Fotos: ©Jacques-Henri Addor
„Touristes s’abstenir“, zu Deutsch: „Nichts für Touristen“. Der Slogan der Tour de Corse ist nicht vom Himmel gefallen, denn der Klassiker, der jedes Jahr mehr Boote und Segler anlockt, kann auf seinen 250 nonstopp gesegelten Seemeilen rund um Korsika so einige, zuweilen sehr unliebsame Überraschungen bereithalten. Meistens sind die Windbedingungen unberechenbar bis stürmisch und das Meer aufgewühlt.
Die Tour de Corse zeigt jedes Jahr ein anderes Gesicht. Nie sind die Bedingungen identisch, Lehren kann man deshalb aus den Erlebnissen früherer Jahre nur sehr beschränkt ziehen. Aber genau diese Originalität und das Unerwartete machen den Reiz der Regatta aus. An den beiden letzten Austragungen hatte sich Äolus allerdings dermassen ausgetobt und war 2015 sogar mit über 50 Knoten über das Cap Corse hinweggefegt, dass die Tour gekürzt werden musste. Die Organisatoren haben schliesslich kein Interesse daran, die Teams ins Verderben zu schicken. Die Tour de Corse, die schon fast ein Vierteljahrhundert auf dem Regattakalender steht, war aber nicht immer so.
Bei ihrer Premiere hiess sie noch Hivernale und startete nicht in Bonifacio, sondern in Porto Vecchio. Zwölf Boote mit insgesamt knapp sechzig Seglern waren damals gemeldet. Für die Umrundung Korsikas brauchten sie etwas mehr als 40 Stunden. Aus der Hivernale entstand die Bonifacio Classic (1998 und 1999), bevor sie im Jahr 2000 den Namen Tour de Corse annahm. Nach einer kurzen Phase als Zweihandrennen wurde sie schliesslich im Team ausgetragen. Ihr Ansehen stieg fortlaufend und auch die Teilnehmerzahl wuchs rasant. 2013 waren bereits 62 Boote mit 464 Personen am Start.
Unverändert bleibt hingegen der Charme Korsikas mit seinen eindrücklichen Landschaften aus schroffen Bergen und lieblichen Küsten, malerischen Dörfern, kleinen Fischerhäfen und grossen, pulsierenden Städten. Viele Landstriche sind atemberaubend schön: Bonifacio und seine Klippen, die Lavezzi-Inseln, der geheimnisvolle Golf von Porto-Vecchio, Bastia, die Dörfer im Norden der Insel bei Sonnenuntergang, die Insel Giraglia mit ihrem erhabenen Leuchtturm, der Golf von Saint-Florent, das Hinterland der Balagne, die Ile Rousse, der Golf von Porto, das imperiale Ajaccio, die Sanguinaires- und die Moines-Inseln und und und.
Bei der nach IRC-Rating gesegelten Regatta geht es darum, Korsika so schnell wie möglich zu umrunden. Obwohl sich die Rangliste nach berechneter Zeit richtet, ist ein Sieg nach gesegelter Zeit nicht zu verachten. Dabei steht auch der Tourrekord auf dem Spiel. Die 2011 von Spirit of Malouen VI/Paprec Recyclage (TP 52) aufgestellte Bestzeit von 30h15min18s hielt bis 2014. Danach wurde sie von der VOR 70’ SFS von Lionel Péan in den Schatten gestellt, der nur noch gerade 25h57min05s benötigte. Lionel Péan hatte übrigens bei seiner Rekordfahrt den Stadtpräsidenten von Bonifacio Jean-Charles Orsucci an Bord. Er war zwar nur Passagier, gehört seither aber zu den Rekordhaltern. Die Insel kannentweder im Uhrzeiger- oder im Gegenuhrzeigersinn umrundet werden. Welche der beiden Varianten zum Zug kommt, ist den Teilnehmern überlassen. Nach alter Tradition geben die Skipper am Mittwochabend vor dem Start bei der Floristin der Zitadelle gegenüber dem Café de la Poste ihre Stimme ab und treffen sich dort auch gleich zu einem Apero.
Jedes Jahr nehmen mehr Schweizer an der Tour teil. Ob dieser Boom daran liegt, dass die unberechenbaren und äusserst wechselhaften Verhältnisse an die drehenden Winde auf dem Genfersee erinnern, die ohne Vorwarnung von Flaute auf Stärke 6 oder 7 aufdrehen können?