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Mitten im Atlantik Ein Hoch auf die Azoren

von Quentin Mayerat

Die Azoren waren lange nur ein Zwischenstopp auf dem Weg über den grossen Teich, verdienen aber eindeutig mehr Aufmerksamkeit. Immer mehr Segler haben die Inselgruppe für sich entdeckt und verbringen einen ganzen Sommer in dem reizvollen Revier. 

Bei Atlantiküberquerern reicht die Erwähnung des Sportcafés „chez Peter“ gewöhnlich aus, um tief verborgene Erinnerungen an feuchtfröhliche Abende wachzurufen. Das Lokal in Horta, der Hauptstadt der Insel Faial, ist Kult und ein Muss für alle von den Antillen oder den Bermudas nach Europa heimkehrenden Crews. In der Marina finden jährlich mehr als 1500 Segelschiffe auf der Durchfahrt einen Liegeplatz.

Die Azoren lassen sich aber nicht auf diesen schon fast legendären Hafen reduzieren. Wer lange Törns mag und die Zeit aufbringen kann, neue Wege zu beschreiten und den Sommer abseits der vorgegebenen Touristenpfade zu verbringen, für den ist die Inselgruppe ein einziges Paradies. Nicht nur Faial, auch die anderen acht Inseln sind einen Besuch wert. Immer mehr Segler nehmen dafür die acht- bis zehntägige Anreise von der Atlantikküste oder von Gibraltar in Kauf. Wer sich für dieses Ziel entscheidet, organisiert meistens drei bis vier Besatzungen, die sich ein Boot von Ende Mai bis Ende August teilen, um so möglichst viel Zeit vor Ort verbringen zu können.

Der portugiesische Archipel erstreckt sich über ein relativ grosses Gebiet mitten im Atlantik. Er besteht aus einer nordwestlichen, einer zentralen und einer südöstlichen Inselgruppe. Das Zentrum befindet sich auf ungefähr 29° nördlicher Breite und 30° westlicher Länge. Rund 130 Seemeilen trennen Faial und das westliche Eiland Flores. Etwa gleich weit ist es in östlicher Richtung bis nach Sao Miguel, der grössten und am dichtesten besiedelten Insel. Wer nicht allzu viel Zeit auf dem Wasser verbringen möchte, beschränkt sich am besten auf die zentrale Gruppe mit ihren fünf höchst abwechslungsreichen, jeweils nur rund 20 Seemeilen voneinander entfernen Inseln.

Mitten im Meer 

Zu behaupten, die Azoren lägen „mitten im Atlantik“, ist im Übrigen keineswegs eine Übertreibung. Tatsächlich liegt Flores, von vielen als Perle der Azoren bezeichnet, fast 1000 Seemeilen von der Küste Neufundlands und ebenso weit von Portugals Hauptstadt Lissabon entfernt. Ein Hauch von Exklusivität umgibt den Hafen von Lajes. Er wird fast nur von Seglern besucht, die gerade den grossen Teich überquert haben. Nur wenige entschliessen sich, der Insel Pico und seinem Hafen einen Besuch abzustatten, wenn sie erst einmal in Fajal sind. Von Amerika her kommend ist Flores das erste europäische Stück Land. In der Hauptsaison von Mai bis Juni schafft diese Eigenheit eine besondere Atmosphäre. In der kleinen Marina können sich die Segler langsam wieder an die Welt der Landratten gewöhnen. Mit viel Freundlichkeit und einem warmherzigen Empfang werden die Besucher von den Inselbewohnern willkommen geheissen. Um von einem Ort zum anderen zu gelangen, ist Autostopp an der Tagesordnung und die Privatautos der Einwohner werden als Mietwagen zur Verfügung gestellt, denn in dieser abgelegenen Region haben sich bisher keine Reiseagenturen niedergelassen. Für Atlantiküber querer, die während der langen Zeit auf dem Meer keine sozialen Kontakte pflegen konnten, ist das öffentliche Grillfest im Hafen ein wichtiger Anlass.

Trotz der unbestrittenen Attraktivität der Insel Flores entscheiden sich die meisten Segler für die Stadt Horta auf Faial. Der Hafen kann eine Menge Boote aufnehmen und die zahlreichen Dienstleistungen wurden den Bedürfnissen der Seeleute angepasst. Nicht so auf Flores: Dort wird bereits das Auftanken der Schiffe zum Problem. In Horta stehen dagegen Schiffsausrüster, Elektroniker und Mechaniker bereit, um die Havarien der Segelboote zu beheben. Und obwohl Ponta Delgada auf der Insel Sao Miguel das neuralgische Zentrum der Azoren bleibt, so ist Horta im Vergleich zur Hauptstadt immer noch weitaus authentischer.

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AUCH FÜR LANDRATTEN: DIE AZOREN SIND NICHT NUR EIN WUNDERBARES SEGELREVIER, SONDERN BIETEN AUCH VIELE WANDERMÖGLICHKEITEN. © Vincent Bresmal

Weltoffenheit und Landschaftsvielfalt 

Dass sich die Bevölkerung viel stärker an Nordamerika orientiert als an Europa mag erstaunen. Grund ist die starke Auswanderung in den 1950er- und 1970er-Jahren nach Neuengland und Kanada. Sie wurde von der vulkanischen Aktivität im letzten Jahrhundert ausgelöst, durch die sich die Bewohner mehrfach gezwungen sahen, ihre Inseln zu verlassen. Die verbliebenen 250‘000 Azorianer sprechen deshalb häufig Englisch und die nordamerikanische Diaspora kommt gerne hierher in die Ferien. Zudem gibt es sowohl von Boston als auch von Toronto aus mehrmals pro Woche Direktflüge nach Sao Miguel. Vermutlich hat diese Situation sehr viel zur legendären Weltoffenheit der Inselbewohner beigetragen, die sich gegenüber Ausländern und Touristen ausgesprochen gastfreundlich verhalten.

Aber auch die Umgebung sorgt für ungläubiges Staunen. Minutenlang verharren die Besucher und bewundern die rauen vulkanischen Landschaften, die grünen, von Hortensienhecken gesäumten Hügel und die satten, von schwarzweissen Kühen beweideten Wiesen. Bananenplantagen, tropische Wälder und kleine, dunstverhangene Seen wie in Schottland machen die unglaublich abwechslungsreiche Landschaft perfekt. Das Klima ist wechselhaft, selten zu heiss und nie wirklich kalt. Wie in England kann man auch hier an einem einzigen Tag alle vier Jahreszeiten durchleben.

Klimaphänomen Azorenhoch 

Auf den Azoren sind die Segelbedingungen ebenso vielfältig wie die Landschaften. Zwar weht meist ein Wind aus Westen, aber er kann auch aus allen anderen Richtungen kommen

und dabei mächtig aufdrehen. Hat sich aber das berühmte Azorenhoch über der Inselgruppe erst einmal eingerichtet, so kann über lange Perioden absolute Flaute herrschen und manche sonst eher unzugängliche Anlegestellen, insbesondere im Norden von Sao Jorge, sind problemlos erreichbar. Bevor man sich auf einen Ankerplatz festlegt, sollte man auf jeden Fall einen zuverlässigen Wetterbericht einholen, denn ein idyllisches Plätzchen kann sich urplötzlich in eine Hölle mit durchziehender Sturmfront verwandeln. Natürlich hat man immer die Möglichkeit, in einer Marina Zuflucht zu suchen. Auf jeder Insel gibt es mindestens eine und das zu einem wirklich erschwinglichen Preis (unter 20 Euro für ein 13,5 m langes Segelboot). Deshalb halten hier auch gern Boote mit bereits stark geschrumpfter Bordkasse und nutzen die sehr willkommenen Infrastrukturen.

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SEGELPARADIES: DIE INSELGRUPPE MITTEN IM ATLANTIK BIETET IDEALE TÖRNBEDINGUNGEN. © Sail Azores

Von Westen nach Osten 

Bei guter Sicht erkennt man von Flores aus die kleine, etwa dreissig Meilen entfernte Insel Corvo. Sie besteht aus einem erloschenen, 700 Meter hohen Vulkan und wird von knapp 500 Menschen besiedelt. Bootsanlegestellen sind keine vorhanden. Auf Corvo sieht man zwar kaum Schiffe, trotzdem kann ein Abstecher für Segler auf der Suche nach Neuem durchaus reizvoll sein. Allerdings sollte man vorher den Wetterbericht eingehend studieren, denn im Falle eines unerwarteten Wetterwechsels kann der Aufenthalt ziemlich ungemütlich werden.

Die etwas mehr als 100 Meilen weiter östlich gelegene zentrale Gruppe beginnt mit Faial und ihrem sehr gut ausgestatteten Hafen in Horta. Neben den ausgezeichneten nautischen Infrastrukturen verfügt die Insel über zahlreiche sehenswerte Naturdenkmäler. Das wohl bekannteste ist der Vulkankrater, die sogenannte Caldeira. Auch die hier produzierten Käsesorten sollte man sich nicht entgehen lassen, insbesondere wenn man über mehrere Monate auf gute Milchprodukte verzichten musste.

Im Süden ist die Insel Pico und ihr 2350 Meter hoher Berg Ponta do Pico häufig das erste, was die Segler nach einer Atlantiküberquerung zu sehen bekommen. Der Aufstieg zum Vulkankegel ist in einem Tag machbar, sofern man für die ersten 1000 Höhenmeter bis zum Ende der befahrbaren Strasse ein Taxi nimmt. Auf Pico gibt es aber nicht nur dieses eine bekannte Wahrzeichen. Die Insel ist auch für ihren süffigen Weisswein bekannt, der auf dem ganzen Archipel gerne getrunken wird.

Eine Fährstrecke führt zwischen Faial und Pico hindurch nach Sao Jorge, einem nach Meinung vieler Touristen ebenso interessanten Ziel wie Flores. Äusserst einladend wirkt der Hafen der Hauptstadt Velas. Die Liegeplätze im Norden vor den Fajas – fruchtbare Küstenebenen am Fuss mächtiger Felswände – sind einmalig, allerdings nur, sofern die Wetterlage das Anlegen zulässt.

Graciosa, die nördlichste der neun grossen Inseln, liegt 20 Meilen weiter nördlich, wird aber nur selten besucht. Sie ist biologisch hochinteressant und seit 2007 ein Biosphären-Reservat der UNESCO. Obwohl die Marina etwas abseits der Hauptstadt angelegt wurde, lohnt sich ein längerer Aufenthalt. Der Kanal von Pico nach Sao Jorge ist zudem ein bekannter Ort für Walbeobachtungen.

Etwas mehr als 40 Meilen weiter südöstlich trifft man auf Terceira und gelangt damit zurück in die Zivilisation. Die Landschaften hier sind zwar nicht so eindrücklich wie anderswo, dafür ist aber die Stadt Angra, auch sie UNESCO-Welterbe, ein echtes Schmuckstück. Nehmen Sie sich die Zeit für einen Spaziergang zwischen kleinen Restaurants, Boutiquen, bunten Wohnhäusern und riesigen Parks. Der recht grosse Jachthafen bietet zahlreichen Schiffen Platz. Ist er ausgebucht, weichen die Segler auf die Marina im Osten der Insel aus. Da es sich dabei aber um einen ehemaligen amerikanischen Marinestützpunkt handelt, hält sich ihr Charme gelinde gesagt in Grenzen. Bis Ponta Delgada auf Sao Miguel sind es weitere 90 Seemeilen. Die relativ lange Strecke lässt sich aber in einem Tag bewältigen. Der Kontrast bei der Ankunft ist beinahe schockierend und gefällt nicht jedem. Hotelkomplexe, Einkaufszentren und ein riesiger Hafen mit Szenebars beherrschen das Bild.

Wer sich auf dem Rückweg zum Mittelmeer befindet, dem bietet sich 20 Meilen weiter südlich ein Zwischenhalt auf Santa Maria an, bevor es zurück nach Gibraltar geht. Ein Stopp auf dieser kleinen Insel ist eine gute Gelegenheit, den Azoren Lebewohl zu sagen.

Lohnende Alternative

Die Azoren sind definitiv eine lohnende Alternative zu den ewigen Antillen oder den griechischen und kroatischen Inseln. Durch die in den letzten zehn Jahren stark verbesserten nautischen Infrastrukturen sind mittlerweile alle Inseln für Segler zugänglich, was sich auch auf die Besucherzahlen niederschlägt.

Wer es sich nicht zutraut, sowohl Hin- als auch Rückreise in der gleichen Saison zu bewältigen, der findet problemlos einen Trockenplatz für die Überwinterung des Bootes, damit er das Törnprogramm auf zwei Jahre verteilen kann. Ein Argument, das weitere Besucher überzeugen könnte.

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SPANNENDE VIELFALT: DIE NATUR AUF DEN AZOREN WECHSELT ZWISCHEN MONDLANDSCHAFTEN UND ÜPPIG GRÜNEN REGIONEN. © Vincent Gillioz

REISE-INFOS

Beste Reisezeit:

Mitte Mai bis Ende August, wenn das Azorenhoch besonders stark ausgeprägt ist. Im Landesinnern kann es auch im Sommer regnen, aber an den Küsten bleibt es meist trocken.

Basis:

Die Stadt Horta auf der Insel Faial ist ein idealer Ausgangspunkt. Sie verfügt über einen Flughafen mit Direktflügen aus Lissabon. Von hier lassen sich alle Inseln der zentralen Gruppe gut mit der Fähre oder dem Segelboot erkunden. Mehrere Charteragenturen wie Sail Azores (www.sailazores.pt) vermieten Boote ohne Skipper. Einige Gesellschaften bieten aber auch Törns mit Skipper an.

Aktivitäten:

Wahlbeobachtungen gehören zu den beliebtesten Aktivitäten der Azoren. Ebenfalls verbreitet sind Wanderungen und Unterwasserjagden.

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