Die 75. Bol d’Or Mirabaud erwies sich als extrem komplex und intensiv. Sie war weder schnell noch langsam und forderte von den Teilnehmern die volle Aufmerksamkeit. Durch die vielen Windwechsel kam es während des Rennens immer wieder zu Neustarts. Häufig zog von hinten frischer Wind auf und mischte die Karten neu. Nur Zenith Fresh…! schaffte es, sich abzusetzen und einen fast interstellaren Abstand zum Feld herauszusegeln. Die zweitplatzierte Team SUI 9 verlor knapp zwei Stunden auf den Sieger. Bei den Einrümpfern liess die extra aus Ungarn angereiste Libera Raffica der Konkurrenz nicht den Hauch einer Chance und sicherte sich somit bereits zum zweiten Mal in Folge die Bol de Vermeil. In berechneter Zeit siegte die von Philippe Matthey gesteuerte Luthi 382 Canopus 3. Von 509 Booten erreichten 336 das Ziel.
Aufgrund des unterschiedlichen Timings erlebten die Klassen alle eine andere Bol d’Or, einige Gemeinsamkeiten gab es nach den eingefangenen Stimmen zu urteilen aber doch. So zum Beispiel die strategisch schwierige Ausfahrt aus dem unteren Genfersee, die Situation vor Evian, als die Boote wieder aufschlossen und einen Knäuel bildeten sowie der Regenschauer und der starke Wind bei Einbruch der Nacht im oberen Genfersee, bei der die Flotte auseinander gerissen wurde.
Mit über 500 gemeldeten Booten ist es den Organisatoren der 75. Bol d’Or Mirabaud gelungen, die Teilnehmerzahl dieser Ausnahmeregatta weiter zu erhöhen. © Loris von Siebenthal
Fast zwei Stunden Vorsprung
Jean-Philippe Bucher, Christophe Péclard, Thierry Froidevaux, Nicolas Kaufmann und Daniel Schmaeh legten eine fast fehlerfreie Regatta hin. Sie nutzen das Geschwindigkeitspotenzial der Ventilo M1 bei Schwachwind clever aus und liessen die schwereren D35 gnadenlos hinter sich. „Nach Le Bouveret haben wir jeden noch so kleinen Windhauch zu unseren Gunsten genutzt. Das verdanken wir dem Boot, aber auch dem kompetenten Team“, sagte Jean-Philippe Bucher, der Eigner des Siegerboots. Christian Favre, der das Boot zusammen mit dem Konstrukteur Fabrice Germond entwickelt hat, meinte nach der Zieleinfahrt: „Die Bol war für dieses Schiff gemacht. Wir haben ein Leichtwindboot gebaut und genau in diesen Phasen konnte die M1 ihren Vorsprung auch heraussegeln.“
Die geschlagenen D35 lieferten sich trotz ihres haushohen Rückstands auf den Leader ein enges Rennen. Sieben Katamarane überquerten die Ziellinie innerhalb von fünf Minuten: Christian Wahl als erster, dahinter Alinghi und Realstone, „Ich bin gerade die intensivste Bol d’Or meiner Karriere gesegelt“, urteilte der Skipper der Team SUI 9, der die Regatta erstmals mit seinem eigenen Katamaran-Projekt bestritten hat. „Auf mir lastete weniger Druck als wenn ich für andere Teams gesegelt bin. Hier musste ich meine Entscheidungen ganz allein verantworten. Das liegt mir offenbar.“
Mirabaud bei den Surprise
Die teilnehmerstärkste Flotte, die Surprise, waren mit rund hundert Einheiten vertreten. Sie erlebten Ähnliches. Mirabaud 1 mit Cyrus Golchan nahm ihrer direkten Verfolgerin Luna von Renaud Stitelmann fast eine Stunde ab. Dritte wurde La Marieflo von Pierre Moerch. Der Gewinner erfuhr erst im Ziel von seinem Sieg. „Ich bin unglaublich erleichtert“, gestand Cyrus Golchan. Bewundernd erzählte er: „Alan Roura, der sich auf die Mini Transat vorbereitet, ist in der Nacht darauf bereits wieder in die Bretagne gefahren, um am Mini Fastnet teilzunehmen. Der Junge ist auf einem Segelboot aufgewachsen und hat für sein zartes Alter ein unglaubliches Engagement bewiesen.“ Antonio Palma, CEO von Mirabaud, war ebenfalls mit an Bord und natürlich überglücklich über den Sieg. „Das Team hat bereits vor zwei Jahren gewonnen, ich war aber nicht dabei. Dieses Mal konnte ich den Sieg mit ihnen zusammen geniessen“, freute er sich.
Zwar sorgen vor allem die Katamarane für Schlagzeilen, trotzdem ist und bleibt die Bol d’Or Mirabaud in erster Linie eine Regatta für Einrümpfer und Einheitsboote wie die Surprise, die Grand Surprise und die Toucan. © Loris von Siebenthal
Arrêté une heure sur la ligne
Eine Stunde Wartezeit auf der Linie
Auch der Sieger bei den Grand Surprise, die Morpho By Kurt Salmon, erlebte ein hochgradig intensives Rennen. „Diese Bol d’Or war unser Ziel und wir haben uns entsprechend darauf vorbereitet“, sagte Jean-Marie Mechelany und meinte dann augenzwinkernd: „Wir haben sogar auf die Genève-Rolle verzichtet, weil wir verhindern wollten, dass sich der Spruch ‘wer die erste gewinnt, dem entgeht die zweite’ bewahrheitet.“ Der Skipper berichtete akribisch genau über den Regattaverlauf und erklärte, dass die Phase kurz vor der Einfahrt in den unteren Genfersee gegen Ende der Nacht sieg-entscheidend gewesen sei. „Wir haben zweimal 120 Grad vom Ziel entfernt gehalst, um zurückzufallen und Wind zu erwischen. Nach dreizehn Jahren an der Bol d’Or kennen wir die Tricks langsam. Man darf nicht zögern, sich von der direkten Linie zu entfernen, wenn es strategisch sinnvoller ist.“ Es war aber dennoch ein hartes Stück Arbeit: „Niemand von uns hat auch nur eine einzige Minute geschlafen, nicht einmal die 14-jährige französische Nachwuchsseglerin Zoë Lacroix. Alle haben ihr Maximum gegeben, wir haben den Spi bestimmt 50 Mal gehisst. Der Clou aber war, dass wir von der Einfahrtsboje bis zur Ziellinie eine geschlagene Stunde gebraucht haben. Das war der einzige Moment, an dem wir festgesessen sind. Wir dachten, wir kämen nie weiter.“
TeamWork, die von Antoine Thorens gesteuerte Ventilo M2, konnte sich nach einem harten Kampf in ihrer Klasse als Siegerin feiern lassen. © Loris von Siebenthal
Im Ziel schwärmten die Teilnehmer einhellig von der anstrengenden Regatta. Antoine Thorens, der die Wertung der M2 auf TeamWork vor Safram und GSMN Genolier gewann, wies darauf hin, wie viel die wenigen Sekunden zwischen den drei Erstplatzierten über den Rennverlauf aussagen. Der zweitplatzierte Rodolphe Gautier von Safram meinte anerkennend. „Sie haben sich festgebissen und bis zum Schluss keinen Zentimeter verschenkt. Ihr Sieg ist nach dieser tollen Leistung hochverdient.“
Das viele Lob über die gelungene Regatta war natürlich Musik in den Ohren der Organisatoren. Sie hätten nicht besser belohnt werden können. Dass auch noch ein Outsider die 75. Bol d’Or gewinnen konnte, machte den Erfolg perfekt. Der nächste Jubiläumslass wird das 100-Jährige sein. Bis dahin gibt es aber noch 25 weitere schöne Kapitel zu schreiben.
Technologisches Labor: Die Bol d’Or war schon immer ein Nährboden für kühne Ideen. © Loris von Siebenthal