Obwohl Veranstalter und Segler lange zittern mussten, gab es am Schlusstag der Europameisterschaft der Drachen-Klasse auf dem Thunersee doch noch genügend Wettfahrten für eine gültige Meisterschaft. Die Schweizer Boote konnten aber wie erwartet nicht mit der internationalen Spitze der Profisegler mithalten.
Der Drachen hat nichts von seiner Popularität eingebüsst. Wer ihn kennt, ist von ihm begeistert. So auch die deutsche Segelkoryphäe Jochen Schümann. Er regattierte an der EM in Thun erstmals auf einem Drachen und meinte: „Egal, ob in Deutschland, Russland oder am Mittelmeer, überall triffst du starke Konkurrenz und grosse Felder an. So macht es Spass, mit diesem alten, schweren Boot im klassischem Design zu segeln.“ Christoph Burger, der die EM auf dem Boot von Norbert Stadler bestritt, ergänzte: „Der Drachen ist ein Wahnsinnsprodukt, er verbindet Tradition und Schönheit mit moderner Technologie.“ Bei der International Dragon Association (IDA) sind weltweit über 1500 Drachen registriert. In der Schweizer Drachenflotte sind etwa 80 Boote aktiv, die meisten auf dem Thuner-, Boden- und dem Zugersee. Auf Westschweizer Seen ist die Klasse kaum vertreten. Es gibt zwar immer wieder Bemühungen, den Drachen dort beliebter zu machen – unter anderem wurde die Schweizermeisterschaft bereits zweimal in Morges ausgetragen –, der Erfolg war aber bescheiden. Yves Gaussen vom CN Morges meint dazu: „Die Thermik ist bei uns nicht stark genug für diese Boote, zudem hat der Genfersee eine grosse Langstreckentradition und dafür ist der Drachen weniger geeignet.“
Drachenhochburg Thun
Über 40 Drachen liegen im Hafen des Thunersee Yachtclubs. Damit ist Thun auch die richtige Destination für eine Drachen-Europameisterschaft. Für Walter Zürcher, Präsident der Schweizer Drachenflotte, war der Zuschlag für das Binnenland Schweiz allerdings nicht selbstverständlich. „Die wichtigsten Regatten der Drachenklasse werden in der Regel auf Küstengewässern durchgeführt“, erklärt er.
Der Thunersee Yachtclub verfügt über eine ideale Infrastruktur und Logistik für diesen Grossanlass. Um die 62 Drachen im Wasser zu platzieren, musste der Hafen geräumt werden. Und damit die Regatten überall in Europa verfolgt werden konnten, wurden alle teilnehmenden Schiffe mit Live-Trackern ausgerüstet. Gut 70 Helfer standen während der fünf Wettkampftage im Einsatz.
Warten auf Wind
Teams aus 14 Nationen waren angereist, darunter sogar Teilnehmer aus Hongkong. Und alle warteten auf Wind, der einfach nicht kommen wollte. Nach einem ergebnislosen ersten Regattatag wurden die Crews tags darauf schon morgens um halb acht aufgeboten. Zum Glück, denn bei Morgenwind konnte wenigstens eine Wettfahrt gesegelt werden. Auch an den folgenden Tagen gab es je nur eine Regatta und endlos lange Wartezeiten. Garlef Baum vom Organisationskomitee sah das Problem auch in der Länge des Parcours: „Nach internationaler Vorschrift muss bei der Drachen-Klasse eine Kreuz von mindestens zwei Meilen gesegelt werden, was bedeutet, dass eine Wettfahrt über zwei Stunden dauert. Da braucht man folglich lange konstanten Wind.“ Am letzten Tag kurz nach Mittag, Organisatoren und Segler waren schon fast am Verzweifeln, hatte Äolus doch noch ein Einsehen und sorgte dafür, dass zwei weitere Läufe gesegelt werden konnten. Damit gab es für die EM-Wertung sogar ein Streichresultat.
Schweizer in der Statistenrolle
Schweizer konnten sich keine Hoffnungen auf Spitzenplätze machen, denn an der Weltspitze regattieren lauter Profisegler: Weltmeister, Olympiasieger und America’s-Cup-Gewinner. „Wenn wir uns wie ein Profiteam vorbereiten würden, müssten wir ein Winterlager am Mittelmeer haben und möglichst jedes Wochenende segeln und regattieren“, sagte Christoph Burger. „Die Möglichkeiten der Schweizer Segler sind finanziell, zeitlich und familiär begrenzt. Man muss sich Ziele setzen, die realistisch sind. Das ist auch eine Herausforderung für die Klassenvereinigung, denn es besteht die Gefahr, dass Hobbysegler an Regatten teilnehmen, chancenlos sind und nachher sagen, das sei eigentlich nichts für sie.“
Knappe Entscheidungen
Der Thunersee war auch für die Weltspitze ein anspruchsvolles Revier. Besonders die lange Startlinie machte es den Crews schwer, sich für eine Seite zu entscheiden. Jochen Schümanns Taktik bewährte sich zumindest bei den ersten Wettfahrten: „Wir haben die Mitte gewählt, damit wenig riskiert und uns die Chance bewahrt, überall dabei zu sein.“ Schümann, der zusammen mit seinem ehemaligen Soling-Partner Ingo Borowski auf dem deutschen Boot von Markus Brennecke segelte, führte bis zum Schlusstag. Mehr Risiko zahlte sich am Ende aber aus. Der Portugiese Pedro Andrade, der das deutsche Boot des verletzten Michael Zanke steuerte, wählte eine andere Taktik: „Ich habe mich auf meinen Instinkt verlassen und jeweils die Seite gewählt, die näher am Luvfass lag.“ Andrade verschätzte sich zwar beim letzten Lauf völlig, konnte sich aber trotzdem als neuer Europameister feiern lassen. Er gewann mit zwei Punkten Vorsprung vor dem russischen Boot von Dimitry Samokhim, der in der Woche vorher den Schweizermeistertitel geholt hatte. Nur zwei Punkte trennten den Zweiten vom Fünftklassierten. Als bestes Schweizer Boot belegte der Drachen von Jürg Wittwer vom heimischen Thunersee Yachtclub den 16. Platz. Trotzdem es gab viele zufriedene Gesichter unter den helvetischen Teilnehmern. Man hatte den rund 200 Akteuren auf dem Thunersee nicht nur eine tadellose Organisation geboten, sondern konnte auch die herrliche Kulisse der Berner Alpen präsentieren. Und zumindest auf internationaler Ebene gibt es Hoffnung, dass für Nachwuchs in der Drachen-Klasse gesorgt ist. Auf dem Siegerboot segelte mit Bernardo Torres Pego ein erst 15-Jähriger mit.