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Mit Jacques Valente an der Route du Rhum: Die letzten Stunden vor dem Ru(h)m

von Quentin Mayerat

In den letzten Momenten vor dem Start der Route du Rhum spielen die Gefühle der Segler verrückt. Auch für Jacques Valente waren die Stunden vor dem Startschuss eine emotionale Achterbahn. Skippers hat den Schweizer begleitet.

Was in Sables d’Olonne die Kanalausfahrt, ist in Saint-Malo die Schleuse – eine obligate Passage, um vom Vauban-Becken in die Bucht und von dort aufs offene Meer zu gelangen. Die berühmte Schleuse an der Chaussée Eric Tabarly ist eng mit dem Mythos der berühmtesten Transat der Welt verbunden. Sie steht stellvertretend für das letzte Band zwischen Segler und Publikum und für die Vollendung einer Herkulesarbeit.

Ein Dankeschön an das Leben

depart-4Die Phase unmittelbar vor dem Start der Route du Rhum ist ein Marathon, ein Rennen vor dem Rennen, und für Amateure wie Jacques Valente vermutlich noch nervenaufreibender als für Profis. Der 57-jährige Skipper hat bereits an zwei Einhand-Transatlantikregatten teilgenommen. Vor drei Jahren beschloss er, sich in der Kategorie der Class40 Vintage an der Route du Rhum anzumelden, um ein ganz spezielles Jubiläum zu feiern. Jetzt ist es soweit. „Ich bin zehn Jahre alt“, erklärt er bei der Taufe seines Bootes in Saint-Malo mit bewegter Stimme. „Vor zehn Jahren hat mir Laurence das Leben gerettet. Sie hat mir eine Niere gespendet. Mein Nierensystem funktionierte nicht mehr und ich wartete auf ein Spenderorgan. Sie hat mir ein unglaubliches Geschenk gemacht.“ Kaum hat er den Satz ausgesprochen, versagt ihm die Stimme. Er entschuldigt sich, dass er so emotional reagiert, und setzt die Zeremonie protokollgetreu fort. Jacques Valente hat keine Minute für sich. Er bemüht sich um seine Partner, von denen einige erst eine Woche vor dem Start dazugestossen sind. „Ich habe bis zuletzt nach Sponsoren gesucht, jetzt aber das Glück, dass mich die Stadt Evian und die Caisse d’Epargne von Aubonne unterstützen“, sagt er. Die Champagnerflasche zerplatzt auf Anhieb am Bug. Ein gutes Omen für die oft abergläubischen Segler. Schiffspatin Peggy Bouchet hat ihre Aufgabe gut gemacht. Die erste Frau, die den Atlantik rudernd überquert hat, hegt tiefe Bewunderung für den Schweizer: „Hinter dem Projekt steckt ein grossartiges menschliches Abenteuer. Das Boot ist ein Symbol für Mut, Kampfgeist und Grosszügigkeit. Jacques leistet mit seiner Unterstützung von Organspenden Grossartiges. Er ist eine Kämpfernatur, jemand, der nie aufgibt.“

Leinen los!

Während Jacques die letzten Stunden mit seinen Angehörigen verbringt, macht Jean-Marc Lenormand das Boot segelfertig. Punkt für Punkt geht der einzige Profi im Team seine Checkliste durch und nimmt die letzten Feineinstellungen vor. Jacques Valentes langjähriger Freund Dan Guye geht ihm dabei tatkräftig zur Hand. Um den Skipper mental nicht unnötig zu belasten, dirigiert die Projektleiterin Luce Molinier die Beteiligten mit eiserner Hand. „Wenn du Fragen hast, wende dich an mich!“, ruft sie bestimmt.
Samstag, 16 Uhr. Zeit, die Mole in Richtung Schleuse zu verlassen. Aufgrund der Gezeiten, vor allem aber aufgrund der vielen Boote, starten die Organisatoren bereits am Vorabend mit der Evakuierung des Hafenbeckens. Wir gehören zur ersten Gruppe. Die Schleuse wird die ganze Nacht in Betrieb bleiben.
Rund zwanzig Class40 gleiten dem belebten Quai Saint-Louis entlang. Dicht gedrängt bejubeln und beklatschen die Zuschauer die vorbeifahrenden Jachten. Ihr Applaus und ihre Rufe hallen noch stundenlang durch die Strassen. Im Becken kreisen die Boote, bis die Schleuse geöffnet wird. Über Funk kommen dauernd neue Informationen herein. Hochkonzentriert beobachten Jean-Marc und Luce das Wasser. „Gib etwas mehr Gas, damit das Boot manövrierfähig bleibt!“, empfiehlt Jean-Marc dem Skipper. Sich bei dieser Ehrenrunde nicht ablenken zu lassen, ist keine einfache Aufgabe. Die Schleuseneinfahrt ist frei. Jacques befolgt aufmerksam die Anweisungen der Schleusenwärter und steuert das Boot im Schritttempo in die Kammer.

Die Stunde des Ruhms

depart-14Die beiden Beckenufer sind schwarz vor Menschen. Euphorisch schwenken sie bretonische Flaggen. Ein Schlagwerk-Orchester macht Stimmung. „Es ist unglaublich“, staunt Jacques Valente, „komplett verrückt. Wir arbeiten seit drei Jahren auf diesen Moment hin. Ich möchte mich bei allen bedanken, die es mir möglich gemacht haben, heute hier zu sein. Unmöglich, hier nicht sentimental zu werden. Ich rate allen, die von der Route du Rhum träumen, in vier Jahren hierherzukommen. Das muss man einfach erlebt haben.“
Während das Wasser aus der Schleusenkammer strömt, werden die Gesänge und Anfeuerungsrufe lauter. Behäbig öffnet sich das schwere Tor. Das Team wird von der eindringenden Strömung etwas überrascht, reagiert aber prompt und gibt Gegensteuer, während der Skipper die Atmosphäre auf sich wirken lässt und dabei vergisst, den Motor zu starten. Alles halb so schlimm. Wir verlassen die Schleuse Richtung Dinard, wo die Evian-Destination die Nacht verbringt. Brieux Maisoneuve fährt uns mit seinem Schlauchboot nach Saint-Malo zurück. Nur Jean-Marc bleibt an Bord. Schliesslich lässt man ein Boot am Vorabend der Route du Rhum nicht allein.

Der grosse Tag

depart-10Am nächsten Morgen um 9 Uhr haben sich Freunde, Lebensgefährtin, Techniker und Fotografen pünktlich und vollzählig im Hafen Les Sablons eingefunden. Ein letztes Wetterbulletin flattert herein. Jacques studiert es kurz und meint dann erleichtert: „Gestern haben sie noch 50 Knoten vorausgesagt, heute sind es nur noch 40 und der Sturm dürfte in vier, fünf Stunden vorbei sein. Das wird schon werden.“ Etwas gestresst klingt er dabei trotzdem.
Wir gehen an Bord. Luce und Jean-Marc klarierendie Schoten und setzen die Vorsegel . Brieuc gibt Anweisungen zur Startlinie. Unter Motor geht es zum Startplatz. Mit 12 bis 15 Knoten Südwind sind die Bedingungen ideal. Bei einer Live-Übertragung bedankt sich Jacques ein weiteres Mal bei seinen Angehörigen und Partnern und wendet sich dann seinem Boot zu. „Alles in Ordnung, der Motor ist plombiert, ich habe die Fotos der Regattaleitung geschickt.“ Die letzten Punkte auf der Checkliste können abgehakt werden. „Hast du die SD-Karte eingepackt? Und die zweite Rettungsweste? Ist das Funkgerät richtig programmiert?“ Alles da, beschwichtigt Jacques.
Wir springen mit dem Fotografen Erwan ins Schlauchboot und lassen Jacques mit seinem Techniker zurück. Für grosse Abschiedsszenen ist keine Zeit, Gefühlsausbrüche müssen warten. Weniger als 30 Minuten später erklingt der Startschuss. Wenden, halsen, ausreffen…
„Fünf, vier, drei, zwei, eins, null, los!“, schallt es aus dem Funkgerät. Die Flotte ist nicht mehr zu halten, die Spannung greifbar. Jacques Valente steuert das Cap Fréhel, die letzte Bahnmarke vor Guadeloupe, an. Vor ihm liegt ein langer, hindernisreicher Weg. Aber er hat seinen Traum, die Route du Rhum zu segeln, um die Öffentlichkeit für Organspenden zu sensibilisieren, wahr gemacht. Hut ab!

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