In den beiden Ausstellungsräumen des „Musée des Traditions et des Barques du Léman“ sind die Emotionen spürbar. An der Vernissage der Ausstellung „ 50 Jahre Corsaire in der Schweiz ” tauschen die Corsaire-Segler ihre Erinnerungen aus. Man kennt sich und ist einander freundschaftlich verbunden. Claude Derivaz, der früher in der Amiguet-Werft gearbeitet hat, erklärt das von Rino Cueroni zur Optimierung der Bauverfahren angefertigte Bootsmodell im Massstab 1:5. 50 Jahre lang prägte Alfred Amiguet, von seinen Freunden Fridou gerufen, das Leben des 840-Seelen-Dorfes Saint-Gingolph. Der mutige Schiffsbauer traute sich etwas, als er in der damals konjunkturell schwierigen Zeit eine völlig neuartige Serienproduktion startete.
Jean-Jacques Herbulot (1909 – 1997), der französische Erfinder des Küstenkreuzers, hatte in der Schweiz eine einzige Lizenz vergeben und das auch nur mit der Auflage, dass gleich 10 Einheiten gebaut werden mussten. Fridou hatte zwar noch keine Interessenten, geschweige denn Kunden, doch die Verkaufserfolge in Frankreich überzeugten ihn. Er lieh sich 20’000 Franken und liess nicht locker, bis er schliesslich das exklusive Bau- und Vertriebsrecht für die Schweiz erhielt. Nachdem er den Plänen noch die eine oder andere Verbesserung hinzugefügt hatte, startete die Serienproduktion unter der Leitung „ eines erstklassigen Vorarbeiters, der eine fantastische Rumpfform mit einer perfekten Arbeitsorganisation kombinierte ”, wie Amiguet schrieb. Bei einem Einheitspreis von 5’600 Franken stellte sich der Erfolg wie von Fridou vorausgesehen sofort ein. Unsere Nachbarn beneideten uns um den typisch schweizerischen Touch der Boote. Die sprichwörtliche Schweizer Qualität wirkte einmal mehr Wunder.
Ein Tag in der Werft
Claude Derivaz war als Werftarbeiter von 1966 bis 1978 in der Amiguet-Werft tätig und betreute den Bau der Seriennummern 400-600. „Der Tag begann um 6.30 Uhr an der Stempeluhr ”, erinnert er sich. „Die einzelnen Arbeitsschritte wurden in Zweiergruppen ausgeführt, zunächst an der Rumpfform, danach kratzten zwei Lehrlinge den Leim weg und legten und justierten die Planken. Ein anderes Zweierteam kümmerte sich um die Spanten und das Waschbord, baute die Kabine und montierte die Seitenwände und die Bullaugen. Mit dem Verlegen des Kabinendachs ging der Tag zu Ende. Beide Maler waren je mit einem Corsaire beschäftigt. Abschliessend brachte man die Boote in die Halle, wo die Beschläge montiert, der Mast beschlagen und die 150 kg Ballast angebracht wurden. 14-Stunden-Tage waren keine Seltenheit. ” Grundsätzlich wurden die Boote am Samstag ausgeliefert. Der Corsaire hatte in der Segelwelt eine Revolution in Gang gebracht. Er stand für reduzierte Anschaffungskosten, sorgfältige Ausführung, ein angesehenes Label und vor allem für genügend Schlaf- und Lebensraum für die ganze Familie. Zwischen 1959 und 1970 fanden jedes Jahr an die 60 Corsaires einen Käufer. Rund 860 wurden in Saint-Gingolph hergestellt. Als Alfred Amiguet in Rente ging, übernahmen seine Söhne Pierre-Marie und Yves die Werft. 1980 wurde sie nach Le Bouveret verlegt, da sie dort leichter zugänglich war und auch Platz genug für das Einstellen im Winter bot. Später und bis 2007, als das Grundstück „ La Lanche ” von Baulöwen übernommen wurde, leitete Pierre-Marie die Werft allein.
Und heute ?
Heute teilen sich zwei Werften den Bau der Corsaire. Die eine ist für die Komposit-, die andere für die Holzkonstruktionen zuständig. Von 2001 bis 2006 wurden in der Mystic-Werft in Yverdon neun aus Verbundstoffen hergestellte Corsaire Mystic vom Stapel gelassen. Dann übernahm der ebenfalls in Yverdon ansässige Matthias Bavaud (mb-travaux composite) die Lizenz. In Kompositbauweise hergestellte Corsaires, die besonders bei Regattaseglern beliebt sind, haben zwei grosse Vorteile: Sie sind pflegeleicht und kosten deutlich weniger als traditionelle Konstruktionen. Die abschliessenden Holzarbeiten werden am Greifensee von Dieter Fuchs ausgeführt. Er hat im Jahr 2007 von Pierre-Marie Ami-guet die Negativform aus Holz der Corsaire übernommen. Beide Typen haben identische Merkmale. Trotzdem stagnieren die Bestellungen. Eine kleine Umfrage in interessierten Kreisen hat ergeben, dass der Occasionsmarkt ein zu grosses Angebot bietet, das Design etwas zu veraltet ist und modernere Linien vorgezogen werden. Wer einen Corsaire besitzt, der möchte ihn jedoch nicht mehr missen. Hervé Duchoud, unbeirrbarer Optimist, Corsaire-Segler seit Urzeiten und Präsident der Klassenvereinigung Ascorsaire, sagt dazu geheimnisvoll : „ Es sind mehrere Projekte am Laufen. Es wird Zeit, dass sie umgesetzt werden. ”
Schweizermeisterschaft vom 21.-24. Mai in Le Bouveret
Äolus wollte dem Jubilar ganz offensichtlich nicht gratulieren. Es herrschte totale Flaute. Wettfahrtleiter Vincent Amiguet hatte die Teilnehmer sogar früher als geplant aufgeboten, da er sich wenigstens eine morgendliche Brise erhoffte. Umsonst! Es reichte gerade einmal für einen gekürzten Lauf am Samstag. Gewonnen wurde er knapp von Francine und Jean-Pascale Chatagny auf Floyd SUI864 vor dem amtierenden Schweizermeister Rolf Uhlmann auf Tagua SUI41. Ein gewerteter Lauf reicht für eine gültige Meisterschaft natürlich nicht aus. Die 43 Teams, darunter zwölf aus Frankreich, warteten den ganzen Tag auf dem See und hofften auf die für den Start benötigten 1,5 Knoten Wind. Während die Erwachsenen ihre Freundschaften pfl egten, schlugen die Kinder die Zeit im Wasser tot.