Den MOB-Knopf des Navigationssystems drücken zu müssen ist für jeden Segler eine Horrorvorstellung. Auf einem Boot gibt es nichts Schlimmeres, als wenn ein Mann über Bord geht. Das jüngste Drama am Volvo Ocean Race hat uns schmerzlich daran erinnert.
Paul Vatine, Daniel Gilard, Loïc Caradec, Tony Phillips, Hans Horrevoets, Jean-Marc Allaire… und jetzt auch noch John Fisher! Die Liste der im Meer verschollenen Regattasegler ist lang. Eigentlich ereignen sich solche Unglücke eher selten, oft enden sie aber tragisch. Hochseesegler befinden sich in feindlicher Umgebung und wenn ein Mann über Bord geht, kann das trotz der neuen Technologien fatale Folgen haben. Die Segler wissen das und bereiten sich so gut wie möglich auf den Ernstfall vor. Abgesehen davon schreibt das Reglement des Volvo Ocean Race vor, dass jedes Team das Mann-über-Bord-Manöver aus dem Effeff beherrschen muss. Die Vorschrift hat sich bereits bewährt. An der vierten Etappe wurde Alex Gough vom Team Sun Hung Kai- Scallywag von einer Welle mitgerissen, konnte vom Team jedoch binnen weniger Minuten nahezu unversehrt geborgen werden. John Fisher hatte weniger Glück. Er wurde am 26. März während der siebten Etappe bei 40 Knoten Wind aus dem gleichen Boot geschleudert und gilt seither als verschollen.
Folgeunfälle vermeiden
Da die Bedingungen immer stürmischer wurden, musste das Team Sun Hung Kai-Scallywag die Suchaktion abbrechen, da es sich sonst selbst in Lebensgefahr gebracht hätte. Ian Walker, Sieger des letzten Volvo Ocean Race, machte am Tag nach dem Unglück klar, wie schwierig eine Rettung unter den gegebenen Umständen ist: „Wir üben das Mann-über-Bord-Manöver immer wieder und verfügen über die beste Ausrüstung. Aber man muss sich einmal vor Augen führen, was es bedeutet, das Boot in voller Fahrt zu drehen. Im Training, das bei starkem, akzeptablem Wind stattfindet, brauchen wir 45 Minuten, bis wir wieder an der Stelle sind, an der die Person über Bord gegangen ist. Scallywag hatte gerade eine Patenthalse gefahren. Das Team musste das Boot wieder unter Kontrolle bekommen und alle Crewmitglieder ausgerüstet an Deck holen, die Segel einrollen und bei sechs bis sieben Meter hohen Wellen und Böen von 60 Knoten gegen den Wind segeln.“
In der Mitteilung der Regattaorganisation heisst es, John Fisher sei angesichts des heftigen Schlags, das ihm das Grossschot-System versetzt habe, vermutlich bereits bewusstlos gewesen, als er über Bord ging, was die Chancen, ihn lebend zu bergen, noch mehr schmälerte. Auf unsere Frage, ob das AIS-System (Automatisches Identifikations-System) funktioniert habe, erhielten wir keine Antwort. Regattadirektor Phil Lawrence verzichtete aus Rücksicht auf die Familie des Verunglückten und angesichts der laufenden Ermittlungen auf eine Stellungnahme. Dass die Suchsysteme bei den harschen Bedingungen an ihre Grenzen gestos-sen sind, ist allerdings nachvollziehbar. Jedes Crewmitglied trägt zwar einen in der Rettungsweste integrierten automatischen AISSender, einen weiteren in einer Bauchtasche, die es an Deck stets auf sich tragen muss, eine Taschenlampe und seit der achten Etappe eine PLB-Funkbake (Personal Locator Beacon), aber die ganze Technik muss in kritischen Situationen auch noch einwandfrei funktionieren.
Angeseilt bleiben
Die Suchaktion, die sich in diesem Fall als nahezu unmöglich erwiesen hat, ist das eine, die Sicherheit an Bord das andere. Als Regel Nummer 1 gilt bei allen Seglern: auf keinen Fall ins Wasser fallen. Und das gelingt nur, wenn man sich konsequent sichert. In der Praxis gestaltet sich das allerdings nicht immer ganz einfach und die Lifebelt ist nicht ständig mit der Sorgleine verbunden. Es komme vor, dass man die Sicherheitsleine lösen müsse, erklärt Elodie-Jane Mettraux vom Team Turn the Tide on Plastic. „Klar sichern wir uns, aber es gibt Situationen, da ist das fast unmöglich“, räumt sie ein. „Beim Bewegen zwischen zwei Positionen, zum Beispiel, wenn man über die Schoten steigen muss, kann man den Karabiner nicht jedes Mal an einer Lifeline oder einem festen Punkt am Boot befestigen. Aber sobald wir an unserer Position sind, haken wir ihn wieder ein.“ John Fisher wurde genau das zum Verhängnis, er hatte kurz vor dem Sturz die Sicherheitsleine gelöst. „Das hätte auf jedem anderen Boot passieren können“, versichert Elodie-Jane Mettraux. „Ich glaube nicht, dass er etwas falsch gemacht hat. Es war ein Riesenpech, eine Verkettung unglücklicher Umstände.“ Jacques Valente, der sich gerade auf die Route du Rhum vorbereitet, ist diesbezüglich strikter. Als Einhandsegler gibt es für ihn kein Wenn und Aber: „Man darf unter keinen Umständen ins Wasser fallen, muss den Sicherheitsgurt ständig tragen und die Sorgleine kurz halten.“ Ausnahmen gibt es für ihn keine. Zusätzlich seien sie mit einem AIS-Sender und mit einer PLB ausgestattet und tragen die Fernbedienung des Autopiloten auf sich. „Sobald die Fernbedienung mehr als 20 Meter vom Boot entfernt ist, dreht sich dieses zum Wind.“
Obligatorische Ausbildung
Seit mehreren Jahren darf nur an Hochseeregatten teilnehmen, wer eine entsprechende Ausbildung vorweisen kann. Neben dem obligatorischen zweitägigen World-Sailing-Kurs, der jeweils fünf Jahre gültig bleibt, müssen die Segler des Volvo Ocean Race seit der Austragung von 2017/18 einen Yacht Master absolviert haben. Er entspricht in etwa dem Schweizer Hochseeschein.
Um die Anforderungen der Route du Rhum zu erfüllen, musste auch Jacques Valente seinen World-Sailing-Kurs wiederholen. Seine Bilanz fällt äusserst positiv aus: „Verglichen mit der Ausbildung vor 20 Jahren hat sich viel getan. Die Praxisübungen sind äusserst komplett und man lernt viel. Für die Route du Rhum müssen wir noch einen zusätzlichen Kurstag für Notfallmedizin besuchen.“ Diese Sicherheitsanforderungen haben natürlich auch ihren Preis. „Man muss nicht nur die Kurse bezahlen, sondern auch die Ausrüstung anschaffen und die ist teuer“, bestätigt der Genfer. „Wir müssen zwei Satellitentelefone, eines an Bord und das andere in einem Grab-Bag, den AIS-Sender, die PLB, eine EPIRB, einen Überlebensanzug, eine Rettungsinsel und mehr an Bord haben. Allein schon dieses Material kostet rund 3000 Euro.“ Im Verhältnis zum Budget für die Regattateilnahme ist das zwar ein Klacks, bei kleinen Projekten hingegen kann ein solcher Betrag aufs Portemonnaie schlagen. Aber Sicherheit hat schliesslich keinen Preis, vor allem, wenn man damit Leben retten kann.