis 4 Knoten erreicht. Endlich können wir Proviant bunkern und tragen die vollgepackten Kartons auf unseren Köpfen, während wir lebhaft über das Abendessen diskutieren. Unser Männerteam besteht ganz offensichtlich aus lauter Feinschmeckern. Vorerst wartet aber eine nicht ganz einfache Strecke auf uns, denn die Ausfahrt aus der Mündung ist ziemlich heikel. Wir müssen eine günstige Strömung abwarten und uns gleichzeitig auf den für den Abend typischen Gegenwind einstellen. Der Kanal treibt die Seeleute mit 5,5 Knoten auf dem Speedo und drei mehr auf dem GPS 10 Seemeilen weit hinaus. Das Meer ist ziemlich ruhig und trotzdem rollen die Brandungswellen einige Kabellängen weiter tosend über die Sandbänke. Dem Lammbraten ist das egal. Er hat zusammen mit zwei Knoblauchzehen fast drei Stunden im Ofen geschmort. Klar zur Wende : Wir nehmen mitten in der Nacht einen 25 Seemeilen langen Kreuzkurz in Angriff, Richtung Nordnordwest an Oléron vorbei. Die Maumusson-Passage können wir unmöglich durchqueren, denn es herrscht noch immer Ebbe und die Gefahr, dass die Dünung gegen die Richtung der Meeresströmung läuft und hohe, steile Wellen verursacht, ist zu gross. Ausserdem ist der Kanal nicht beleuchtet. Bevor wir die Wachen organisieren, lassen wir uns den Lammbraten mit Karotten und Schwarzwurzeln schmecken. Die U-förmige Pantry wird einstimmig gelobt. Man sitzt sogar bei starker Krängung bequem und sicher. Gegen zwei Uhr morgens lässt uns der Wind im Stich. Der Anemo zeigt nur gerade 5-6 Knoten an. Wir müssen den Motor starten, aber das Getriebe will nicht so richtig in Gang kommen, so dass wir uns mit 4 Knoten zufrieden geben müssen. Um 5 Uhr morgens erreichen wir, von den Sektorenlichtern geleitet, Saint-Denis auf Oléron.
Das Saint-Tropez der Atlantikküste
Der von einer Schwelle geschützte Hafen ist für unseren Bikieler mit einem Tiefgang von 1,60 m nur ab mittlerem Wasserstand befahrbar. In der kleinen, ganz im Norden der grössten Insel der französischen Atlantikküste gelegenen Stadt herrscht eine gemütliche, lockere Atmosphäre. Oléron ist das Paradies der Camper. An der Westküste liegt La Cotinière, ein rund um die Uhr geöffneter Hafen, der jedoch der Fischerei vorbehalten ist. Weitere reizvolle Häfen befinden sich auf der Seite der Meerenge; sie sind allerdings nur bei Flut erreichbar. Auf dem Programm dieses zweiten Nachmittags steht die Durchquerung des „Pertuis d’Antioche“. Wir kontrollieren den Motorausstoss : schwach und zu heiss. Die Diagnose steht schnell: Der Wasserpumpe fehlen zwei Rotorblätter. Zum Glück ist Ersatz an Bord. Die RM, die in der Kabbelsee am Wind etwas enttäuscht, meistert ihre Aufgabe hart vor dem Wind unter Spi hervorragend. Knapp vor der Unterquerung der Ile-de-Ré-Brücke bergen wir die Segel und kreuzen dann 5 Seemeilen bis nach Saint-Martin. Der von Vauban entworfene Hafen ist höchst reizvoll und im Sommer sehr beliebt. Das Personal des Hafenamtes tut sein Bestes, um die Jachtsegler, die das gesamte Hafenbecken belegen, so gut wie möglich zu empfangen. An Land offenbart sich uns ein kleines Saint-Tropez der Atlantikküste. Dritter Tag : bleierner Himmel und Flaute. Wir beschliessen, die 47 Seemeilen bis zur Ile d’Yeu in einem Zug zu segeln. Kurz nach dem Ankerlichten zeichnet sich in der Ferne der Umriss eines Schoners ab. Er ist einen kleinen Umweg wert. Es handelt sich um die Atlantic, eine Replik des berühmten Dreimasters von Charlie Barr, der lange Zeit den Atlantikrekord hielt. Endlich zieht aus Südwesten Wind auf und die Sonne kehrt zurück. Im Nu ist der Spi aus dem Sack geholt. In Port Joinville, dem Haupthafen der Ile d’Yeu, pulsiert im Sommer das Leben, während die anderen Dörfer träge vor sich hin zu dösen scheinen. Bretonische Landschaften, aber Ziegel wie in Südfrankreich : Hier herrscht eine typische Bobo-Atmosphäre, wie die französischen, alternativ angehauchten Wohlstandsbürger genannt werden. Pariser und Einwohner von Nantes suchen hier das einfache Leben. Mit Shorts und Matrosenjacke steigen sie in die Sättel alter Velos oder fahren am Steuer ihres antiken, auf der Insel stationierten Renault 4L ins Dorf.
Unfreiwilliger Zwischenstopp
Am nächsten Tag erhalten zwei von uns Besuch von ihren Frauen. Sie haben mit der Fähre aus Noirmoutier übergesetzt und wollen auf der Insel eine Velotour machen. Auf keinen Fall verpassen sollte man dabei den Strand Soux mit seinen beeindruckenden Klippen und dem glasklaren Wasser sowie den winzigen Hafen La Meule. Um 16 Uhr treibt uns ein 20 Knoten starken Südwind zum im Norden der Insel Noirmoutier gelegenen Hafen L’Herbaudière. Dort wollen wir unsere Familien treffen, die hier Urlaub machen und auch einem Tief entgehen, das durchaus bis zu vier Meter hohe Wellen verursachen könnte. Auf der 25 Seemeilen langen Etappe segeln wir durch die „Passe des Bœufs“ und den seichten, bei Flut nur gerade drei Meter tiefen „Chenal de la Grise“. Es herrscht bereits ein ziemlich starker Wellengang. Wir entscheiden uns für eine sicherere Route und wenden beim weiter östlich gelegenen Leuchtturm Pilier. Das für den Hochsommer grobe Wetter zwingt uns zu einem unfreiwilligen zweitägigen Zwischenstopp. Unsere drei Crewmitglieder gehen von Bord, während sich Harold und ich unseren Familien anschliessen, die in Normoutier drei Häuser gemietet haben. Auf der völlig flachen, für ihr Meersalz und die Kartoffeln bekannten Insel empfiehlt sich ein Besuch des kleinen Waldes „Bois de la Chaize“ und des Strandes „Plage des Dames“ im Osten. Er ist von prachtvollen, zwischen Grüneichen gebettete Villen gesäumt. Viele Traditionsjachten legen hier an. Die Zufahrt zum Hafen Noirmoutier-en-l’île ist nicht ganz einfach, doch das sollte kein Hindernis sein, denn hier befindet sich die Trendbar der Insel, das Café Noir. Nachtschwärmer und Tanzbären können sich bis zum Morgengrauen in der Boîte à Sel austoben.
Kurs auf Belle-Ile
Das Meer ist aufgewühlt, der Südwind bläst mit Stärke 4-6. Noch immer ist das Wetter nicht sonderlich einladend. Unter Genua und einmal gerefftem Grosssegel peilen wir Belle-Ile an. Es herrscht hoher Seegang, die Frachter liegen vor Anker und auf dem Meer gleiten nur wenige Segelboote. Nachmittags legt der Wind im Luv der Ile d‘Hoëdic noch einen Gang zu. Das Anemo klettert auf fast 30 Knoten und das bedeutet: Genua einrollen, Stagsegel hissen. Wir schätzen das Boot, das sich bei den harten Bedingungen gut verhält und keine Kraft einbüsst. Wir machen im reizvollen Hafen Sauzon Halt. Dank der günstigen Tidenzeit können wir das Boot mitten im Dorf an der Landestelle vorne und hinten an Bojen vertäuen. Der Grund liegt 1,80 m unter dem Meeresspiegel. Wir stranden mitten in der Nacht. In einem anderen Hafenbecken kann man im Wasser bleiben und im vorderen Teil des Hafens sind Ankersteine vorhanden. In Belle-Ile sollte man eigentlich mehrere Tage verweilen, doch unser Ziel heisst Lorient. Also nehmen wir Kurs Richtung Norden. Die 20 Seemeilen bis nach Groix haben wir dank eines kräftigen Westnordwestwindes in drei Stunden geschafft. Vor uns liegt Port Tudy. Es ist noch nicht einmal 15 Uhr und er ist schon völlig überfüllt. Die eng gedrängten Segelboote sind paarweise an Bojen festgemacht. Harold und ich nutzen den Nachmittag, um die sechste und letzte Insel unseres Trips mit dem Velo zu erkunden. Dabei fällt uns auf, dass Groix deutlich naturbelassener, weniger stark besucht und weniger protzig ist als ihre Nachbarinseln. Umso grösser ist das Vergnügen, über die hohlen Wege auf Entdeckungsreise zu gehen und verschlafene Dörfer und einsame Felsbuchten aufzuspüren. Am Abend gehen wir auf einen Drink ins Ty Beudeff’s. Die Bar ist in Groix eine Institution. Sie hat sich sogar nach einem Brand im Jahr 2003 und dem Tod seines Besitzers vor drei Jahren tapfer über Wasser gehalten. Neun Tage ist er her, dass wir Port Médoc verlassen haben. Nur noch sechs Seemeilen bis zum Hafenbecken von Lorient. Moustik kehrt an ihren Liegeplatz in Larmor Plage zurück. Mission erfüllt. Die RM 10,50 muss warten, bis unser Onkel seinen Gips los ist, bis sie wieder draussen auf hoher See kreuzen darf.