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Fliegende Open 60‘

von Quentin Mayerat

3D-Modell der Open 60’ IMOCA für die nächste Vendée Globe © zvg

Als erster wird Armel Le Cléac’h versuchen, mit seiner neuen Banque Populaire die Gesetze der Schwerkraft auszuschalten. Sie soll im April zu Wasser gelassen werden und läutet eine Revolution im Segelsport ein. Die Rennmaschine ist auf beiden Seiten mit je einem 2,50 m langen, nach oben gebogenem Foil ausgestattet. Sie ersetzen die Klappschwerter der IMOCA. Mit dieser Neuerung könnte es Le Cléac’h gelingen, den von François Gabart an der Vendée Globe 2013 aufgestellten Rekord von 78 Tagen um zwei Tage zu unterbieten. In den vergangenen Monaten wurden auf einer Mini 6,50 m Tests mit unterschiedlich stark gebogenen Tragflächen durchgeführt. „Die Wahl fiel schliesslich auf das Modell, mit dem das Boot auf raumem Kurs zwei bis drei Knoten schneller war“, sagt der Skipper.

Armel Le Cléac’h hat auf seiner Mini 6,50 verschiedene Tragflächen getestet, bevor er die Foils für seine Open 60’ entwarf. © Yvan Zedda

Obwohl er der erste auf dem Wasser ist, wird er nicht der einzige bleiben. Auch die anderen fünf neuen Open 60’ stammen aus dem De-signbüro VPLP-Verdier und werden mit solchen Tragflächen ausgestattet sein. Ihr Zweck besteht darin, auf bestimmten Kursen den Rumpf zu entlasten und so durch weniger Wasserreibung Tempo zu gewinnen. Dafür sorgt einerseits der kantige Foil der Schwenkkiele. Der von ihm verursachte Aufwärtsschub entspricht einem Gewichtgewinn von schätzungsweise einer Tonne. „Andererseits mussten die Foils so gestaltet werden, dass das vom Kiel eingebüsste aufrichtenden Moment kompensiert wird“, erläutert VPLP das Vorgehen. Als Modell dienten die Tragflächen der America’s Cupper, mit denen die Konstrukteure bereits Erfahrungen haben“, wie der Bretone Le Cléac’h bei der Präsentation der Banque Populaire VIII Ende Januar erklärte.

Er hat die beiden zweiten Plätze an den letzten beiden Vendée Globes noch immer nicht verdaut. Fest entschlossen, die Niederlagen nicht auf sich sitzen zu lassen, machte er sich erneut an die Arbeit, kaum hatte er wieder festen Boden unter den Füssen. Er überzeugte seinen Sponsor, ihm eine neue Jacht zu finanzieren, die auf den neusten technologischen Erkenntnissen aufbaut. „Das Projekt war rechtzeitig zur Veröffentlichung der neuen IMOCA- Bauvorschriften bereit“, erzählt der Designer Vincent Lauriot-Prévost, der mit seinem Büro gleichzeitig an der Safran, der Hugo Boss, der St-Michel-Virbac, der Edmond de Rothschild und der Vento di Sardegna arbeitet. Die neuen Regeln haben die Philosophie der Open-Klasse verändert und den Jachten unter anderem identische Masten und Kiele vorgeschrieben. Sie wurden von den 20 IMOCA-Skippern verabschiedet und traten am 1. Januar 2015 in Kraft. Dass sie ansonsten mehr Spielraum für Kreativität lassen, wird allgemein sehr geschätzt, so auch von Bernard Stamm. Er ist zwar nicht direkt davon betroffen, da ihm nach eigenen Aussagen das Geld für eine Teilnahme an der Vendée Globe 2016 fehlt, trotzdem freut sich der Schweizer darüber, dass einige seiner Kollegen diese Innovation wagen. „Sie ist ein grosser Schritt nach vorne“ sagte Stamm, äus-serte aber gleichzeitig leise Zweifel: „Bleibt abzuwarten, wie sich die Foils im Südpolarmeer machen. Wie sie sich wohl bei langen Wellen verhalten?“ Seine Bedenken sind verständlich, denn bei solchen Bedingungen werden die seitlichen Foils extrem stark beansprucht.

Der Skipper der Banque Populaire analysierte die Testergebnisse gemeinsam mit dem ehemaligen America’s-Cup-Steuermann Bertrand Pacé. © Yvan Zedda

Mehrere Unbekannte

„Die Foils werden schwerer sein als klassische Schwerter. Damit sie dem Druck standhalten, benötigen sie eine entsprechend stabile Struktur. Zusammen mit dem Rumpf entsteht ein Hebeleffekt, was auch den Druck auf den Mast erhöht“, analysiert Stéphane Dyen, der Leiter des Forschungsbüros Hydros Innovation in Lausanne. Der Ansatz sei interessant, befindet der Fachmann für Hydrodynamik, aber: „Es wird auf einen Kompromiss herauslaufen: Das, was man vor dem Wind gewinnt, verliert man aufgrund des Wasserwiderstandes am Wind.“ Eine weitere Unbekannte ist das Verhalten des Bootes in den Wellen. Wie wird der Einhandskipper das Boot stabilisieren können? „Beim America’s Cup wie auch beim Little Cup haben wir es mit leichten Katamaranen zu tun, auf denen ein Trimmer ständig die nötigen Einstellungen macht“, vergleicht der Experte. „Wenn man drei Knoten gewinnt, aber das Boot nicht kursstabil ist, ist dieser Gewinn wieder weg. Es zählt einzig die Durchschnittsgeschwindigkeit über Grund.“ Schnelle Boote müssen zwingend kursstabil sein. Das weiss auch Denis Horeau. „Im Little Cup waren unsere Kats schneller, aber weniger stabil als Groupama und sie hat gewonnen“, erinnert er sich. Stéphane Dyen, der Ingenieur hinter den Hydros-Katamaranen des Little Cups 2014, ist gespannt, wie die Open 60’ die Zweihandregatta Jacques Vabre, die vor allem aus Vorwindkursen besteht, meistern.

An der Steuerbordseite ist deutlich das nach oben gebogene Foil zu erkennen. © Yvan Zedda

Er ist nicht der einzige, der den tatsächlichen Nutzen der Tragflächen auf Einhandbooten hinterfragt. „Man hat allein schon mit dem Computer, dem Ausbalancieren, dem Wetter und dem Trimm alle Hände voll zu tun“, betont Jean Le Cam wie gewohnt pragmatisch. Armel Le Cléac’h hat entsprechend vorgesorgt und die Ergonomie seines Cockpits überarbeitet, damit er das Boot möglichst oft unter guten Bedingungen steuern kann. Er muss allerdings seinem Autopiloten vertrauen.

„Die Entwicklung entspricht dem Zeitgeist. An den Rümpfen kann kaum noch etwas verbessert werden“, urteilt Fabrice Germond, ein in Lausanne ansässiger Konstrukteur und ehemaliger Mini-Segler. Er hätte seine 6,50-m-Jacht im Jahr 2000 gerne mit Tragflächen ausgestattet, die Bauvorschriften machten ihm aber einen Strich durch die Rechnung. Der Designer warnt jedoch davor, dass solche Foils extrem anfällig sind: „Schon die normalen Ruder brechen häufig, wie wird das erst mit gebogenen Seitenfoils sein, die sich an der Grenze der Bruchfestigkeit bewegen und bestimmt einige Schläge abbekommen?“ Diese Gefahr ist angesichts des vielen Treibguts auf dem Ozean nicht zu unterschätzen. Abschliessend meinte Germond treffend: „Das Konzept ist interessant, birgt aber zusätzliche Risiken.“

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