Fotos: ©Héloïse Martin
Aufbrechen und alles hinter sich lassen: Manche träumen davon, wie von einem fernen, aber unerfüllbaren Herzenswunsch, der sich mit unseren täglichen Verpflichtungen nicht vereinbaren lässt. Héloïse Martin, eine ehemalige Mitarbeiterin der Outremer-Werft, hat ihren Lebenstraum wahr gemacht. Nachdem sie mehrere Jahre für die Vorzüge von Kreuzfahrten geworben hat, ist sie an Bord eines Outremer 5X zu ihrer eigenen grossen Reise aufgebrochen. Hier ihre Geschichte.
Ich glaube, dass jeder seine eigenen Gründe hat, warum er reist. Für mich ist diese Weltreise wie ein Initiationsritus. Ich bereise die Welt, um sie besser zu verstehen, meinen Platz zu finden, mich zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu fühlen und meine kühnsten Träume zu verwirklichen. Im November 2018 bin ich aufgebrochen und habe meine Reise mit einer Atlantiküberquerung vom Mittelmeer zu den Antillen begonnen.
Reisen ist kein Intermezzo
Nach meinem Masterabschluss in Marketing arbeitete ich als Marketingleiterin für die Katamaranmarke Outremer, eine stark wachsende Firma mit einer Start-up-Philosophie, hochwertigen Booten und einem Management, das viel Wert auf ein gutes Arbeitsklima legt. Ein Traumjob in einem privilegierten Umfeld, für den ich sehr dankbar war. Dennoch fühlte ich mich im Lauf der Jahre je länger je unwohler, irgendwie fehl am Platz.
Ich träumte von Reisen, Begegnungen und davon, meine Grenzen auszutesten. Ich wollte dem Alltagtrott entkommen, meine unterdrückte künstlerische Ader ausleben und meine eigene Lebensweise erfinden. Die Zeit war gekommen, mich zu entfalten. Einen Traum wahr zu machen ist nicht ganz einfach. Man kann im eigenen Umfeld auf Unverständnis stossen, muss die Risiken kalkulieren, das Arbeitsverhältnis auflösen und die Reise vorbereiten. Es gibt Tausende von Gründen, die man vorschieben kann, um den Schritt dann doch nicht zu wagen.
Aber wozu leben wir dann? Ich kündigte meinen Job und ein paar Formalitäten später war ich eine selbstständigerwerbende Marketingberaterin, die ihren Lebensunterhalt überall auf der Welt verdienen kann. Zusammen mit meinem Freund entwickelte ich ein künstlerisches Projekt, das um das Kernthema Reisen kreist und Kindern aus der ganzen Welt in Form von Musik und Fotos eine Stimme gibt. Als erstes erstellte ich meine persönliche Reisewunschliste: den Atlantik mit dem Boot überqueren, Südamerika mit dem Motorrad befahren, durch die mongolischen Ebenen galoppieren und den Amazonas, Tokio, Feuerland und die Philippinen besuchen. Danach verabschiedete ich mich von meinen 150 Paar Schuhen und meiner Prinzessinnengarderobe und machte mich mit einem weniger als zehn Kilo leichten Rucksack, Gitarre und Laptop inklusive, auf den Weg.
Loslassen hiess das Zauberwort. Trotz meiner unbändigen Lebenslust und dem unwiderstehlichen Drang, meine Träume wahrzumachen, brauchte ich dazu viel Mut, einen eisernen Willen und eine gewissenhafte Organisation. Doch ich wollte alles hinter mir lassen, um das zu verstehen, worauf es im Leben wirklich ankommt. „Ich wünsche Ihnen endlose Träume und ein furioses Verlangen, einige dieser Träume umzusetzen“, sagte der grosse Jacques Brel.
Die Magie einer Atlantiküberquerung
Ich startete meine Reise nach Amerika auf dem Seeweg. Als Untersatz diente ein werftneuer Outremer 5X, der sich in jeder Hinsicht als perfekt erwies. Der Fahrtenkatamaran war seinen neuen Besitzern gerade erst ausgeliefert worden.
59 Fuss mögen riesig erscheinen, der Kat lässt sich jedoch überraschend einfach steuern, verfügt über ein effizientes Deckslayout, eine gut durchdachte Ergonomie und sogar für eine kleine Person wie mich (1,68 m) eine gute Sicht voraus.
Der Passat schob das Boot mit komfortablen 12 bis 13 Knoten vorwärts. Wir wechselten zwischen Gennaker und grossem Spi und verfeinerten den Trimm fortlaufend, damit der Katamaran möglichst schnell vorankam. Dabei stritten wir uns wie Kinder um das Steuer und steigerten uns in einen regelrechten Temporausch hinein. Selbst bei 20 Knoten und starkem Seegang quietschte der Kat nicht, wir fühlten uns behütet und sicher. Im Inneren bietet er alle Annehmlichkeiten eines Hauses: weiche Bettwäsche, eine Küche wie für einen Meisterkoch, helle und gut belüftete Badezimmer. Dem Besitzer gebührt ein grosses Dankeschön, er hatte Vorräte wie für ein Fünfsternerestaurant gebunkert: genügend Früchte und Gemüse für die gesamte Überquerung und eine Menge Nahrungsmittel für Gourmet-Speisen. Der Fisch kam fangfrisch auf den Teller, das Brot jeden Tag frisch aus dem Backofen.
Als Äolus sich vorübergehend verabschiedet, hatte bat ich den Kapitän, das Tempo zu drosseln, um in den Ozean abzutauchen. Acht Kilometer ist er an dieser Stelle tief, eine schwindelerregende Zahl. Wieder an der Oberfläche dieser unermesslichen Weite wurde mir bewusst, dass wir nur Sternenstaub sind. Das Leben auf dem Meer lädt zum Träumen und Nachdenken ein. Man bewundert die unzähligen Blautöne, lauscht der ungewohnten Stille, beobachtet fasziniert den täglichen Tanz der Delfine und erfreut sich an den seltenen Auftritten der Wale. Geleitet von Sonne und Sternen vergisst man die Zeit. Die Tage vergehen, man sehnt nicht mehr das Wochenende herbei. Der Augenblick, darauf kommt es an, alles andere ist unwichtig.
Land in Sicht! Wir sprangen vor Freude in die Luft: ein Restaurant, Menschen, Internet! Trotz der Aufregung war ich etwas wehmütig, als ich den Fuss wieder auf festen Boden setzte. Eigentlich hatte ich keine Lust, von Bord zu gehen! Ich hatte sie viel zu sehr genossen, die freie Welt dort draussen, in der nur die Elemente Grenzen setzen. Mit dem Flugzeug wäre ich in sieben Stunden am Ziel gewesen, mit dem Boot habe ich 16 Tage gebraucht. Aber der Weg ist ja schliesslich die Reise.
Wenn Sie die Erfahrung reizt, zögern sie nicht, stürzen Sie sich ins Abenteuer! „Das Meer, das Meer, ein immer neues Schenken!“ schrieb einst Paul Valéry.
Das weitere Programm? Die sanften, kontrastreichen Antillen und das aufständische Kuba.