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Alinghi III – Die Technologie: verleiht Alinghi Flügel

von Isabelle Musy

Nach dem America’s Cup hat Ernesto Bertarellis Team nicht die Segel gestrichen, im Gegenteil. Neu dimensioniert und seinen Werten treu geblieben mischt es weiter an der Weltspitze mit.

Loris von Siebenthal

Text: ISABELLE MUSY

In der Schweiz wird der Name Alinghi für immer für die Eroberung der Silberkanne stehen – dem unglaublichen Sieg eines Binnenlands an der ältesten und prestigeträchtigsten Segelregatta der Welt. Die Siege von 2003 und 2007 haben der Schweiz und insbesondere der Genferseeregion zu weltweitem Ansehen verholfen. Sie werden seither nicht mehr nur bei Kennern, sondern auch in der breiten Öffentlichkeit als technologische Hochburg wahrgenommen.

Doch Alinghi gab es schon viele Jahre vor der ersten America’s-Cup-Kampagne 2002–2003 in Auckland. Und Alinghi gibt es immer noch, viele Jahre nach der Niederlage von 2010 gegen Oracle, die der glorreichen Episode ein Ende setzte.

Das von Ernesto Bertarelli aufgebaute Team ist seit 26 Jahren ein fester Bestandteil der Genfersee-Regattaszene. Sein Debüt im Jahr 1994 war Spektakel pur und im Nachhinein kennzeichnend für den weiteren Verlauf. An seiner allerersten Bol d’Or kenterte der Trimaran nämlich kurz vor dem Ziel, trieb auf dem See und querte die Linie dann doch noch als 3.

An der Weltmeisterschaft 2018 der GC32 auf dem Gardasee holte Tilt den Titel, Alinghi wurde 4.

Alinghi besteht aus einem harten Kern um Ernesto Bertarelli. Darum herum kreist eine Gruppe, die sich fortlaufend weiterentwickelt und verbessert. Unverändert bleiben hingegen die Prinzipien und Werte. Ungeachtet der Projekte und Epochen stehen Leidenschaft, Freundschaft, Loyalität, Familiensinn und das Streben nach Aussergewöhnlichem im Vordergrund. «Aus diesen Zutaten schöpfen wir die Motivation. Sie helfen uns, in unserem Streben nach Exzellenz und Performance jeden Tag einen Schritt weiterzukommen», bestätigt Pierre-Yves Jorand, der Ernesto Bertarelli seit der ersten Stunde zur Seite steht.

Die Niederlage gegen Oracle am America’s Cup hätte das jähe Ende bedeuten können, aber Alinghi hat sich neu definiert und in einer schlankeren Formation weitergemacht. «Man kann es Familie, Sippe, Kultur oder Teamspirit nennen. Auf jeden Fall verbindet uns etwas zutiefst Menschliches und die Erinnerung an etwas Grossartiges, das dank unserer kleinen Abenteuer weiterlebt», definierte Ernesto das Gefühl im Rahmen eines Dokumentarfilms, der zum 15. Jahrestag des Siegs in Auckland gedreht wurde. «Wir segeln zwar nicht mehr am America’s Cup, aber weiterhin auf internationalem Topniveau. Wir haben den Wettkampfgeist im Blut und geben stets unser Allerbestes. Niederlagen zu akzeptieren, um unsere Entscheidungen und unsere Praxis zu hinterfragen und nach Exzellenz zu streben, ist ein wichtiger Bestandteil des vielbeschworenen Alinghi-Spirits.»

Um die beiden Grundfesten Ernesto Bertarelli und Pierre-Yves Jorand bildete sich in den späten 1990er-Jahren der harte Kern aus den Seglern Yves Detrey und Nils Frei und den unverzichtbaren Technikern João Cabeçadas und David Nickles. 2009 stiess mit Coraline Jonet das erste weibliche Teammitglied hinzu. «Es ist uns gelungen, die richtigen Leute zusammenzubringen, mit denen wir uns gut verstehen, und wir haben es geschafft, diese Dynamik für kleinere Projekte aufrecht zu erhalten. Hier liegt die Stärke von Alinghi», betont Yves Detrey.

Das erste dieser Projekte war der D35. Alinghi ist auch während seiner America’s-CupZeit auf dem See gesegelt und hat weiterhin an der Bol d’Or und der D35-Meisterschaft teilgenommen. Dem Team wurde es auf dem See aber schon bald zu eng. Es strebte nach Grösserem. Alinghi hatte die Zeichen der Zeit erkannt und wollte auf keinen Fall den Zug der fliegenden Boote verpassen.

Lloyd Images

Technologisch an der Spitze

«Innerhalb von nur zehn Jahren hat ein Umbruch stattgefunden. Es hat sich alles grundlegend verändert», sagt Pierre-Yves Joran rückblickend. «Am Dog Match 2010 duellierten sich noch «normale» Boote ohne Foils, heute fliegen kleine Mehrrümpfer und Einrümpfer übers Wasser, ohne es nur ein einziges Mal zu berühren. Das ist nicht mehr nur eine Weiterentwicklung, sondern eine Revolution. Die Herausforderung für unser Team besteht darin, dem Rhythmus zu folgen.»

Obwohl die Projekte im Vergleich zu den America’s-Cup-Kampagnen bescheidener ausfallen, stieg Alinghi logischerweise in die Foiler-Szene ein.

«Ernesto Bertarelli war es ein Anliegen, auch nach dem Ende der Cupepisode im Jahr 2010 mit einem international konkurrenzfähigen Team antreten zu können. Das Niveau bei den D35 war extrem hoch und lockte viele internationale Spitzensegler an, aber das reichte natürlich nicht, um das Team zu erhalten und zu verbessern», erzählt Coraline Jonet. Deshalb habe Bertarelli beschlossen, bei den Extreme Sailing Series und später auch bei den GC32 einzusteigen. «So bekam das Team die Gelegenheit, an einer modernen Regattatour auf One-Design-Booten zu foilen.»

Nach dem frenetischen Wettrüsten der drei America’s-Cup-Kampagnen war für Alinghi der Grundsatz der Einheitsboote, der faire Voraussetzungen für alle garantiert, besonders wichtig. «Gleiche Bedingungen für alle, das liegt uns wirklich am Herzen», bestätigt Pierre-Yves Jorand. «Klar hätten wir die nötigen Mittel für einen Rüstungswettlauf, aber das haben auch andere. Mit gleichen Booten und gleichen Werkzeugen zu segeln wie unsere Gegner ist genau das, was wir suchen. Wir haben das auf dem D35 getan, werden das noch eine Saison auf dem GC32 und künftig auch auf den TF35 tun. All diese Boote haben einen gemeinsamen Nenner, nämlich die Frauen und Männer an Bord.»

Der Cup sei ein Temporennen mit guten Seglern, aber ein Team gehe gelassener an den Start, wenn es wisse, dass sein Boot schneller sei, fährt Pierre-Yves Jorand fort. «Und da alle sehr gut segeln, ist dieser Geschwindigkeitsvorteil entscheidend. In einer Einheitsklasse stehen die Zähler am Anfang jeder Saison auf null, denn das Material ist identisch. Hier sind Team, Coach und Techniker gefragt. Sie müssen das Boot bestmöglich vorbereiten, besser segeln und die Daten richtigen interpretieren. Das bedeutet nicht, dass wir uns nicht mehr für Forschung in diesem Bereich interessieren, aber wir schätzen es, dass wir mit gleichen Waffen kämpfen können.»

Nicolas Jutzi

Frisches Blut

Auf Booten, auf denen die Frauen und Männer über Sieg und Niederlage entscheiden, war es für Alinghi wichtig, frisches Blut ins Team zu bringen. Der harte Kern setzt seinen gemeinsamen Weg mit ungebrochener Begeisterung fort, war aber schlau genug, Junge ins Team aufzunehmen. Dieser Schritt war nötig, um nicht einzurosten und die körperlich immer anspruchsvolleren Foilerboote handeln zu können. «Worauf es heute ankommt, ist die Leistung der Segler. Um schneller zu sein als der Gegner, braucht es junge Leute, die kräftiger, schneller und robuster sind und deren Festplatte funktioniert», erklärt Pierre-Yves Jorand.

Foiler sind kräfteraubend, weshalb frisches Blut umso wichtiger ist. Die Jungmannschaft von Alinghi ist ihre ersten Schläge auf Foilerbooten gesegelt.

In den letzten Jahren sind daher nach und nach junge Talente zu Alinghi gestossen: Nicolas Charbonnier, Bronzemedaillengewinner auf dem 470er an den Olympischen Spielen in Peking, Arnaud Psarofaghis, der praktisch auf Foilier-Moth grossgeworden ist, Timothée Lapauw sowie der erfahrene Foilersegler Bryan Mettraux, der 2013 mit Tilt am Youth America’s Cup den 4. Platz belegte und 2018 die Weltmeisterschaft der GC32 gewann.

Laut Coraline Jonet bringen sie ganze andere Voraussetzungen mit: «Die Jüngsten haben ihre ersten Segelerfahrungen mit Foilern gemacht und kennen sich daher besser aus als ältere Semester, die über Jollen und Einrümpfer eingestiegen sind. Die Stärken der Älteren zu wahren und gleichzeitig neue Elemente aufzunehmen, das macht den Charme und die Kompetenz des Teams aus. Um die Alchemie aufrecht zu erhalten, werden Neuzuzüger schrittweise integriert. Darin verstehen sich Pierre-Yves und Ernesto offensichtlich, denn die Neumitglieder bleiben. Dass dieses Konzept funktioniert, liegt auch an der Kommunikation, die sowohl an Bord als auch an Land deutlich verbessert wurde.»

Alinghi hat die richtige Mischung gefunden. Die Veteranen mit ihrer unschätzbaren Er- fahrung, darunter drei America’s-Cup-Teilnahmen, und die temperamentvollen, talentierten und ambitionierten Jungspunde ergänzen sich perfekt. Sie bilden eine eingeschworene Gemeinschaft. Wann und wo immer wir Zeit mit ihnen verbracht haben, am Genfersee oder in ferneren Regionen wie Lissabon oder Hamburg, erlebten wir eine fröhliche Truppe, in der eine familiäre Atmosphäre herrscht, die aber trotzdem extrem gewissenhaft und professionell arbeitet. «Das Team hat mit den dazugestossenen Talenten ein gutes Gleichgewicht erreicht», bestätigt Jorand. Das sei genial, weil es Kraft und Stärke bringe und für Begeisterung und einen wachen Geist sorge.

Alinghi wird die Bol d’Or Mirabaud 2019 und ihre Sturmhölle nicht so schnell vergessen.

Die Jungen spornen ihn an, sagt Jorand. Sie pushen ihn aus der Komfortzone. «Bei ihnen muss es schnell gehen, nicht nur auf dem Wasser und bei Regatten, sondern auch an Land. Sie wollen vorwärtsmachen und drängen auf Entscheidungen. Sie überrumpeln uns damit manchmal, aber das ist in einer Sportart, in der sich die Technik wei-terentwickelt, unverzichtbar. Junge Leute passen sich neuen Bootstypen besser und schneller an als wir. Sie handeln instinktiv und geben den Takt vor. Das verleiht Flügel. Sie haben ihre sportliche und auch die technische Entwicklung noch vor sich.»

Für die Nachwuchsathleten, die als Kinder den Erfolg von Alinghi am America’s Cup im Fernsehen mitverfolgt haben und jetzt selbst Mitglied dieses legendären Teams sind, geht ein Traum in Erfüllung. Alinghi hat aber noch andere Spitzensegler inspiriert. Viele der heutigen Topsegler in den olympischen Klassen haben wegen Alinghi mit dem Segeln angefangen, sagt Nils Frei. «Zu sehen, dass sich unser Sport dank des Siegs von Alinghi weiterentwickelt hat, erfüllt uns mit grosser Freude.»

Das Team ist stolz, dass es etwas auslösen und einer neuen Generation als Vorbild dienen konnte. Nicht zuletzt ist es auch stolz, dass es die Farben von Alinghi nach dem Cup auf Seen und Meeren hochhalten kann. Seit dem Ende des America’s-Cup-Abenteuers im Jahr 2010 hat Alinghi fünfmal die D35-Meisterschaft (acht Siege insgesamt), zweimal die Bol d’Or (sieben Siege insgesamt), dreimal die Extreme Sailing Series (vier Siege insgesamt), sowie je einmal die GC32-Meisterschaft und die Weltmeisterschaft der GC32 gewonnen. Und 2020 beginnt mit den TF35 ein neues Abenteuer. Die Saison steht ganz im Zeichen der Foilerboote.

Alinghi hat das richtige Gleichgewicht zwischen den erfahrenen Veteranen und der ungestümen Jugend gefunden.

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