Wer zu den Kanarischen Inseln segelt oder die iberische Halbinsel auf der Fahrt vom Atlantik ins Mittelmeer umrundet, der passiert in jedem Fall auch die Algarve. An der rund hundert Seemeilen langen Küste zwischen dem Cabo de São Vicente und dem Rio Guadiana herrscht bis Anfang Winter ein angenehmes Klima mit dominierendem Nordwind. Ideale Voraussetzungen also, um die Region in aller Ruhe zu erkunden, ohne sich Gedanken über das Wetter machen zu müssen.
Die Einrichtungen für Segelboote entsprechen dem europäischen Standard und bieten sich auch wegen der günstigen Überwinterungspreise als interessanter technischer Zwischenstopp an. Preiswerter ist nur die Westküste! Doch auch abgesehen von rein finanziellen Erwägungen ist die Algarve einen Abstecher wert. Der verwunschene Küstenstrich ist einigen als paradiesisch betitelten karibischen Inseln absolut ebenbürtig.
Vorbei an São Vicente
Die Segler aus dem Norden gelangen über das berühmte Cabo de São Vicente in die Algarve. Die symbolträchtige Südwestspitze des europäischen Festlands war Schauplatz mehrerer bedeutender Seeschlachten. Auf dem Kap befinden sich der lichtstärkste Leuchtturm Europas und ein Kloster. Östlich davon erkennt man die Landzunge Ponta de Sagres mit ihrer Festung. Im Sommer, wenn der Nordada kräftig aufdreht, ist manch ein Segler erleichtert, wenn er das Kap hinter sich gebracht hat und sich nach einer langen Fahrt in Sicherheit bringen kann. Da sich manchmal vor dem Kap hohe Wellen bilden, sollte man einen Sicherheitsabstand von guten zwei Seemeilen einhalten. Vor der Landspitze wird der Fallwind stärker und der Seegang nimmt zu. Auf der Karte ist vor der Küste ein 5 bis 14 Seemeilen breites Verkehrstrennungsgebiet eingezeichnet.
Zwei geschützte Buchten östlich des Kaps eignen sich zumindest tagsüber gut als Liegeplätze. In der Enseada de Belixe und der Enseada de Sagres können Boote auf dem Weg in Richtung Norden warten, bis die Strömung günstig ist. Man benötigt jedoch eine relativ lange Ankerkette, denn hier liegt die Meerestiefe bei 14 Metern.
Zum ersten Tag und Nacht geschützten Ankerplatz muss man noch ein paar Seemeilen weiter nach Baleeira segeln. Die Bucht liegt direkt unterhalb von Sagres (Biertrinkern dürfte der Name bekannt sein). Sie ist durch einen Deich und eine Inselgruppe bestens geschützt und beherbergt einen Fischerhafen, für den sich ein mehrtägiger Aufenthalt lohnt. Auf den ersten Blick wirkt der Ort nicht besonders einladend, aber der Eindruck täuscht. Das kleine Dorf ist durchaus reizvoll. Die Umgebung eignet sich für Wanderungen, vor allem entlang der Klippen der Ponta de Atalaia, die einen Vorgeschmack auf die unzähligen Möglichkeiten in der Region liefert. Durchtrainierte können eine Tagestour bis zum Cabo de São Vicente unternehmen oder zur Walbeobachtung mit einem Zodiac aufs Meer hinausfahren. Meistens haben die Segler schon bei der Anfahrt den einen oder anderen Meeressäuger gekreuzt, denn in der Region leben grosse Populationen unterschiedlichster Walarten.
Lagos, die Entertainerin
Nach diesem Aufenthalt in einem unverfälschten Teil der Algarve geht die Reise weiter in Richtung Osten nach Lagos am Ufer des Rio Bensafrim. Zum Fluss gelangt man über eine Bucht, die in der Ponta de Piedade endet. Sie ist das Tagesziel vieler Touristen, die hier vor den Klippen die Sonne geniessen. Bei schönem Wetter kann in der Nähe der Felsen und kleinen Inseln geankert werden. Mit dem Beiboot lassen sich anschliessend die vielen Grotten und Gewölbegänge erforschen. Wer die Nacht nicht in der Marina verbringen möchte, findet bei Nordwind östlich des Deichs einen geeigneten Liegeplatz. Von dort ist es mit dem Dinghi nicht mehr weit bis zum winzigen Hafen westlich der Kanaleinfahrt neben dem Club Vela de Lagos, wo das Boot ohne Bedenken zurückgelassen werden kann. Dabei müssen aber unbedingt die Gezeiten berücksichtigt werden. Ebbe und Flut können eine bis zu drei Knoten schnelle Strömung verursachen und die Wellenbrecher ausschalten.
Die Marina bietet zwar alle nötigen Dienstleistungen, ist aber bis Ende September horrend teuer, was schon manch einen Fahrtensegler abgeschreckt hat. Trotzdem lohnt sich ein Halt, denn Lagos ist eine lebendige Stadt mit einem pulsierenden Nachtleben. Von der Marina gelangt man über eine Fussgängerbrücke direkt ins Stadtzentrum. Auf den Terrassen der Altstadt sorgen zahlreiche Strassenkünstler für Unterhaltung. Lagos ist ziemlich touristisch, wenn man aber die besucherstärksten Monate meidet, lässt es sich hier gut leben.
Nombreuses, les marinas sont généralement chères, mais offrent toutes les commodités que l’ont peut attendre. Elles manquent par contre d’authenticité. © José Manuel
Sonnenanbeter und Wasserratten finden am Strand östlich der Wellenbrecher ihr Glück. Der Strand erstreckt sich in einem langen Band bis nach Portimão und gilt als schönster der ganzen Provinz.
Geruhsames Dorfleben
Nach dem betriebsamen Lagos ist Alvor der richtige Ort, um sich von den Menschenmassen und der Völlerei zu erholen. Das kleine, ehemals verschlafene Fischerdorf hat sich zwar in den letzten Jahren touristisch auch weiterentwickelt, die Bautätigkeiten sind aber nicht mit Lagos zu vergleichen. Alvor ist ein lebhaftes Städtchen mit unbestreitbarem Charme und ideal, um die wilde Seite der Algarve kennenzulernen und gleichzeitig von den Annehmlichkeiten einer grösseren Ortschaft zu profitieren. Wer das Dorf meiden möchte, kann bei der Laguneneinfahrt direkt hinter den Wellenbrechern aus den 1990er-Jahren ankern. Bei Ebbe gibt das Wasser dort eine kleine Sandinsel frei, die von Fahrtenseglern rege genutzt wird. Eine empfehlenswerte Alternative ist der bei allen Windverhältnissen gut geschützte Liegeplatz vor Alvor.
Alvor mit seinen vielen irischen Pubs und den zahlreichen typischen Restaurants ist aber einen Aufenthalt wert. Abends laden die malerischen Gassen zu einem Bummel ein. In den Bars treten fast täglich Live-Bands auf, denen man bei einem guten Glas Wein lauschen kann. Tagsüber bietet sich ein Spaziergang durch die Dünen an, wo man von den Aussichtsplattformen Vögel beobachten kann, bevor man sich in einem der beiden Strandrestaurants verköstigen lässt.
Weiter östlich erreicht man die Stadt Portimão. Auch sie kann ein interessanter Zwischenstopp sein. Zwei breite Wellenbrecher ermöglichen die Einfahrt in die grosse Bucht. Obwohl hier das Boot bei Südwestwind ziemlich stark rollt, lässt sich hinter dem östlichen Deich hervorragend ankern. Die direkt gegenüberliegende Marina ist genauso überteuert ist wie in Lagos. Die Stadt selbst liegt etwas weiter oben am Rio Arade. Im Zentrum befindet sich ein kleiner Jachthafen für Einheimische, an dessen Aussensteg Boote auf der Durchfahrt zu einem deutlich erschwinglicheren Preis festmachen können.
Zusätzlich zu den Annehmlichkeiten einer Stadt und den Einkaufsmöglichkeiten lohnt sich ein Zwischenstopp aber vor allem wegen des Dorfes Ferragudo am Ostufer der Bucht, direkt gegenüber Portimão. Dort bekommt man fangfrische, herrlich gegrillte Fische vorgesetzt. Für Feinschmecker ein Genuss!
Das Paradies zum Greifen nah
Die Marinas von Albufeiras und Villamoura sind uninteressant. Hier wird Touristen höchstens das Geld aus der Tasche gezogen. Die beiden Retortenstädte haben genauso wenig Charme wie La Grande Motte oder Port-Camargue. Fantasielose Restaurants, lärmige Pubs und aufdringliche Händler wirken abschreckend. Wer aber nach einem bestimmten Service für sein Boot sucht, ist hier vielleicht trotzdem richtig.
Bei der Weiterfahrt in Richtung Cabo de Santa Maria an der Einfahrt zur Lagune von Faro und Olhão zeigt uns die Algarve dann wieder ihre wilde Seite. Labyrinthartig ziehen sich Wasserstrassen auf einer Gesamtlänge von 30 Seemeilen durch den Naturpark, in dem die grössten Storchpopulationen des Kontinents leben. In Olhão sind Touristen eher Mangelware, der Aufenthalt gestaltet sich entsprechend angenehm. Den samstäglichen Markt sollte man auf keinen Fall verpassen.
Das Highlight eines jeden Törns in der Algarve ist aber zweifelsohne die autofreie Insel Culatra. Ein echtes Paradies auf Erden mit idyllischem, ruhigem Ankerplatz, kleinen, günstigen und sehr sympathischen Lokalen und langen Spazierwegen durch Dünen oder entlang von Flussläufen. Der Ort übt eine unglaubliche Faszination aus. Es kommt immer wieder vor, dass Fahrtensegler, die eigentlich nur ein paar Tage hier Halt machen wollten, mehrere Monate oder sogar Jahre bleiben. In den Kanälen finden Fischer ihr Glück. Hier wimmelt es von Tintenfischen, Kraken und Goldbrassen.
Für Boote auf dem Weg ins Mittelmeer bieten sich mit Tavira und Vila Real de Santo Antonio an der spanischen Grenze zwei weitere empfehlenswerte Zwischenstopps an. An die so unvergleichliche und überraschende Algarve kommen sie aber nicht heran.