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So fern und doch so nah

von Quentin Mayerat

Von Hyères, Marseille oder La Grande-Motte ist es etwa gleich weit bis zu den Balearen, nämlich gut 200 Seemeilen, für die man eineinhalb bis zwei Tage braucht und bei denen man den Golfe du Lion durchqueren muss. Die Bucht ist wegen ihrer Unberechenbarkeit gefürchtet. Sie kann ruhig sein, als könnte sie kein Wässerchen trüben, aber auch aufbrausend, Gischt spritzend und gewaltige Wellen bildend, wenn die Tramontana weht. Im letzteren Fall sollte man den Golf besser meiden. Sofern man ein gutes Wetterfenster wählt, lohnt sich die Überquerung aber. Bei der Ankunft wird man von beeindruckenden Schätzen empfangen: den wilden Klippen von Menorca, der naturbelassensten Insel des Archipels, und den malerischen Häfen von Mallorca, in denen man direkt an den Quais Tapas essen und von gut ausgestatteten Marinas profitieren kann. Überall wird man unglaublich herzlich begrüsst und zuvorkommend bedient, sogar mitten in der Hochseesaison, wenn hier die Hölle los ist.

Unsere Reise beginnt an einem milden Frühlingsnachmittag. Wir wünschen uns zwar etwas mehr Wind in den Segeln der neuen Lagoon 52, die wir nach Palma de Mallorca überführen müssen, sind aber positiv überrascht, als diese bei einer Brise, die keine zwölf Knoten erreicht, gemütlich mit sieben Knoten übers Wasser gleitet. An Bord macht es sich die Crew aus Nicolas, Loïc, Emmanuel und mir auf dem grossen Luxus-Katamaran bequem. Die Wachen für die Überquerung werden ausgelost. Sie wird 33 Stunden dauern, bei denen teilweise bei Schwachwind gesegelt wird und manchmal, wenn die Brise ganz abflaut, auch der Motor zu Hilfe genommen werden muss. Die erste Nacht ist prächtig, die Mondsichel hängt am Himmel und zaubert glänzende Zickzacklinien aufs Wasser. Als sich der Horizont in der Morgendämmerung rosa färbt, erhalten wir Besuch von ein paar Delfinen. An diesem zweiten Tag auf dem Meer herrscht erneut strahlendes Wetter. Manchmal kräuselt sich das Wasser unter der feinen Brise, danach ist es wieder spiegelglatt.

Menschenleere Bucht

Cala Pi, der letzte wilde Ankerplatz vor Palma de Mallorca. © Jacques Anglès et Nicolas Claris

„Delfine, Delfine!“, ruft Emmanuel, als er mehrere Gruppen der Meeressäuger erblickt. Sie ziehen eine eindrückliche Show ab, springen aus dem Wasser, bevor sie wieder wie Torpedos knapp an unseren Rümpfen vorbeiflitzen. Etwas weiter stossen wir auf Dutzende Mondfische beim Segelquallen-Schmaus. Der Nachmittag ist schon weit fortgeschritten, als sich im Süden die Berge von Menorca abzeichnen und wir nach dem besten Ort zum Ankern Ausschau halten. Wir schwanken zwischen Ciu-dadella, einem Hafen in den Klippen, der von einer hübschen mittelalterlichen Stadt gesäumt wird, und der Cala de Algayarens, einer menschenleeren Bucht an der Nordküste und entscheiden und schliesslich für die zweite Variante. Die Einfahrt mitten in der Nacht hat etwas Magisches. Der dunkle Schatten des Ufers, der sich vom Sternenhimmel abhebt, scheint in Griffnähe, obwohl der Felsen gemäss GPS und Radar noch gute 200 Meter von unserer Anlegestelle entfernt ist. Kaum ist das Ankermanöver beendet, liegt die Lagoon 52 ruhig da. Es herrscht Totenstille und ringsum ist kein Licht zu sehen. In der geheimnisvollen Dunkelheit scheint der Ort für die Nacht ideal. Wie recht wir hatten! In der Morgensonne zeigt sich der Ankerplatz in seiner ganzen Schönheit. Das Wasser ist so glasklar wie in einer tropischen Lagune, zwischen den Felsvorprüngen, auf denen Strandkiefern wachsen, erstrecken sich in einem Halbkreis zwei Traumstrände. Abgesehen von einer alten, in den Felsen des östlichen Strandes gehauenen Steinhütte weit und breit keine Spur von menschlicher Anwesenheit. Wir würden hier zu gerne noch ein paar Tage verweilen, müssen aber den Anker lichten und weiterziehen in Richtung Mallorca. Nächste Etappe ist Porto Colom. Kaum sind wir unterwegs, verschwindet die gesamte Küste während einer halben Stunde im wattigen Weiss des Dunstes, bevor sich die Sonne wieder durchsetzt und sich der auf der Nordostspitze Menorcas stehende Leuchtturm von Punta Nati aus den abziehenden Dunstschleiern schält. Zwanzig Seemeilen südwestlich ragen die Gipfel Mallorcas stolz in die Höhe, der höchste ist der Puig Mayor mit 1’445 m. Rund zehn Millionen Besucher reisen jedes Jahr nach Mallorca, der grösseren und touristischeren Insel der Balearen, deren ständige Wohnbevölkerung eigentlich nur eine Million Menschen beträgt. Trotz des Andrangs und sofern man die grossen Badeorte meidet, hält sie immer noch wunderbare Überraschungen bereit. Porto Colom zum Beispiel, ein breiter Naturhafen, an dem eines der authentischsten Dörfer Mallorcas liegt. Mit seinem steinernen Kai, von dem früher die besten Weine der Insel nach Frankreich verschifft wurden, seinem ursprünglichen Fischerviertel, wo sich die Bootsschuppen aneinanderreihen und schön gepflegte llauts (traditionelle Fischerboote) im Wasser dümpeln, ist Porto Colom eindeutig unser Lieblingshafen an dieser Küste. Zwei weitere sind jedoch ebenfalls einen Abstecher wert: Porto Petro mit seinem hübschen Jachthafen und Cala Figuera, ein in eine spektakuläre Klippe eingebetteter Fischerhafen mit ganz besonderem Charme, der rund zehn Anlegeplätze für Boote auf der Durchreise bietet. Bei den Ankerplätzen sind ebenfalls zwei besonders zu empfehlen: Cala Mondrago ist eine grossflächige, wilde Klippe in einem Naturpark, der sie vor Immobilienhaien schützt. Sein türkisfarbenes Wasser und seine beiden weissen Sandstrände stehen den Lagunen am anderen Ende der Welt in nichts nach. Leider lockt der prachtvolle Ort in der Hochsaison entsprechend viele Leute an. Der zweite ist Cabrera, eine gebirgige, verlassene Insel mit einer gros-sen Bucht, die aussieht wie ein Piratenversteck. Um zu verhindern, dass sich die barbarischen Seeräuber hier einnisteten, haben die Könige von Mallorca im 14. Jahrhundert eine Festung errichtet, die noch heute über dem Ankerplatz thront.

Bummeln auf dem Wasser und an Land

Der Leuchtturm von Cabo Blanco wacht 100 Meter über Meer über die Bucht von Palma. © Jacques Anglès et Nicolas Claris

Cabrera ist rundum geschützt. Um hier an Land zu gehen, muss man aber bei der Nationalparkbehörde in Palma eine Bewilligung einholen. Weiter Richtung Palma findet man weitere schöne Ankerplätze mit klarem Wasser. Nördlich von Punta Salinas zum Beispiel, neben menschenleeren, piniengesäumten Stränden, die an ein Naturreservat grenzen, oder in der Cala Pi, die wie eine tiefe Wunde in den Felsen von Capo Blanco klafft und von einem Leuchtturm 100 m über Meer überragt wird. Er weist den Weg in den Golf von Palma, dem Ziel unserer Reise. Die Hauptstadt der Balearen ist eine Wucht, quirlig und voller Leben. Sie allein schon würde es verdienen, dass man sich für sie ein paar Tage Zeit nimmt. Man bekommt nicht genug davon, durch die belebten Gassen der Altstadt zu flanieren, auf einem der kleinen, schattigen Plätze zu verweilen, verstohlen in versteckte Innenhöfe zu spähen und hinter dunklen Portalen verborgene Paläste zu bestaunen. Man lässt sich in Tapas-Bars oder in schicken Restaurants kulinarisch verwöhnen oder bewundert die Pracht historischer Denkmäler, den Zeugen früherer Kämpfe zwischen den Mittelmeermächten des Nordens und des Südens. Der grosse Hafen bietet viele Anlegemöglichkeiten für Fahrtenjachten, aber in der Hochsaison sind die Plätze teuer. Wir bevorzugen den Real Club Nautico, der am nächsten beim Stadtzentrum liegt und über ein Schwimmbad und hochwertige Dienstleistungen verfügt. Eigentlich würde es noch einige Törns mehr brauchen, um alle Schönheiten dieser Inseln zu entdecken!

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