Fotos : ©Jacques Germanier
Im Herbst wird die Werft an der Route de Suisse 121 in Versoix, in der einige der schönsten Schiffe des Genfersees konstruiert und renoviert wurden, der Vergangenheit angehören. Mit der Schliessung gehen 60 Jahre Bootsbaugeschichte zu Ende, es sei denn, sie findet anderswo eine Fortsetzung.
Die 1957 von Kim (Georges) Durr gegründete Bootswerft „Chantier Naval du Vieux-Port“ schliesst im kommenden Herbst ihre Tore und zieht einen Schlussstrich unter 60 Jahre Segelleidenschaft am Genfersee. Noch scheint aber nicht alles verloren. Es werden Verhandlungen geführt, die darauf hoffen lassen, dass das letzte Kapitel der fabelhaften Geschichte noch nicht geschrieben ist.
Philippe Durr (68) gibt sich gelassen. Er freue sich, dass er die Sorgen eines Firmenchefs, die ihn seit 1974 begleiten, hinter sich lassen könne. „Seit 40 Jahren muss ich dafür sorgen, dass genügend Arbeit vorhanden ist und die Rechnungen beglichen sind, damit die Werft weiterarbeiten kann und die Lieferanten und die Löhne bezahlt werden. Die Aussicht, dass ich keine Gedanken mehr daran verschwenden muss, gefällt mir.“ Trotzdem bereut der siebenfache Bol-d’Or-Sieger und neunfache Weltmeister der Meterklassen nichts. Er ist ganz einfach nur froh, dass er in Rente gehen kann. „Vermutlich wird die Werft in Mies, auf dem Gelände der Werft Sartorio, die ebenfalls schliesst, neu aufgezogen. Einige meiner Arbeitskräfte und andere Fachleute aus der Region könnten eine Art Segelpool bilden. Aber der Standort ist begehrt und im Besitz der Gemeinde, was die Sache politisch macht. Viel mehr weiss ich nicht. In irgendeiner Form wird es aber bestimmt weitergehen. Und falls sich etwas ergibt, werde ich da sein, um meine Erfahrung, mein Know-how und mein Netzwerk einzubringen. Aber Chef werde ich nicht mehr sein.“
Glanzzeit der Genferseeseglerei
Um die ganze Geschichte der Familie Durr nachzuerzählen, fehlt hier der Platz. Dazu bräuchte es ein ganzes Buch. Der Autor müsste sich tagelang Zeit nehmen Philippe Durr zuzuhören, wie er die unzähligen Anekdoten aus seinem Leben zum Besten gibt. Hier daher nur ein kurzer Abriss. Frau Durr, Georges Mutter und Philippes Grossmutter, vermietete in Creux de Genthod Boote. Offenbar hat sie das Virus an ihre Nachkommen weitergegeben. 1975 eröffnete Kim seine Werft. Philippe trat in die Fussstapfen seines Vaters, seine Lehre machte er aber anderswo, um neue Erfahrungen zu sammeln. Zunächst lernte er bei Oester in wo er Rino, einen seiner späteren besten Mitarbeiter, kennenlernte. Danach wechselte er zu Baumann in Jussy. „Dort habe ich meine Arbeit lieben gelernt“, erinnert sich Durr. Freddy und sein Vater hätten extrem hohe Qualitätsanforderungen gestellt und das sei prägend gewesen. Bei seinem nächsten Arbeitgeber, der Werft Luthi, wirkte er am Bau des ersten Toucan mit. „Das Boot war ursprünglich für René Luthi bestimmt und ich sollte mit ihm Regatten segeln. Also habe ich heimlich die leichtesten Planken versteckt, um das bestmögliche Boot zu bauen“, gestand der 68-Jährige vor ein paar Jahren in einem Interview.
Parallel zu seiner Berufsausbildung segelte Philippe und holte 1973 an der Fireball-EM Gold. Im Jahr darauf übernahm er von seinem Vater die Werft und stand mit nur 24 Jahren an der Spitze eines Unternehmens. Sein Regattatalent, seine Kreativität und seine Leidenschaft für seinen Beruf, aber auch sein grosses Netzwerk und die günstigen Rahmenbedingungen im Genferseeraum sorgten dafür, dass ihm aussergewöhnliche Projekte anvertraut wurden.
Legendäre Boote und Siege
Philippe Durr baute die Tiolus und für Pierre Fehlmann die Gauloise. Die ersten ausschliesslich für den Genfersee bestimmten Mehrrümpfer Altair IX, X und XI entstanden ebenfalls in seiner Werft. Altair XI war der erste Katamaran aus Kevlar, der die Bol d’Or gewann. In Durrs Werft wurden die ersten gebogenen Schwerter und die ersten Flügelsegel konstruiert. In den besten Jahren beschäftigte sie bis zu acht Arbeiter und noch heute bildet sie Lernende aus.
Philippe ist eine neugierige Natur und probiert alles. Er bestritt die Transat Lorient–Bermudas–Lorient, nahm mit Philippe Stern an der Bol d’Or teil und segelte mit dem Baron de Rothschild. Als begnadeter Steuermann geniesst er unter Gleichgesinnten einen hervorragenden Ruf. Er versteht es, mit seiner gewinnenden Art seine Leidenschaft zu vermitteln und aus jedem das Beste herauszuholen. Philippe Durr ist ein grosser Fan der Meterklassen und hat bei den 5,5ern, 6ern, 8ern und 12ern schon etliche Titel gewonnen. Zudem ist er ein begeisterter Strandsegler und nimmt in Nordeuropa häufig an Regatten auf zugefrorenen Seen teil. Er selbst hat bereits zwanzig Segelwagen gebaut. „Finanziell lohnt sich das aber nicht“, so Durr. „Gegen die Polen, die ein segelfertiges Gerät für 4000 Franken anbieten, habe ich keinen Stich. Allein das Material kostet mich 5000 Franken.“
Bester Handwerker
Vor rund 15 Jahren hat sich Philippe auf die Restauration von Holzbooten spezialisiert und sich auf diesem Gebiet schnell einen Namen gemacht. „Die Firmenchefs meiner Generation befürchteten stets, dass sie eines Tages im Amtsblatt genannt würden, weil sie Konkurs anmelden mussten. Ich stand 2005 darin, aber zum Glück nicht, weil ich zahlungsunfähig war, sondern weil ich den Preis als bester Handwerker gewonnen hatte.“ Bevor er die Schlüssel seiner Werft endgültig abgibt, möchte der angehende Rentner ein paar Arbeiten abschliessen. Er habe ein Motorboot von Corsier Port, der besten Werft der Fünfzigerjahre, renoviert, so Durr. Auch die bei Oester gebaute Lacustre Fleur-Bleue Baunummer 7 sowie die Ylliam XVI, die letzte 5,5-Meter-Jacht von André Firmenich, bringt er wieder auf Vordermann. „Die Ylliam XVI wurde seit 40 Jahren nicht mehr gesegelt. Ich werde ihr neues Leben einhauchen, damit sie wieder zurück aufs Wasser kann.“
Philippe Durr träumt davon, nächstes Jahr an der WM der 6mJI in Finnland einen letzten WMTitel zu erobern. Es wäre sein 10. und ein krönender Abschluss seiner Karriere. „Danach werde ich vielleicht etwas ruhiger“, sinniert Durr.
Meilensteine
- 1950: Geburt in Versoix
- 1957: Eröffnung des Chantier Naval du Vieux-Port durch Philippe Durrs Vater Kim
- 1958: Segeldebüt zusammen mit seinem Vater
- 1966: Lehrbeginn in der Bootswerft Oester in Rolle
- 1971: Erste Teilnahme an der Bol d’Or
- 1974: Übernahme der Werft
- 1976: Bau der Gauloise, mit der Pierre Fehlmann seine erste Einhand-Atlantikregatta gesegelt war
- 1980: Bau des Genfersee-Katamarans Altair IX, dem ersten siegreichen Mehrrümpfer an der Bol d’Or
- 1992: 7. Sieg der Bol d’Or
- 2005: Auszeichnung mit dem „Prix de l’artisanat“ für die Restauration der 5-Meter-Jacht Ballerina IV, Bronzemedaillengewinnerin an den Olympischen Spielen 1960 in Rom
- 2017: 9. WM-Titel in einer Meterklasse in Vancouver