„Seit den frühen 90er-Jahren hat sich sozusagen alles verändert”, sagt Nicolas Lancelin, CEO der über hundertjährigen gleichnamigen Tauwerkfirma. „Aramide wie Kevlar waren wegweisend, aber die wirkliche Revolution brachten neue Fasern wie Dyneema, Vectran und jüngst auch Zylon. Sie haben die Entwicklung des Tauwerks grundlegend verändert.” Und er fügt auch gleich ein konkretes Beispiel an: „Bis zur Mitte der 90er-Jahre führte ein Boot für eine Vendée Globe bis zu 160 Kilo Tauwerk mit. Mit den neuen Fasern hat sich das Gewicht halbiert. Wir haben zwar auch schon damals versucht das Gewicht zu reduzieren und statteten einige Boote mit Tauen aus, die einen Durchmesser von gerade einmal 8 mm hatten. Für eine Weltumsegelung war das unverschämt wenig. Aber wir hatten den Bogen überspannt und einige Boote entmasteten. Heute empfehlen wir 10-12 mm Durchmesser für die Fallen und 12-14 mm für die Schoten. An der aktuellen Vendéé Globe haben wir uns um 16 der 30 engagierten Boote gekümmert. Es gab zwar auch da Entmastungen, doch dieses Mal war nicht das Tauwerk schuld. Die Boote könnten mit unseren Seilen nach einer Weltumsegelung problemlos noch eine weitere Tour dranhängen.”
Ein Quentchen Geheimnis
Doch was auf dem Meer gilt, muss nicht unbedingt auch auf dem See stimmen. „Das gleiche Tau kann eine Weltumsegelung lang halten und schon nach einem einzigen Bol d’Or den Geist aufgeben”, hält Denis Ménétrey fest und kann es selbst kaum glauben. Trotz der ganzen Tests, denen die Fasern unterzogen werden, haben sie noch immer nicht alle Geheimnisse preisgegeben. Nicolas Lancelin scheint das nicht zu stören. Er glaubt, dass wir erst ganz am Anfang stehen und neue Materialien mit 50% mehr Belastbarkeit hinzukommen werden. Von der Fabrik bis zum praktischen Einsatz ist es aber ein grosser Schritt. Das weiss auch Lancelin: „Alle Tests dieser Welt können den Einsatz der Fallen und Schoten in situ, an Regatten und Törns nicht ersetzen“, betont er, und räumt ein: „Eine intensive Nutzung auf immer stärkeren Booten kann vor allem an den Winschen zu Erhitzungen und extremen Reibungen führen, die wir nicht voll im Griff ha-ben. Aber wir arbeiten daran, indem wir zum Beispiel die beste Verbindung zwischen Dyneema- und Vectran-Fasern suchen.“
Die neuen Materialien haben auch die Arbeit in den Seilereien stark verändert. Nicht nur, weil Automaten die Flechtarbeit übernommen haben, sondern auch, weil aus den Handwerksbetrieben Hightechunternehmen geworden sind, die in der Lage sind, die mechanischen Eigenschaften der neuen, von einigen wenigen grossen Konzernen wie Höchst oder Du Pont de Nemours hergestellten Fasern bereits vor ihrer ersten Verwendung zu analysieren. All diese Fortschritte erlauben auch ganz neue Einsatzgebiete der Seile: „Wir verwenden sie heute etwa auch, um die Wanten der Regattaboote mit den Rumpfbeschlägen zu verbinden, denn sie sind leicht, aber trotzdem sehr robust“, sagt Denis Ménétrey. Ihn freut besonders, dass die neuen Fasern die Endverarbeitung erhebdie 100 Mal dem Durchmesser entspricht, in das geflochtene Tau einzuführen und man erhält eine Schlinge, die genauso zugfest ist wie das Seil selbst.
Taue nach Mass
Dank der Zusammenarbeit mit der 1869 gegründeten Seilerei Meister in Bern und dem in Versoix ansässigen Jungunternehmen SUI 46° 16’ kann der Tauwerkspezialist Lynk seinen Kunden seit letztem Sommer einen schlüsselfertigen Service anbieten. „Man kann bei uns beispiels•weise ein Fall für eine Grand Surprise bestellen und wir liefern es gebrauchsfertig, Enthülsen und Spleissen inklusive“, sagt Will Wargnier, Verkaufsleiter bei Lynk. Mit den neuen, leicht zu verarbeitenden Fasern, wie sie seit den 90er-Jahren verwendet werden, hat das Tauwerk im Segelsport stark an Bedeutung gewonnen Unter der Bezeichnung „Rigging” werden mittlerweile spezifi sche Produkte für ganz konkrete Einsatzgebiete angeboten. Laut Will Wargnier ist es wichtig, „dem Regattasegler die Möglichkeit zu bieten, an jeder Stelle auf das optimale Material zurückgreifen zu können.”
„Unser oberstes Ziel besteht darin, gewährleisten zu können, dass die Segel ihre Energie optimal auf das Boot übertragen. Das ist deshalb so wichtig, weil ein neues Segel mit alten Schoten aufgrund deren Dehnbarkeit nicht die volle Leistung erbringen kann. Man muss Segel und Taue als Ganzes sehen. Wir achten nicht nur auf die technische
Qualität, die wir mit vielen Tests an den benutzten Tauen überprüfen, zum Beispiel was die Bruchlast und die Abriebfestigkeit angeht, sondern auch auf die Verarbeitung und die Enden. Dies gilt sowohl für die technisch ausgefeiltesten Fasern wie Spectra als auch für gewöhnlichere Polyesterfasern”, erklärt Will Wargnier weiter. Bei der Weiterentwicklung der Taue haben die Spezialisten aber noch zwei weitere Ziele vor Augen: die Gewichtseinsparungen, aber vor allem auch den Anwendungskomfort, denn das Seil soll sowohl „angenehm in der Hand liegen als auch griffi g sein”.
Die Mitarbeiter von Lynk, bei denen es sich ausnahmslos um Topsegler handelt, sind übrigens fest in die Ausstattung der schnellen Binnenseeracer wie den D35, den M2 und den Foiler-Moths eingebunden und lassen die Segler noch so gern von ihren Erfahrungen profi tieren.