Fotos : ©Iris Kürschner
Wie üblich verhüllt eine dicke Wolke die Soufrière, den höchsten Berg der Karibik. Wir verlassen das ruhige Gewässer von Guadeloupe und nehmen Kurs auf Marie-Galante. Wir wollen unsere Traumferien so richtig geniessen und uns nicht mit der Navigation herumschlagen, also leisten wir uns den Luxus, einen entspannten Törn mit Skipper und Hostess zu buchen. Dan, unser in einem kleinen Dorf an der Côte d’Azur aufgewachsene Skipper, ist Vollblutsegler. Kaum konnte er laufen, nahm ihn sein Vater schon mit aufs Boot. Mit 16 war er bereits Segellehrer. Jahre später wanderte er in das französische Überseedepartement Guadeloupe aus. Die Karibik ist sein Segeltraum, ein so weitläufiges Gebiet, dass ihm niemand in die Quere kommt. Diesmal hat er seine 19-jährige Tochter Lea als Hostess mit an Bord genommen.
Durch den Guadeloupe-Archipel im Herzen des Antillenbogens soll es mit einer Catana 47 nordwärts gehen und ein Bogen über Antigua geschlagen werden. Der genaue Routenverlauf ist wind- und wetterabhängig. Zu Törnbeginn stehen die Zeichen allerdings gegen uns. Es wird rau werden, warnt Skipper Dan und bläut uns drei Regeln ein. Regel Nr.1: Nicht über Bord gehen. Regel Nr. 2: Immer mit einer Hand am Boot festhalten. Regel Nr. 3: Sich nie gegen den Wind übergeben. Der Wind kommt aus der „falschen“ Richtung und ist zudem extrem böig. Dan versucht zu kreuzen. Damit wir Marie-Galante doch noch am Abend erreichen, entscheidet er sich schliesslich für eine Kombination aus Segeln und Motor.
Eau de vie
Es ist Zwischensaison. Die Regenzeit hat auf den gebirgigen Inseln wie Guadeloupe oder Dominica früher begonnen als erwartet. Wird der Regen auch uns erwischen? Doch Marie-Galante ist flach und rund wie ein Pfannkuchen, weshalb sie die Einheimischen scherzhaft La Galette nennen. Gut für uns, denn hier kann sich keine Wolke an irgendeinem Gipfel festsetzen. Himmel und Wasser leuchten glasklar. Die Abendsonne taucht das Fischerdörfchen Saint-Louis, wo wir vor Anker gehen, in ein warmes Licht. Die Insel hat sich dem Zuckerrohranbau verschrieben. Nirgends wird besserer Rum destilliert, schwört Dan, nirgends ist er so rein und so stark – bis 59°. Wir decken uns ein. Mit rund fünf Liter Rum glauben wir uns ausreichend versorgt für den bevorstehenden Segeltörn. Von wegen! Zurück auf dem Schiff weiht uns Dan gleich am Abend in seine Cocktail-Künste ein. Schon das richtige Auspressen einer Limone will gekonnt sein. Das tägliche Ritual des Ti-Punch lässt unseren Rumvorrat rasant schwinden…
Herrliche Strände säumen Marie-Galante; manchen haben wir ganz für uns allein. Besonderer Blickfang vom Plage de Vieux-Fort im Nordwesten ist ein winziges Inselchen mit ein paar Palmen, die wie einsame Härchen auf einer Glatze in der Brise wehen. Vor ein paar Jahren waren es nur zwei Bäume, erinnert sich Dan. Als wir vorbeigleiten, stieben Scharen von Seevögeln auf. Wieder ist die See rau. Mit Halbwindkurs geht es nach Nordosten. Staunend betrachten wir einen Schwarm eleganter Delfine, die für eine Weile mit dem Boot mitziehen.
Jurassic Park auf Petite Terre
Wir steuern die beiden unbewohnten Inseln von Petite Terre an, die etwa fünf Seemeilen vor dem Ostzipfel von Guadeloupe liegen. Sie bilden eine Lagune, die durch ein Riff gegen die Wellen des Atlantiks abgeschirmt wird. Ein Traum zum Schnorcheln! Das Meer ist türkisblau und durchsichtig bis auf den Grund. Fischsilhouetten huschen vorbei und eine gewaltige Schildkröte steckt wie zur Begrüssung ihren Kopf aus dem Wasser.
Seit 1998 steht Petite Terre unter Naturschutz. Damit der Meeresboden unberührt bleibt, darf kein Schiff seinen Anker werfen. Stattdessen wird an Bojen festgemacht. Dieses Manöver bedarf aufgrund der starken Strömung einer Präzision, die Dan und Lea voll und ganz beherrschen. Immer wieder werden die beiden in den folgenden zwei Tagen unseres Aufenthalts dem einen oder anderen Boot beim Anlegen behilflich sein. Gegen zehn Uhr morgens trudeln Tagesausflügler ein, bevölkern den Lagunenstrand und besuchen den Leuchtturm, um gegen Nachmittag wieder zu verschwinden. Abseits sind wir allein und entdecken, dass der als Lehrpfad angelegte Weg dorthin in den Morgen- und Abendstunden weitaus spannender ist. Plötzlich erwachen die Antillenleguane, die sich vor der Hitze verkrochen haben, zum Leben. Iguana delicatissima – der Name verrät, dass die Tiere einst gejagt und als Delikatesse verzehrt wurden. Die Spezies steht auf der Roten Liste der gefährdeten Arten und ist nur noch in Schutzgebieten anzutreffen: auf Martinique, Dominica, St. Eustatius und eben auf Petite Terre. Die bis zu 1,60 Meter langen Reptilien flössen zwar mächtig Respekt ein, stellen aber keine Gefahr dar. Beeindruckende Geschöpfe, die wie Mini-Dinosaurier anmuten und uns immer wieder durch ihre wundersame Tarnung erschrecken oder Rivalenkämpfe darbieten.
Genauso faszinierend ist die Welt unter Wasser. Kleine Zitronenhaie kommen fast bis an den Strand. Sie sind ungefährlich, aber sehr neugierig, klärt uns Dan auf. Man sollte sie jedoch nicht füttern, sonst knabbern sie einen möglicherweise an, was durchaus schon vorgekommen sei. Schwärme schillernder Papageienfische gleiten durch die Lagune. Wir erspähen Riffbarsche, Barrakudas, Rochen, Tabakfische… und immer wieder Schildkröten. Dan und Lea berichten, dass dieses Paradies bedroht ist. Durch das Absterben der Korallen verliert die vielfältige Fauna zunehmend ihren Lebensraum und es kann sich eine Alge ausbreiten, die ein spezielles Gift absondert. Ein anderer winziger Meeresbewohner namens Gambierdiscus toxicus, ein Geisseltierchen, nimmt dieses Toxin auf und wird wiederum von Fischen gefressen. Belastet sind vor allem territoriale Raubfische wie Barrakudas, Zackenbarsche oder Muränen. Dan will kein Risiko eingehen und wirft unseren ersten Anglererfolg, einen Barrakuda, zu unserer Enttäuschung sofort zurück ins Meer. Der Verzehr eines infizierten Tieres kann eine Nervenkrankheit hervorrufen, für die es keine Heilung gibt.
Die Nacht bricht herein. Die Phase der Dämmerung ist aufgrund der Äquatornähe nur sehr kurz. Schon tastet der 183 Jahre alte Leuchtturm, der von den Einheimischen als „Phare du bout du monde“ bezeichnet wird, mit seinen Strahlen das Meer ab. Lea kocht wie jeden Abend wunderbar. Es gibt gefüllte, überbackene Christophines und marinierte Truthahn-spiesse. Mit vollem Bauch geniessen wir bei einem Ti-Punch die tropische Karibiknacht und lauschen dem melodischen Pfeifen der Frösche, das von der nahen Insel herüberklingt.
Karibisches Meeresleuchten
Als nächstes Ziel steht Antigua auf dem Törnplan. Die kommende Nacht ist dem Segeln gewidmet. Wir sind alle aufgeregt, steht uns doch eine gänzlich neue Erfahrung bevor. Hauptsegel und Gennaker werden ausgefahren, das geschäftige Treiben schafft Ablenkung. Alle Schotten dicht?
Kaum aus der ruhigen Lagune, packen Wind und Wellen das Boot, die Segel blähen sich, das Log klettert auf 12 Knoten. Besser könnte es nicht sein. Mit sturmzerzaustem Haar steht Dan zufrieden am Steuer. Er schwört auf das Segeln mit einem Catana-Katamaran. Die Boote sind geräumiger, liegen ruhiger im Wasser und bringen im Vergleich zu den meisten Monohulls höhere Geschwindigkeiten.
Feuerwerk: Die schönsten Sonnenuntergänge über English Harbour erlebt man von den Shirley Heights. © Iris Kürschner
Die Fahrt in den Sonnenuntergang ist unbeschreiblich schön. Durch die klare Luft scheinen die Inseln zum Greifen nah. Die Gedanken schweifen ab ins Jahr 1493, als der Mannschaft von Kolumbus das seit Tagen rationierte Trinkwasser langsam ausging. Was muss das für ein Gefühl gewesen sein? La Désirade wirkt wie ein Tafelberg, zu steil ist die Küste, um an Land zu gehen, geblieben ist der Wunsch im Namen. Die Erlösung folgt sechs Seemeilen weiter westlich, wo sich Grande Terre, der flache Part von Guadeloupe, erhebt. Spektakulär sind die Felsformationen am östlichsten Punkt der Insel. Wie die scharfen, schwarzen Zähne eines Raubfisches erscheint die Pointe des Châteaux im Gegenlicht. Die Gischt tobt über die Klippen, während die Sonne langsam hinter dem schmalen Landstreifen versinkt. Schwarz ist die Nacht nicht. In den Wogen bilden sich Funken, als seien Tausend Sternschnuppen vom Himmel gefallen. Die vom Plankton verursachte Lumineszenz verwandelt das Meer in eine glitzernde, tanzende See. Stundenlang lässt sich an Deck in die Unendlichkeit träumen. Irgendwann kommt aber doch die Müdigkeit, abwechselnd wird Wache geschoben. „Vert sur vert, tout est clair. Rouge sur rouge, rien ne bouge.“ Die Eselsbrücke soll helfen, die Schiffslichter richtig zu deuten.
Einen Strand für jeden Tag
Die Nacht geht reibungslos über die Bühne. Nur fliegende Fische verirren sich auf unseren Katamaran und geben eine leckere Abwechslung für das Frühstück her. Am Morgen erreichen wir den seit 1981 unabhängigen Inselstaat Antigua, dessen Namen die Bürger „Antigaah“ aussprechen. Die Ureinwohner haben die Insel Wadadli getauft, geblieben ist der Name nur auf dem Etikett der lokalen Biermarke. Kolumbus benannte sie nach einer Ikone der Kathedrale von Sevilla Santa Maria de la Antigua. Sie ist voller wild verästelter Buchten und sturmsicherer Ankerplätze. Der Insel berühmtestes „Hurricane Hole“ wurde 1743 von den Briten unter Admiral Nelson zur Festung ausgebaut und hiess fortan English Harbour. Nelson’s Dockyard ist ein Juwel, weltweit der einzige komplett erhaltene georgische Hafen mit Admiralshaus, Speichern und alten Bootsschuppensäulen. Die historischen Gebäude versetzen uns Jahrhunderte zurück. Nachdem Dan einklariert hat, bummeln wir durch die Gassen, es sind kaum Touristen unterwegs, es herrscht träge Gelassenheit und aus der Bar ertönt Calypso-Sound. Einige Einheimische sitzen beim Warri, einem beliebten Brettspiel, andere leisten einem Fischer beim Kingfish-Ausnehmen Gesellschaft. Ein Muss ist der Ausflug zu Shirley’s Heights, von wo aus man English Harbour überblickt. Es ist interessanter, auf das Taxi zu verzichten und dem Fusspfad auf die Anhöhe zu folgen. Desmond’s Trail bietet ein botanisches Erlebnis in einer faszinierenden Sukkulentenwelt. Über der Bucht lässt der Sonnenuntergang ein dramatisches Feuerwerk entstehen und eine einzelne Wolke schüttet gerade ihre Tränen aus. Dank Stirnlampen finden wir zurück an Bord. Ein Barbecue vollendet den Abend.
Antigua hat so viele Strände, dass sie die Tage eines Jahres füllen. Sie sind das Kapital der Insel. Auf Klippen thronen Promivillen, wie die von Eric Clapton, Jean-Paul Belmondo oder Giorgio Armani. Selbst Queen Elisabeth, so heisst es, habe sich beim Staatsbesuch zu einem Bad verführen lassen, dem ersten und einzigen in ihrer Amtszeit. Noch schöner ist es, inmitten der kitschigen Inselkulisse einfach vom Boot ins badewannenwarme Wasser zu springen. Green Island gehört zu den Orten, die man nicht mehr verlassen möchte. Die Privatinsel an der Ostküste im riffgeschützten Bereich der Nonsuch Bay ist ein beliebter Seglerstopp, den auch wir aufsuchen. Doch zu dieser Jahreszeit fühlt man sich als Pionier. Ein einsamer Strand nach dem anderen wird erkundet. Unsere bunten Kajaks kontrastieren mit dem Türkisblau der glatten See. Die Zeit verrinnt wie Wasser durch die Hände.
Wir nehmen Kurs auf Guadeloupe und schnorcheln in der Réserve Cousteau bei den Ilêts Pigeon. Die artenreichen Gewässer sind dank des grossen Meeresforschers Jacques-Yves Cousteau seit 2009 Bestandteil des Nationalparks. Unser letztes Ziel vor der Rückkehr nach Pointe-à-Pitre ist die Inselgruppe Les Saintes. Dan weiss von einer Delfinfamilie, die dort seit Kurzem in einer Bucht lebt. Kaum sind wir in der Anse Galet vor Anker gegangen, sichten wir ihre Rückenflossen, als hätten sie auf uns gewartet. „Da ist Queue cassée.“ Dan fingert aufgeregt seine Filmkamera heraus. „Wir nennen die Delfinmutter wegen ihrer eingeschnittenen Rückenflosse so.“ Hals über Kopf geht es ab ins Wasser. Elegant gleiten Mutter und Kind, ständig im Körperkontakt, durch das klare, unendliche Blau. Gebündelte Sonnenstrahlen verzaubern die stille Szene zum Märchen. Queue cassée ist hochschwanger, zu schwer für ihre sonst üblichen Freudensprünge. Sie bewegt sich bedächtig, bleibt aber in Sichtweite. Ihr Smile wird uns ewig in Erinnerung bleiben.