Fotos: © Christophe Migeon
Die besten Tauchgründe in Dominica befinden sich vor der Westküste, dort, wo die Insel von der Karibik umspült wird und vor den unberechenbaren Launen des Atlantiks geschützt ist. Entlang der vulkanischen Felsvorsprünge und der Sandbuchten hält die Insel im Wasser genauso viele Überraschungen bereit wie über dem Wasser.
Das Hinterland besteht aus steilen Bergen, die von Wäldern umgeben und von Wasserfällen durchzogen sind. An den Küsten prägen Dörfer mit rot bedeckten Häusern, Rasta-Männer mit breitem Grinsen und Polizisten mit viel zu kurzen Hosen das Bild. Scheinbar harmlose Seen beginnen plötzlich wie auf einem Herd vergessene Suppen zu brodeln, Bananenfelder werden abgeerntet und Kolibris schwirren umher, als hätten sie Amphetamin geschluckt. Die Berge haben den Dörfern kaum Platz gelassen. Sie fallen steil ins Wasser ab. Die Hauptstadt Roseau muss sich mit dem schmalen Streifen zwischen bewaldeten Hängen und aufschäumenden Wellen begnügen. All das ist Dominica. Das und natürlich das Meer.
Dominica ist noch immer ein Geheimtipp. Obwohl sie an zwei bekannte französische Überseegebiete grenzt, wird die Insel oft mit der Dominikanischen Republik verwechselt. Es ist wie ein Fluch: Als ob der Blick, angezogen von Martinique und Guadeloupe, von einer Insel zur anderen springen und es nicht schaffen würde, auf dem kleinen Fleckchen Erde dazwischen zu verharren. Dabei lohnt sich das allemal..
Faszinierende Unterwasserwelt
Der lange Holzsteg des Hotels Anchorage ragt forsch ins offene Meer hinaus, bevor er abrupt stoppt, als hätte er es plötzlich mit der Angst zu tun bekommen. Ganz am Ende dümpelt ein hoteleigener Katamaran der Marke Fountaine Pajot. Der 75-Füsser wartet auf die Taucher. Der Name Anchorage wurde nicht zufällig gewählt. 1972 nahm das Hotel dank dieses Holzstegs seinen Betrieb auf, denn die schroffen Küsten boten nicht viele Anlegemöglichkeiten und die Segelboote hatten es sich zur Gewohnheit gemacht, dort festzumachen. Kapitän Beyenne Armour-Shillingford, dessen Brille in etwa so exotisch wirkt wie sein Name, hat diesen Morgen beschlossen, nach Süden in Richtung der Soufrière Bay zu segeln. Fünf Kilometer südlich der Hauptstadt an einem Ort namens Champagne, nur einen Steinwurf vom Strand entfernt, tänzeln Luftblasen über einer mit Algen und Schwämmen übersäten Untiefe. Hier verschafft sich das geblähte Dominica etwas Linderung und entleert seine Eingeweide in Unterwasserfumarolen. Die Blasen sind vielleicht nicht so fein wie die eines edlen Dom Pérignon – offen gesagt würden sie nicht einmal durch den Hals einer Perrier-Flasche passen –, aber das Kitzeln dieses natürlichen Whirlpools ist angenehm und entspannend. Jugendliche Langusten und Soldatenfischschwärme tummeln sich in den Nischen einer 20 Meter hohen Felswand.
Ganz in der Nähe schlummert seit 1994 das Wrack eines wegen Schmuggels beschlagnahmten Holzschiffs in 30 Metern Tiefe. Hinter der Pointe Guignard liegt die Soufrière Bay. Sie ist das Überbleibsel eines riesigen überfluteten Kraters und birgt eine der dramatischsten Unterwasserlandschaften überhaupt.
Der östliche Teil des Kraters grenzt an die Küste, der südliche Rand ragt als lange, schlanke Halbinsel Scott Head aus dem Wasser und der westliche Rand liegt in einer nicht empfehlenswerten Tiefe. Bleibt die nördliche Lippe des Kraters. Sie ist in viele fotogene und gut zugängliche Felsnadeln aufgeplatzt.
on Hexen…
Heute Morgen tauchen wir bei Carib’s Leap, dem Sprung des Kariben. Die Kariben waren Indianer aus dem Norden Venezuelas. Sie liessen sich im 9. Jahrhundert auf den meisten Inseln der Antillen nieder. Kolumbus landete auf seiner zweiten Reise am Sonntag, 3. November 1493, an der Küste Dominicas, die er nach dem spanischen Wort für Sonntag Domingo nannte. Bei der Schilderung der Einheimischen ging die Fantasie mit ihm durch. Er verpasste ihnen ein dämonenhaftes Image. In sein Tagebuch schrieb er: „Ich habe einäugige Menschen gesehen, andere hatten Mäuler wie Hunde und assen Menschenfleisch. Wenn sie einen Feind zu fassen bekamen, schlugen sie ihm den Kopf ab, tranken sein Blut und schnitten ihm die Natur ab.“ Damit hatten die Kariber ihren Ruf für die nächsten Jahrhunderte weg. Auf der Insel Waitukubuli – „sein Körper ist gross“ – wie sie Dominica nannten, widersetzten sie sich 200 Jahre erfolgreich den europäischen Eroberern. Entnervt über ihre ständigen Angriffe unterzeichneten die Franzosen und die Engländer, die mit Kanonen und Flinten um die Insel kämpften, 1686 ein Abkommen, in dem sie Dominica als neutralen, von den Indianern kontrollierten Staat anerkannten. Wenig später dezimierten aber Keuchhusten und Pocken die Bevölkerung in einem so verheerenden Mass, dass die Einheimischen keine andere Wahl hatten, als klein beizugeben. Heute leben noch 3000 von ihnen in einem kleinen Reservat im Nordosten der Insel.
Um den Tauchgrund von heute Morgen, der am Fuss eines riesigen Basaltfelsens liegt, ranken sich mehrere Geschichten. Wie viel davon wahr ist, weiss niemand. Eine handelt von untreuen Weibern. Die Kariben waren polygam, schätzten es aber dennoch nicht, wenn ihre Auserwählten anderen Männern schöne Augen machten. Solch flatterhaften Frauen soll mit viel Druck nahegelegt worden sein, sich von diesem Felsen zu stürzen. Eine andere Legende spielt im 17. Jahrhundert. Damals soll der Felsvorsprung von europäischen Würdenträgern dazu genutzt worden
... und Piraten
Unter der Wasseroberfläche verliert sich eine mit Gorgonien und schwarzen Korallenbüschen bewachsene Steilwand im tiefblauen Meer. Gebeine sucht man hier aber vergeblich. Die Knochen der armen Frauen müssen sich in 500 Metern Tiefe im Krater auftürmen. Schildkröten und Stachelrochen schweben über den schroffen Felsen. Heute sind die erstarrten Lavaströme unter den Schwämmen und Steinkorallen kaum noch zu erkennen. Die Spalten und Hohlräume bieten etlichen Tierarten Unterschlupf: violetten Krabben mit keulenartigen Zangen, Hinterkiemerschnecken mit gekräuselten Röcken wie die der Tänzerinnen des French Cancan und schwarzroten Putzergarnelen, die an der Türschwelle auf ihre Kunden warten. Hier und dort stieben grosse Schwärme von Stachelmakrelen und Schnappern wie silbern glänzende Funken auseinander, wenn sich die Taucher nähern. Man muss sich fast zwingen, sich vom faszinierenden Schauspiel der Mauer und ihrer Untermieter wegzureissen und einen Blick in die Weite zu werfen. Es lohnt sich aber. Wer Glück hat, sieht einen unechten Bonito neugierig heranpirschen oder einen anmutigen Adlerrochen vorbeigleiten. In der Soufrière Bay leben zweifellos die meisten Fische in ganz Dominica. Der gesamte Süden der Insel wurde zum Meeresschutzgebiet erklärt und in drei Zonen gegliedert: Die erste ist fürs Tauchen und Schnorcheln bestimmt, die zweite dient der Fischaufzucht („Nursery“) und ist vollkommen geschützt und in der dritten darf gefischt und geangelt werden. Die Betreiber der dominicanischen Fischereien betonen, dass hier noch alles von Hand gemacht wird und ihre einzige Sorge die Piratenschiffe aus Guadeloupe und Martinique seien, die die Fischgründe illegal mit zerstörerischen Methoden säubern. Sie würden sich nicht damit begnügen, die Region mit dem Schleppnetz zu durchkämmen, sondern sollen die kleinen, lokalen Fischer gar mit dem Gewehr bedrohen. Nach dem Auftauchen sehen wir mit eigenen Augen, dass hier tatsächlich noch Handarbeit angesagt ist. Zwei winzige, behelfsmässig zusammengezimmerte Holzflösse, sogenannte Pui Pui, schwimmen in unserer Nähe auf dem Wasser. Darauf ziehen Fischer ihre einzige Leine von Hand ein. Manchmal legen sie eine Tauchermaske an und strecken die Köder vorsichtig nach Fischen aus. Sie tragen garantiert nicht zur Überfischung der Meere bei!
Je weiter wir in den Norden fahren, desto flacher wird die Landschaft. Die sanften Hänge der Region Salisbury halten einige Überraschungen bereit. Gelbe Froschfische, die hinter den gleichfarbigen Schwämmen kaum zu erkennen sind, wie Jahrmarktbuden geschminkte Seefledermäuse, wütende Flughähne mit stahlblau gesäumten Brustflossen und exhibitionistische Anemonenfische bilden zusammen mit anderen seltsam anmutenden Kreaturen ein echtes Kuriositätenkabinett. Die noch etwas weiter nördlich gelegenen Prince Rupert Bay ist übersät mit Dutzenden Schiffwracks, die wie eine Herde erschöpfter Wale an der Küste aufgelaufen sind. Sie rosten nach ihrem abenteuerlichen Leben als Frachter auf hoher See langsam vor sich hin, hätten sich doch aber wunderbar fürs Wracktauchen geeignet. Unter den beiden Vulkankegeln der Pointe Cabrits nehmen die Tiefenkurven ihre Achterbahnfahrt wieder auf und stürzen in der Mitte der Bucht abrupt 300 Meter in die Tiefe. Von den Bergen gerollte Felsen liegen über den Hang verstreut und bilden Höhlen, Tunnels und mit Schwämmen und Steinkorallen überwucherte Überhänge. Barrakudas und blaue Stachelmakrelen patrouillieren in den fischreichen Gründen, die seit Kurzem zum Cabrits- Nationalpark gehören. Auch hier pflegt Dominica sein Image als kleine Wilde der Antillen.
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REISE-INFOS
Dominica gehört zu den in der östlichen Karibik gelegenen kleinen Antillen. Die Insel befindet sich 40 Kilometer südlich von Guadeloupe und etwa gleich weit nördlich von Martinique. Sie ist 47 Kilometer lang und 29 Kilometer breit. Über die gesamte Länge der Vulkaninsel zieht sich ein Gebirge mit dem Morne Diablotins (1447 m) als höchste Erhebung. 60 Prozent der Inseloberfläche sind bewaldet. Die UNESCO hat den Nationalpark Morne Trois Pitons zum Weltnaturerbe erklärt.
Beste Reisezeit
Die Trockenzeit dauert von Januar bis Juni, die Regenzeit von Juli bis Oktober. Man muss jedoch das ganze Jahr mit einer oder zwei leichten Regenschauern pro Tag rechnen. Die Wassertemperatur schwankt zwischen 25 und 27 °C. Von Ende August bis Anfang Oktober herrscht Orkangefahr. Von Juli bis Dezember weht ein zum Segeln idealer Passatwind.
Tauchzentren
Tauchzentren Hotel Anchorage. 35 Zimmer direkt am Meer, etwas südlich der Hauptstadt Roseau. Im Hotel befindet sich ein Tauchclub. Es werden auch Touren zur Walbeobachtung auf einem schönen Katamaran angeboten. Doppelzimmer ab 185 US$. Zwei Tauchgänge: 120 US$. www.anchoragehotel.dm.
Buddy Dive. Club im Fort Young Hotel in Roseau. Zwei Tauchgänge: 99 US$. www.buddydivedominica.com
Sunset Bay Club. Zum Tauchen in der Region Salisbury, in der Mitte der Westküste. Zwei Tauchgänge: 111 US$. www.sunsetbayclub.com.
Anreise
Für massgeschneiderte Reisen und/oder Törns: my charter, info@mycharter.ch – mycharter.ch. und Sailpro, sailpro.ch