Foiler, Flügelsegel, Karbonmast, Fathead …: Die Liste der am Genfersee entwickelten Neuheiten ist lang. Die Bol d’Or Mirabaud (BOM) war in ihrer 80-jährigen Geschichte Zeugin sämtlicher Extravaganzen und vieler Erfolgstorys.
2013 brauchte Bernard Schopfer 160 Seiten (La Légende du Léman, Bol d’Or Mirabaud, erschienen bei Slatkine), um die 75-jährige Saga des Genferseeklassikers zu erzählen. Heute, fünf Jahre später, wäre das Buch wohl einiges dicker. Seit der Gründung durch Pierre Bonnet im Jahr 1939 zieht sich ein Thema wie ein roter Faden durch die Geschichte der Langstreckenregatta. Schon seit ihren frühen Jahren steht sie im Spannungsfeld zwischen Rüstungswettlauf und Volksfest, zwischen Spitzensport und Breitensport. Die Frage ist, ob sich diese Konzepte wirklich ausschliessen oder sich nicht vielmehr ergänzen.
Am 22. Juli 1939 um 7 Uhr früh starteten 26 Teams der sozialen und wirtschaftlichen Elite von damals zur ersten Genferseerundfahrt unter Segeln und ohne Zwischenstopp. Damals galt das Unterfangen als leichtsinnig. Die Urheber wurden für verrückt erklärt, schliesslich waren weder die Boote noch das Sicherheitsmaterial für die zuweilen stürmischen Bedingungen auf dem See gemacht. Als Louis Noverraz nach 23 Stunden, 8 Minuten und 34 Sekunden und einigen Strapazen auf der Yliam IV als Sieger ins Ziel kam, hatte er den Grundstein für eine noch immer währende Legende gesetzt. Seither begeisterte sie weitere vermögende Mäzene, weltbekannte Topsegler wie Eric Tabarly, Loïck Peyron, Franck Cammas, Dennis Conner oder Russell Coutts und vor allem unzählige Freizeitsegler.
Populär oder elitär?
„Sie erzählen nie etwas über die Schlusslichter, die einfachen Teilnehmer“, bemängelte ein Freizeitsegler, der einfach nur aus Freude am Abenteuer an der Regatta teilnimmt. Er war zwar leicht angetrunken, als er mir am Eröffnungsabend halb ernst, halb scherzend die Leviten las, hatte aber nicht ganz Unrecht. Die Bol d’Or lebt durch die grossen Namen ihrer Sieger. Philippe Stern, Philippe Durr, Louis Noverraz, Ernesto Bertarelli, Christian Wahl, Edouard Kessi, Bertrand und Philippe Cardis haben einen erheblichen Anteil daran, dass die Regatta heute einen solchen Kultstatus geniesst. Dennoch meint Michel Glaus, der dem Anlass acht Jahre als Präsident vorstand: „Die Popularität der Bol d’Or wird an der Teilnehmerzahl gemessen. Je mehr Boote am Start sind, umso interessanter ist das Rennen. Sein Erfolg verdankt es weniger der Teilnahme berühmter Cracks, als den unzähligen Freizeitseglern, die deutlich in der Mehrheit sind, über die aber kaum je berichtet wird. Sie sind es, die das Rennen am Leben erhalten.“ Tatsächlich wäre eine Bol d’Or ohne die Surprise-Boote, die mit 130 Einheiten die stärkste Klasse bilden und sich jedes Jahr von Neuem einen packenden Kampf liefern, undenkbar.
Trotzdem ist nicht von der Hand zu weisen, dass Segeln nicht für alle erschwinglich ist. Oder, wie Rodolphe Gautier einmal treffend bemerkte: „Ein Boot wird immer mehr kosten als ein Paar Socken.“ Es wäre daher auch völlig illusorisch, so viele Teilnehmer anlocken zu wollen wie zu einem Volkslauf. Dennoch: Die BOM öffnet und verändert sich und die Flotte wird jedes Jahr grösser. Ihre Attraktivität hat aber auch etwas mit Show zu tun. Es sind die neusten Formel-1-Boliden und unkonventionellen Erfindungen, um die sich das Publikum schart und die für Medienrummel sorgen. Schwimmende UFOs, Katamarane mit zwei Masten, die vielversprechende Mirabaud LX und die boomenden GC32 machen die BOM zum Spektakel, das durch diese Publikumsmagnete jedes Jahr neu erfunden wird.
Technologien made in Switzerland
Diesbezüglich waren die 1980er- und 1990er- Jahre besonders spannend. Altaïr XII, Triga IV, Ylliam, Holy Smoke und die Happycalopse hielten die Öffentlichkeit und die Fachkreise in Atem. Heute kennt jeder – zumindest in der Segelszene – ihre Namen. Sie waren nicht einfach nur erfolgreich, sondern dienten der Wassersportindustrie als Testplattform. Um nur ein Beispiel zu nennen: Das von Philippe Durr 1992 gebaute Flügelsegel der Altaïr XII fand sich 20 Jahre später auf den America’s Cuppern wieder.
In den Achtzigern wurde immer mehr Geld in die technologischen Wunderwerke gesteckt. Die Entwicklung sei rasant gewesen, bestätigt Philippe Durr: „Der erste Katamaran, den ich 1980 gebaut habe, kostete 56’000 Franken. Zehn Jahre später habe ich einen für 500’000 Franken ausgeliefert.“ Peter Leuenberger, dem früheren Besitzer der Triga IV, die noch immer die Bestzeit der Bol d’Or hält (1994 mit 5h01’51’’), erinnert sich gern zurück: „Es war eine wunderbare Zeit! Man vergrösserte das Grosssegel um 50 Quadratmeter, montierte Bugspriets an der Oberseite der Schwimmer, um die Fläche der Genua voll auszuschöpfen, und ersetzte die Zentralschwerter der Trimarane durch Foils an den Bugen. Wer mithalten wollte, musste investieren und kompetente Leute um sich scharen.“ Diese Rivalität unter Gentlemen beschleunigte die technische Entwicklung und brachte etliche Innovationen hervor, die den Segelsport nachhaltig prägen sollten.
Game, set and match: „Le Black“
Dann kam Bertarelli. „Ein Milliardär, der einer Flotte aus Millionären das Fürchten lehrte“, resümiert Philippe Durr. Mit einem Budget, mit dem die anderen Teams unmöglich mithalten konnten, mischte Ernesto Bertarelli die Karten neu. Danach war nichts mehr wie zuvor. Alinghi 41 alias „Le Black“ galt 2000 als der stärkste Katamaran der Welt. Ein Geschoss, mit dem der spätere America’s-Cup- Sieger jeglichen Wettstreit im Keim erstickte und viele Bootseigner dazu bewog, die Segel zu streichen. „Als Ernesto Bertarelli mit seiner Le Black einstieg, hatten wir keinen Stich mehr“ bestätigt Leuenberger, der nach eigenen Angaben höchstens einen oder zwei Ferrari in seine Boote gesteckt hat. Dies war mit ein Grund für die Einführung der D35. Die Einheitsklasse sollte den Rüstungswettlauf stoppen und das Gleichgewicht einigermassen wiederherstellen.
Jedem seine Bol d’Or
„Nachdem ich aufgehört hatte, mit Philippe Stern auf Katamaranen zu segeln, entdeckte ich plötzlich die Bol d’Or“, erzählt Philippe Durr und fügt hinzu: „Für viele Segler bedeutet die Regatta vor allem eins: Sie können die Nacht auf dem See verbringen.“ Rund 2000 Teammitglieder, warm eingepackt in ihr Ölzeug und mit einem Sack voller Proviant in der Hand, machen sich zu einem Abenteuer von unbekannter Dauer auf. Sie werden ein Wochenende lang auter kleine Tabarlys, erleben Hochseefeeling, ohne die beruhigenden Seeufer aus den Augen zu verlieren. Bestimmt ist es diese bewundernswerte Vorstellungskraft, mit der sie die 66,5 Seemeilen in ein filmreifes Abenteuer voller verklärender bis haarsträubender Anekdoten verwandeln und das BOM-typische Zusammengehörigkeitsgefühl schaffen. Egal, ob man Arnaud Psarofaghis (Sieger der letzten BOM) oder Sergio Copper Teixeira (Schlusslicht mit 22h20’17’’ auf seiner Gib’Sea92 Déluge) heisst, jeder Teilnehmer trägt seinen Teil zu diesem legendären Anlass bei.