Fotos | Jacques-Henri Addor (Cover-Foto & Foto 1), Carlo Borlenghi (Foto 2 und 3)
Wie über 230 am Projekt beteiligte Personen hatte auch ich das Vergnügen und grosse Privileg, auf der Mariska mitzusegeln. Was nur wenige wissen: Hinter dem Projekt steckt eine komplexe Organisation, die von der ansteckenden Begeisterung des Schweizer Eigners und Reeders Christian Niels lebt.
Über die Mariska wurde auf unseren Seiten schon mehrfach ausführlich berichtet. Das liegt wohl daran, dass sich die Reporter von Skippers, ich inklusive, dem Bann dieser 1908 nach Plänen von William Fife gebauten Jacht nicht entziehen können. Doch die Mariska ist nicht nur schön, sondern auch schnell. Dieses Jahr gewann sie mit Sébastien Audigane am Steuer den Giraglia Rolex Cup in der Kategorie IRC 0. Mitten in der Nacht trotzte die fast 110 Jahre alte Dame, die bei einer Länge von 27,60 Metern und einer Segelfläche ohne Spi von rund 413 Quadratmetern stattliche 34 Tonnen wiegt, dem aufgewühlten Meer nur unter Fock und hielt die Konkurrenten bei 40 Knoten Wind erfolgreich in Schach. Dieser Sieg ist ein wichtiger Meilenstein im zweiten Leben der Jacht, die 2007 von Christian Niels übernommen und restauriert wurde. Damals hätte wohl kaum jemand mit einer so strahlenden Zukunft gerechnet. Jacques-Henri Addor, unser Fachmann für Traditionsjachten und Besatzungsmitglied der Mariska der ersten Stunde, erzählt, wie es dazu kam.
Wie alles begann
„Angefangen hat das Abenteuer, als Christian Niels etwas kaufte, das nur im Entferntesten aussah wie ein Boot und sich in einem holländischen Kanal gerade noch knapp über Wasser hielt. Völlig entstellt und ohne Gillung, die der frühere Besitzer abgetrennt hatte, weil ihm das Geld für eine Reparatur fehlte, siechte sie dahin. Christian wollte das Wrack restaurieren und die Mariska dann mit einigen hochseeerfahrenen Freunden zum Segeln nutzen, unterschätzte aber wohl aus mangelnder Segelerfahrung das Ausmass des Unterfangens. Dennoch liess er sich nicht beirren und traf die richtigen Entscheidungen, um sein Projekt vorwärtszutreiben.“
Wie so oft bei solchen Experimenten hängt der Erfolg massgeblich von den Personen ab, die uns manchmal fast schicksalhaft begegnen. Das war auch bei der Mariska nicht anders. Christian machte während der Restauration der Jacht in der Werft „Charpentiers Réunis de Méditerranée“ in La Ciotat die Bekanntschaft des Unternehmers und Genferseeseglers Edouard Kessi. „Wenn zwei Bootsbesitzer sich treffen, erzählen sie sich natürlich Geschichten von Bootsbesitzern“, bemerkt Jacques-Henri Addor. Der erfahrenere Edouard Kessi liess seine Kontakte in der Schweizer Segelszene spielen, damit Christian Niels ein Team zusammenbrachte, und steuerte die Mariska bis 2013 sogar selbst. Damals wurde der Grundstein für die Regattakonfiguration des Teams gelegt, das heute grosse Mittelmeerklassiker gewinnt.
Grossunternehmung Segeln
An Bord wurde mir klar, dass das Segeln eines solchen Schiffes ohne jegliche Winsch sogar für ein 15- bis 17-köpfiges Team eine körperliche Höchstleistung ist und eingespielte Abläufe voraussetzt. Die so wichtige Weitergabe der Befehle zwischen den Bugleuten und den Männern an den Backstagen erfordert fast blindes Verständnis und entsprechende Automatismen. Wie man dafür sorgt, dass das Team auf die Dauer stabil bleibt, dafür gibt es laut Jacques-Henri Addor keine Anleitung. „Das Modell musste erst erfunden werden“, erzählt er. „Christian Niels merkte, dass es viele Leute brauchen würde, um das Projekt zum Erfolg zu führen. Um ihr Interesse zu wecken, musste es attraktiv gemacht werden. Neben den beiden Stammmitgliedern Benjamin Redreau als Boat Captain und dessen Vize Baptiste Garnier heuerte er dreizehn Profisegler an: die beiden Steuermänner Sébastien Audigane (einer der Skipper der Spindrift 2 an der Jules Verne Trophy) und Lionel Péan (der die Saison 2016 aufgrund seiner Volvo-70-Kampagne auf SFS nicht bestreiten konnte), die beiden Taktiker Christian Ponthieu und Pierre-Antoine Morvan sowie weitere talentierte Seglerinnen und Segler wie Bill Leclerc (Bugmann), Marie Tabarly, Roman Detroyat, Clément Giraud und Tangi Mahé.“ Zur Verstärkung brauchte es zudem mehrere erfahrene Amateursegler. Im Lauf der Jahre ist die Liste der passionierten Segler, die sich auf der Mariska abgewechselt haben, länger und länger geworden. Sie liest sich wie das Who’s Who der Genferseeseglerei. Philippe Durr (Steuermann 2011 und 2012) steht darauf, aber auch Pierre Girod, Axel Niels (Christians Sohn), Igal Kasavi, Marc Hägler, Marc Hermans, Michel Turin, Jean-Marc Oggier und natürlich Jacques-Henri Addor, der heute als Grossschottrimmer tätig ist. Ihnen stärkt der „Club Mariska et presse“ den Rücken. Dessen Mitglieder sind in verschiedenen Funktionen am Projekt beteiligt und nehmen gelegentlich auch an Regatten teil. Mit einem Leuchten in den Augen erzählt Clubmitglied Derek Cremers: „Ich hatte das Glück, einmal an der Panerai Classic Voiles d’Antibes mitzusegeln. Christian hatte mich eingeladen und da mich der Segelsport schon immer fasziniert hat, habe ich natürlich zugesagt. Es war ein einmaliges Erlebnis. Für mich ist ein Traum in Erfüllung gegangen. Das Team ist fantastisch, pro- Carlo Borlenghi Jacques-Henri Addor fessionell und freundlich, das passt zum Wesen des Eigners.“ Eine grosse Herausforderung sei auch die Chemie, die müsse nämlich gleich in mehrerer Hinsicht stimmen, fügt unser Journalist Jacques-Henri Addor hinzu. Angesichts des hochkomplexen Bootes muss das Miteinander natürlich in technischer Hinsicht klappen, ist aber zwischenmenschlich wahrscheinlich noch wichtiger. Beides hinzubekommen ist eine Gratwanderung.“
Eigner und Teammitglied
Dass diese Gleichung aufgeht, ist zum grossen Teil Christian Niels zu verdanken. Der Initiant, Geldgeber und von den Teammitgliedern liebevoll „Patron“ gerufene Eigner hält das Team zusammen. Trotz vollem Terminkalender widmet der vielbeschäftigte Geschäftsmann dem Projekt Mariska fast seine gesamte Freizeit. Er will so gar nicht in das Bild passen, das man sich von einem Schiffseigner macht. Niels belebt den Teamalltag, organisiert jede Saison, wirkt bei der Logistik mit, nimmt an den Trainings teil und vor allem ist er ein vollständiges Crewmitglied, das sein Handwerk meisterhaft versteht. „Er hat mehrere Jahre gebraucht, bis er seinem Team endlich gestanden hat, dass er seinen Posten als Grossegeltrimmer aufgeben und stattdessen den des Bugmanns einnehmen wollte, um vor den anderen an den Fallen zu ziehen“, erinnert sich Jacques-Henri Addor amüsiert. Hier zeigt sich, dass dieses Abenteuer kein Egoprojekt ist, sondern an der Begeisterung eines ganzen Teams gewachsen ist. Es gehört weder ganz der Vergangenheit noch der Gegenwart an. Als Zeitzeugin muss die Mariska für die kommenden Generationen unbedingt erhalten und geschützt werden.