Der grössten Baleareninsel wird nachgesagt, sie bestehe hauptsächlich aus hässlichen Betonbunkern, naturbelassene Küsten gebe es so gut wie keine mehr. Wir wollten Mallorca unvoreingenommen entdecken und wurden nicht enttäuscht.
Die Ankunft in Palma ist ernüchternd. Wir finden uns in einem riesigen Terminal mit unzähligen Bussen und Horden von meist englischen und deutschen Touristen wieder. Sind wir hier tatsächlich richtig? Werden unsere Hoffnungen auf wilde Natur und einsame Buchten etwa doch enttäuscht? In Palma werden wir unser Unbehagen nicht los, obwohl das historische Zentrum der 400’000-Seelen-Stadt durchaus sehenswert ist. Das bei 34° Grad Aussentemperatur brütend heisse Taxi macht seine Sache trotz der 300’000 Kilometer auf dem Zähler und der defekten Klimaanlage ganz gut. Es bringt uns zielsicher zum drei Seemeilen südwestlich von der Hauptstadt entfernten Hafen von Cala Nova. Dort erwartet uns in der Basis von Dream Yacht Charter eine praktisch neue Sun Odyssey 449. Der Abend verläuft typisch für die Übernahme eines Charterboots. Wir gehen die Checkliste durch, füllen den Proviant auf (der Supermarkt schliesst um 21 Uhr und leiht die Einkaufswagen aus) und lassen den Tag bei Tapas am Strand ausklingen. Bei Sonnenaufgang, das heisst Ende Juni kurz vor 6 Uhr, werden die Leinen losgemacht. Wohin soll es eigentlich gehen? Um den Betonklötzen in der Bucht von Palma zu entfliehen, segeln wir aufs offene Meer Richtung Süden. Wir möchten uns die naturbelassene Insel Cabrera, die 1991 zum Nationalpark ernannt wurde, ansehen. Heute ist Samstag und die Büros, in denen die Genehmigungen eingeholt werden müssen – vorzugsweise zwei bis drei Wochen im Voraus –, sind geschlossen. Bleibt die Möglichkeit, im Internet eine der fünfzig Bojen zum Übernachten zu reservieren. Die sind natürlich auch ausgebucht. Für uns alles halb so schlimm. Unsere Jacht verfügt über eine ganzjährige Fahrterlaubnis mit Ankergenehmigung am Tag. Langsam kristallisiert sich auch unser Ziel heraus. Es soll Richtung Südosten gehen. Auf dem Weg dorthin passieren wir unsere erste Felsbucht – auf Mallorca heissen sie Cala. Die Cala Pi ist morgens noch wenig besucht. Sie liefert uns einen Vorgeschmack auf die Schätze der Insel. Immer wieder werden wir in dieser Woche auf klippenumrahmte Buchten stossen, in denen das Wasser türkisfarben leuchtet, so auch in der nur wenige Meter weiter südlich gelegenen Cala Beltran. Sie ist noch wilder, aber so eng, dass nur kleine Jachten Platz haben. Wir vertiefen uns – zugegeben etwas spät – in unseren englischen Balearen-Törnführer (es gibt auch deutsche Führer, z.B. den bei Delius Klasing erschienenen Balearen-Törnführer von Gerd Radpsieler) und stellen fest, dass die Inseln im Uhrzeigersinn beschrieben werden. Das scheint bei allen Törnführern gleich zu sein. Wir sind also verkehrt herum gestartet und müssen jetzt wohl zurückblättern.
Herrschaftliche Naturkulisse
Cabrera liegt weniger als 20 Seemeilen weiter südlich. Bei kräftigem Ostwind können wir die Sun Odyssey 449 laufen lassen und alles aus ihr herauskitzeln. Die Insel verfügt über zwei reglementierte Ankerplätze. Der grössere ist ausser bei steifem Nordwind gut geschützt und befindet sich in einer grossen, von trockenen Hügeln und golden schimmernden Felsen umgebenen Bucht. Dieser wunderschöne Anblick lässt sich bei einem Spaziergang zum Festungsturm noch besser bewundern. Wir haben Glück. Direkt vor der Ruine ist noch eine Boje frei, an der man tagsüber festmachen darf. Wir wassern das Beiboot, montieren den Motor, senken die Badeplattform und geniessen das 25 Grad warme Wasser. Weitere Bojen befinden sich in der östlich angrenzenden Cala Es Borri. Ankern ist im ganzen Archipel verboten, mit dem Dinghi herumfahren ist hingegen erlaubt.
Calas, so weit das Auge reicht
Da wir die Nacht nicht in Cabrera verbringen können, setzen wir am späten Nachmittag wieder die Segel und ziehen weiter nach Norden. Unser Ziel ist Puerto Colonia de Sant Jordi. Nordwestlich des Cap de Ses Salines, dem südlichsten Punkt von Mallorca, entzücken die Cala Caragol mit ihrem von einem dichten Pinienwald gesäumten Strand, die Cala en Tugores und weitere traumhafte Ankerplätze zwischen Felsen und Dünen wie die Playa des Carbo und die Playa de Sa Roquetas. In Sant Jordi herrscht bereits reger Andrang. Unzählige Boote liegen eingezwängt zwischen dem Hafen und einem schönen Strand, doch die Szenerie ist faszinierend und die Stadt einladend und belebt. Am Tag darauf stehen die Südostküste und die vier Calas Marmols, Figuereta, Llombart und Santanyi auf dem Programm. Am besten gefällt uns allerdings die Cala Figuera. Sie dringt tief in die Felsen und Pinien vor, nur ist der Platz für unseren 45-Füsser etwas eng. An einer kleinen Mole können wir ihn dann aber mit dem Heck zum Steg vertäuen. Auf der Karte machen wir Dutzende von verlockenden Calas aus, leider sind die meisten bei Südostwind und Dünung nicht zu empfehlen. Wir bewundern sie deshalb aus der Ferne. Auf diesem Küstenabschnitt ist die Kulisse sehr gegensätzlich. Ständig wechseln sich unkontrolliert zubetonierte Abschnitte mit völliger Wildnis ab. Wir begnügen uns mit Port Petro und seinen herrschaftlichen Villen und lassen die protzige Cala d’Or mit ihren hell beleuchteten Jachten und Luxusboutiquen geflissentlich aus. Wir wollen die guten Bedingungen nutzen und möglichst schnell an die Nordküste segeln, um der Dünung zu entkommen. Dazu müssen wir auf Portocolom, dem offenbar besten Naturhafen der Insel, den Fischerhafen Porto Cristo und unzählige Calas verzichten. Ab Cap de Pera peilen wir Nordnordwesten an. Jetzt segeln wir praktisch vor dem Wind und können beim Cap des Freu halsen, wo sich endlich auch die Dünung legt. In einer weit gegen Norden geöffneten, im Törnführer nicht vermerkten Bucht legen wir eine Badepause ein. Fünf Seemeilen weiter runden wir das Cap Ferrutx, das im Nordosten an die weitläufige Bucht von Alcúdia grenzt. Dahinter entdecken wir die umwerfende Cala es Calo. Ein halb eingebrochener Pier, goldene Felsen, Pinien, türkisfarbenes Wasser und über 400 Meter hohe Berge prägen das Bild. Die Umgebung ist beeindruckend und vollkommen naturbelassen. Hier verbringen wir die Nacht, nur ein paar vereinzelte ablandige Böen stören unseren Schlaf.
Überschwängliche Natur
Die Bucht von Alcúdia lassen wir aus. Zwar sind die Strände dort sehr schön, aber auch stark verbaut. Dafür wagt sich unsere 449 in die Bucht von Pollença vor. Hinter der freundlichen und lebhaften Stadt richten sich eindrückliche Berge auf, die für ein einzigartiges Licht sorgen. Noch ein paar geschützte Strände und kleine Inseln und das berühmte Cap Formentor zeichnet sich vor dem blauen Hintergrund ab. Imposant, majestätisch und scharf begrenzt erhebt es sich aus dem Wasser. Bei ruhigem Wetter kann man so knapp daran vorbeifahren, dass die Funkantenne hängen bleibt. Hinter dem Kap fängt die wilde Nordküste an. Es gibt nur noch wenige Dörfer und sozusagen keine geschützten Ankerplätze mehr. Dafür weisse, ocker- und goldfarbene Felsen, die immer weiter in die Höhe ragen. Die höchsten, in Ufernähe gelegenen Erhebungen der Insel erreichen über 1000 Meter, der Puig Mayor bringt es sogar auf 1455 Meter. Nach einer weiteren winzigen Passage innerhalb des Islote Colomer, die man wirklich nur bei absolut ruhigem Meer absolvieren sollte, essen wir in der Cala Castel zu Mittag. Eine Felszunge, Steine auf dem Meeresgrund, glasklares Wasser und ein paar dekorative Felsen, mehr nicht. Im Osten zieht Wind auf, sodass wir unsere Fahrt unter Segeln fortsetzen können. Da der Andrang eindeutig zu gross ist, brechen wir unseren Besuch des Torrent de Pareis und der spektakulären Cala Tuent am Fuss des höchsten Berges der Insel vorzeitig ab. Schliesslich müssen wir noch rechtzeitig unseren Liegeplatz für die Nacht erreichen. Der liegt in Port de Sóller, der einzigen wirklich geschützten Anker- oder Vertäumöglichkeit an der Nordküste. Eingebettet in eine Hügel- und Klippenlandschaft versprüht die Stadt einen unnachahmlichen Charme. Hier könnte man es gut ein paar Tage aushalten. Wir aber müssen weiter. Je weiter westlich wir segeln, desto bewaldeter ist die Nordküste. Nach einer Handvoll Seemeilen stossen wir auf eine gerade mal 600 Meter lange Halbinsel, die Peninsula de la Foradada. Die markante Landzunge ist durchlöchert und ein beliebtes Fotomotiv. Ein felsiger Pfad führt durch die zerklüftete Küstenlandschaft zu einer vom Meer aus sichtbaren Villa. Dort wohnte einst der Erzherzog von Österreich Ludwig Salvator. Er hatte die Gewohnheit, sein Dampfschiff direkt vor seinem Landgut festzumachen. Die Bucht ist unbeschreiblich schön, aber leider gegen Westen komplett offen. Von dort weht auch ein sanfter Wind, den wir für ein paar Schläge nutzen. Nach vier weiteren gegen Norden offenen Calas und der Insel Sa Dragonera, die aussieht wie ein untergehendes Schiff, sind wir am östlichsten Punkt unserer Reise angelangt.
Un, dos, tres, fiesta!
Ab San Telmo, werden die Gebäude wieder zahlreicher und die Ankerplätze voller. Kein Zweifel: Wir nähern uns Palma. Andratx bietet den ersten, bei jeder Witterung geschützten Hafen. Hier kann man für einen Euro pro Fuss an einer Boje vertäuen. Auch im nur wenige Längen weiter gelegenen Santa Ponsa stehen geschützte Liegeplätze zur Verfügung, die Stadt selbst ist enttäuschend. Es folgen viele weitere Calas mit kristallklarem Wasser, vor denen der Bauwahn leider nicht Halt gemacht hat. Zwei Ausnahmen gibt es: Cala Figuera und die in drei separate Buchten aufgeteilte Cala Portals. Bis nach Palma darf man nicht mehr viel Sehenswertes erwarten. Sogar das völlig überlaufende und total flache Las Illetas ist den Umweg nicht wert. Warum nicht Ethnologe spielen und sich ins Partygetümmel stürzen? Das örtliche Ibiza befindet sich direkt vor unserem Bug. Magaluf zeichnet sich durch einen herrlichen Strand, einen äusserst korrekten, kurioserweise nur wenig belegten Liegeplatz und, wie könnte es anders sein, grosse Gebäude aus. Morgens ist die Stadt tot und nachmittags schläfrig, denn dann spielt sich das Leben auf den Liegestühlen ab. Bei Einbruch der Nacht erwacht sie schlagartig und kommt bis um drei Uhr morgens nicht zur Ruhe. Vor allem die Engländer feiern jeden Tag und völlig ungehemmt. Die spanische Polizei hat sogar schon die Bobbies um Hilfe gebeten, aber auch die konnten nichts ausrichten. Für uns ist die Fiesta eine interessante Erfahrung. In Erinnerung bleiben werden uns jedoch eher die imposanten Panoramen der Nordküste.
REISE-INFOS
Anreise
Swiss und easyJet bieten günstige Direktflüge aus Zürich und Genf an. Aus Barcelona, Valencia und Denia kann Mallorca auch per Fähre erreicht werden. Segler mit einer eigenen Jacht können direkt vom Festland anreisen. Ibiza liegt nur 50 Seemeilen vor der Küste, der Norden Mallorcas nur 100 Seemeilen von Barcelona entfernt. Die Entfernungen zwischen den Inseln sind klein: 50 Seemeilen zwischen Mallorca und Ibiza, nur 25 Seemeilen zwischen Mallorca und Menorca. Dadurch bietet sich natürlich Inselhüpfen an, ohne dass man eine einzige Nacht auf dem offenen Meer verbringen muss.
Bootscharter
Für massgeschneiderte Reisen und/oder Törns: my charter, info@mycharter.ch, www.mycharter.ch
In Palma oder in der näheren Umgebung der Inselhauptstadt sind die meisten grossen Charterfirmen wie Dream Yachts Charter und Sunsail vertreten. Dadurch profitiert man gleich doppelt: Erstens sind Haupthafen und Flughafen in der Nähe, zweitens bietet sich neben Mallorca ein Besuch der nahegelegenen Nachbarinseln Menorca und Ibiza an. Eine Woche reicht für einen Rundtörn um Mallorca aus. Falls Sie auch Menorca und Ibiza ins Programm einschliessen möchten, planen Sie mindestens drei Wochen ein. Angesichts des generell milden Wetters und des ruhigen Meers ist eine kleine Jacht nicht unbedingt weniger komfortabel als eine stattlichere Einheit. Einem kleineren Boot stehen zudem alle Ankerbuchten offen.
Navigation – Wetter – Häfen
Segeln in Mallorca ist einfach und angenehm, denn das Revier kennt keine Gezeiten, kaum spürbare Strömungen und sehr wenige Untiefen. Ausserdem ist das Wasser mit Tiefstwerten von 14° und Höchstwerten von 26° schön warm. Im Winter herrscht mildes, im Sommer hingegen trockenes Wetter mit Werten zwischen 18° und 31°. Als Beispiel. Im Januar beträgt die Durchschnittstemperatur 11°, im August 25°. Auf Mallorca ist es meist trocken und sonnig. Die Insel verzeichnet 400 mm Niederschläge und 2750 Sonnenstunden pro Jahr. Von Juni bis September ist es praktisch immer schön. Kabbelsee und Wellengang können aber einige Ankerplätze schwer erträglich machen. Auf Mallorca gibt es rund 20 bestens ausgestattete Häfen. Bei Bedarf stehen genügend sichere und schnell erreichbare Liegeplätze zur Verfügung. Im Norden kann es allerdings schwierig werden, sich in Sicherheit zu bringen. Dort bietet sich auf der 50 Seemeilen langen, von spektakulären Klippen und Steilküsten durchsetzten Küste bei aufgewühltem Meer nur Port de Sóller an.