Seit der Whitbread der Disque d’Or ist viel Wasser den Bach hinuntergeflossen. Die Schweizer waren seither an allen grossen Hochseeregatten dabei. Überblick über die wichtigsten Offshore-Anlässe der letzten 20 Jahre mit Schweizer Beteiligung.
Text: VINCENT GILLIOZ
Mit seinen fünf Weltumsegelungen im Team war Pierre Fehlmann unbestritten der Mann der Stunde: Er und niemand sonst hat die Schweiz zu einer grossen Segelnation im Offshore-Zirkus gemacht. Dass unser kleines Binnenland diesen Ruf halten konnte, verdanken wir aber auch Laurent Bourgnon, Dominique Wavre, Bernard Stamm und den Ravussin-Brüdern. Zusammen haben sie zwei Routes du Rhum, zehn Weltumsegelungsregatten, je ein Around Alone und ein Velux 5 Ocean und mehrfach die Jules Verne Trophy gewonnen und damit bewiesen, dass der Meeresanstoss nichts über die Grösse der Segler aussagt. Auch der Nachwuchs scheint gesichert. Mit den Mettraux-Schwestern, Nils Palmieri und natürlich Alan Roura stehen die Chancen gut, dass die rote Flagge mit dem weissen Kreuz noch weitere Jahre oder gar Jahrzehnte über den Ozeanen flattert.
Rund um den Globus
Fangen wir die Rundschau mit den Weltumseglerinnen an. Elodie-Jane und Justine Mettraux waren am Volvo Ocean Race 2014/2015 Teil des reinen Damenteams SCA um Steuerfrau Samantha Davis. Es belegte im sieben Boote starken Feld zwar nur den zweitletzten Platz, konnte aber von Lissabon nach Lorient immerhin einen Etappensieg feiern. Am darauffolgenden Volvo Ocean Race wurde Justine vom Team Dongfeng angeheuert, mit dem sie die Etappe von Melbourne nach Hongkong, das Inport Race in Cardiff und die 10. Etappe von Cardiff nach Göteborg bestritt. Die von Charles Caudrelier gesteuerte VO65 hisste sich auf den 2. Schlussrang. Elodie-Jane nahm auf der Turn the Tide on Plastic an der 3. Etappe von Kapstadt nach Melbourne teil. Unter Skipperin Dee Caffari beendete das Boot sowohl die Etappe als auch das Rennen als 6.
Dominique Wavre startete unglaubliche zehnmal zu einer Weltumsegelung. Drei Whitbreads, ein Volvo, vier Vendée Globes und zwei Barcelonas stehen in seinem Logbuch. Nicht immer hat er es ins Ziel geschafft, wie alle Segler kannte auch der ehemalige Steuermann von Fehlmann Hochs und Tiefs. An der Vendée Globe 2001 wurde er auf der Union Bancaire Privée 5., 2005 erzielte er auf der Temenos mit einem 4. Platz sein bestes Ergebnis. 2008/2009 musste er das Rennen wegen eines Kielschadens abbrechen, brachte dann aber das Boot nach einem Reparaturstopp auf den Kerguelen trotz widrigsten Bedingungen nach Australien. 2012 klassierte er sich auf der Mirabaud als 7. Zwischen den Vendée Globes absolvierte er zusammen mit seiner Lebensgefährtin Michèle Paret zwei Barcelona World Races. 2008 kletterte er aufs Podest (3.), 2011 bedeutete ein Mastbruch vor dem Kap Hoorn das frühzeitige Aus.
Auch Bernard Stamm ist mehrmals um den Globus gesegelt – oder hat es zumindest versucht. Dreimal startete er zur Vendée Globe (2001, 2008 und 2012), dreimal musste er das Handtuch werfen. Beim ersten Mal war schon kurz nach den Kanarischen Inseln Schluss, beim zweiten Mal schaffte er es bis zu den Kerguelen und das dritte Mal wurde er südlich von Neuseeland disqualifiziert. Besser lief es für Stamm an den Weltumsegelungen mit Zwischenstopps. Er gewann sowohl das Around Alone 2002 als auch das Velux 5 Ocean 2007 und verbuchte zusammen mit Jean Le Cam einen Sieg am Barcelona World Race 2015. Als Crewmitglied eroberte Bernard Stamm zudem mehrmals die Jules Verne Trophy: an Bord der Orange (2005) mit Bruno Peyron und auf dem Maxi-Trimaran IDEC Sport mit Francis Joyon.
Mit den Ravussin-Brüdern schnappten sich zwei weitere Schweizer den Preis für die schnellste Weltumsegelung. Stève machte 2010 in 48 Tagen mit Franck Cammas auf Groupama den Anfang. Zwei Jahre später unterbot Yvan die Bestzeit mit Loïck Peyron auf Banque Populaire V um drei Tage.
Ein Schweizer fehlt noch bei dieser Auflistung der Weltumsegler. Alan Roura belegte an der Vendée Globe 2017 nicht nur den sensationellen 12. Platz, er war auch der jüngste Teilnehmer, der bei diesem Rennen ins Ziel kam. Ende 2020 will er es erneut wissen. Dann tritt der derzeit grösste Schweizer Hoffnungsträger der Offshore-Szene mit einem zeitgemäss optimierten Boot an.
Allein über den Atlantik
Die 1978 ins Leben gerufene, alle vier Jahre ausgetragene Route du Rhum hat den Schweizern schon viel Glück gebracht. In den letzten 20 Jahren war ihnen allerdings nicht mehr der gleiche Erfolg beschert.
2002 warf ein gewaltiger Sturm kurz nach dem Start den Grossteil der Flotte aus dem Rennen. Yvan Bourgnon kenterte und wartete fünf lange Tage auf seinem umgekehrten Boot auf Rettung. Dominique Wavre hatte aufgrund einer zerfetzten Fock jede Hoffnung auf ein gutes Resultat verloren und warf resigniert das Handtuch. Nur vier der 18 Trimarane waren nach dem verheerenden Tief noch segeltüchtig, darunter Stève Ravussin mit Technomarine. Er hatte den Sieg in Reichweite, 700 Seemeilen vor dem Ziel war ihm der Triumph eigentlich nicht mehr zu nehmen. Doch er schlief im falschen Moment ein und sein Boot kippte. «Ich bin ein Idiot», fluchte er am Satellitentelefon. Zu Recht, er hatte aus Unachtsamkeit gerade den sicheren Sieg an der legendären Regatta vergeben.
2006 wollte Stève Ravussin Revanche nehmen, ging an Bord der Orange Project aber durch die Hölle. Zunächst sass er wegen eines Reparaturstopps 25 Stunden auf den Azoren fest. Dann versagte mitten auf dem Atlantik sein Autopilot und er kollidierte mit einem Container. Er überlebte das Unglück nur knapp, weil er in letzter Sekunde von einem russischen Cargo gefunden wurde. Yvan Bourgnon segelte mit seinem ORMA- Trimaran Brossard auf den 6. Rang und auch Dominique Wavre wurde auf seiner IMOCA Temenos 6. 2010 war Bernard Stamm der einzige Schweizer am Start. Er trat zu seiner ersten Route du Rhum an und sicherte sich dabei den 9. Rang. Vier Jahre später wagte sich Alan Roura nach seiner brillanten Leistung an der Mini-Transat ebenfalls an seine erste Route du Rhum. Schon kurz nach dem Start musste er mit seiner Class 40 Exonet aufgrund mehrerer technischer Probleme Roscoff anlaufen. Kaum wieder unterwegs zwang ihn ein Sturm zur Umkehr. Schweren Herzens gab er das Rennen auf.
Nach seiner Glanzleistung an der Vendée Globe meldete sich Alan Roura 2018 bei den IMOCA zurück und wurde 7. Als weiterer Schweizer war der nierentransplantierte Amateurskipper Jacques Valente dabei. Er wollte die Öffentlichkeit mit seiner Teilnahme für Organspenden sensibilisieren. Trotz eines harten Rennens und eines Boxenstopps in Spanien belegte er mit seiner Class 40 Destination Evian den 33. Schlussrang.
Mit The Transat hatten die Schweizer hingegen nie viel am Hut. Ihre Teilnahmen lassen sich denn auch an einer Hand abzählen. Erwähnenswert sind lediglich Yvan Bourgnons 6. Platz auf einem ORMA-Trimaran im Jahr 2000 und Stève Ravussins 10. Platz auf Banque Covefi, ebenfalls ein ORMA-Trimaran, im Jahr 2004, als Bernard Stamm frühzeitig aufgeben musste.
Doppelter Espresso für die Schweizer
Wenn ein Offshore-Rennen bei den Schweizern besonders beliebt ist, dann die Transat Jacques Vabre. Die alle zwei Jahre ausgetragene Zweihandregatta alias Kaffeeroute trat 1993 die Nachfolge der «Transat en double» an, die zwischen 1979 und 1989 nur dreimal stattfand. Gestartet wird traditionsgemäss in Le Havre, der Zielhafen hat sich hingegen im Lauf der Regattageschichte mehrfach geändert. Zuerst ging es nach Cartagena in Kolumbien, von 1999 bis 2007 nach Salvador de Bahia in Brasilien, 2009 und 2011 nach Puerto Limon in Costa Rica, 2013 nach Itajai in Brasilien und 2015 erneut nach Bahia.
Die Transat Jacques Vabre 2011 war die erste grosse Hochseeregatta, die Stève Ravussin in einer prestigeträchtigen Klasse wie den ORMA für sich entscheiden konnte. Nach seinem Erfolg an der Route du Rhum auf einer 40-Fuss-Jacht im Jahr 1998 engagierte sich der Waadt- länder mit Franck Cammas auf Groupama und gewann trotz 65-minütigem Reparaturstopp auf den Kanarischen Inseln mit 3 Stunden und 30 Minuten Vorsprung auf die Paarung Alain Gautier/ Ellen MacArthur. Yvan Ravussin und Yvan Bourg- non reichte es am gleichen Rennen an Bord des ORMA-Trimarans Nautica (ex-Primagaz von Laurent Bourgnon) für den 7. Rang. Dominique Wavre, der mit Michèle Paret auf der IMOCA-Jacht Temenos teilnahm, klassierte sich als 7., rund zehn Stunden vor seinem Landsmann Bernard Stamm, der mit Vincent Riou auf Bobst Armor Lux mitmischte.
2003 doppelten Dominique Wavre und Michèle Paret mit einem weiteren 7. Platz nach. 2005 waren sechs Schweizer am Start. Die ent- fesselten Elemente stoppten mehrere Paarungen, acht mussten aufgeben. Bei den ORMA erwischte es Yvan Bourgnon, der mit Charles Caudrelier angetreten war, als ersten. Nach einem Riss im Mittelrumpf war an eine Fortsetzung nicht mehr zu denken. Stève und Yvan Ravussin auf Orange Project ereilte nach einem gebrochenen Beam das gleiche Schicksal. Bei den IMOCA wurden Bernard Stamm und sein Teamkollege Yann Eliès auf Cheminée Poujoulat durch ein Problem mit dem Ruder ausgebremst. Besser erging es Dominique Wavre und Mike Golding auf Ecover. Sie beendeten das Rennen am Fuss des Podests. Dany Monier, der mit Pierre Dupuy auf dem Multi 50 Victorinox unterwegs war, erreichte Brasilien in seiner Klasse ebenfalls als 4. (von fünf Gestarteten).
2007 war erneut ein grosses Schweizer Jahr. Stève Ravussin und Franck Cammas siegten auf Groupama II, Yvan Ravussin und Pascal Bidégorry auf Banque Populaire IV folgten auf dem 3. und Yvan Bourgnon und Jacques Vincent auf Brossard auf dem 4. Platz. Bei den IMOCA kamen Bernard Stamm und Tanguy Cariou auf Cheminée Poujoulat als 3. ins Ziel.
2009 war die Schweiz mit keinem einzigen Segler vertreten, 2011 gab Bernard Stamm, diesmal mit Jean-François Cuzon, auf Cheminée Poujoulat sein Comeback. Die beiden konnten das Rennen aber nicht zu Ende segeln. Sie gerieten aufgrund eines Lecks vor den Azoren in Seenot und wurden von einem Helikopter geborgen. Das Boot wurde einige Tage später ausfindig gemacht und abgeschleppt. Dominique Wavre und Michèle Paret fehlten auch diesmal nicht. Sie landeten auf dem 8. Platz.
2013 war Stamm bei den IMOCA mit Philippe Legros zur Stelle, verpasste aber diesmal das Podest knapp (4.). 2015 bestritt Yvan Bourgnon die Transat Jacques Vabre bei den Multi 50 mit Gilles Lamiré. Ein Zusammenprall mit einem Container setzte das Boot allerdings ausser Gefecht. Alan Roura, der mit Juliette Petrès bei den Class 40 engagiert war, sicherte sich trotz eines unfreiwilligen Zwischenstopps in Lorient den 10. Platz. 2015 war Bernard Stamm erneut mit von der Partie, diesmal allerdings auf einem Trimaran, dem Maxi 80 Prince de Bretagne, und mit Lionel Lemonchois. Ein Mastbruch machte seine Träume nach elf Tagen zunichte. Bei den IMOCA fuhr Alan Roura, der die Transat Jacques Vabre als Training für das Vendée Globe nutzte, mit Frédéric Denis auf den 9. Platz. Justine Mettraux musste sich mit Bertrand Delesne auf TeamWork 40 mit dem undankbaren 4. Platz zufriedengeben. Simon Koster und Valentin Gautier sorgten 2019 mit ihrem 4. Rang für eine Überraschung. Sie freuten sich umso mehr über das hervorragende Abschneiden, als sie sich eigentlich «nur» zum Ziel gesetzt hatten, das Rennen mit ihrer brandneuen Class 40 zu Ende zu segeln. 2021 visieren die beiden Hochseetalente das Podest an.
Mini-Transat und Figaro
Die Mini-Transat gilt zu Recht als Sprungbrett für vielversprechende Offshore-Segler. Auch viele Schweizer haben in den letzten 20 Jahren das Abenteuer gewagt. Hervé Favre, der heutige CEO von OC Sport, machte 2001 bei den Serienbooten eine hervorragende Figur (6.). Jacques Valente hingegen bildete 2003 das Schlusslicht (27.). 2007 startete er einen weiteren Versuch, musste aber wegen eines Nierenversagens aufgeben. Hervé Favre, auch er ein Wiederholungstäter, erzielte mit seinem Prototyp TeamWork den 20. Platz. 2009 belegte der Tessiner Andrea Rossi bei den Serienbooten den 41. Rang, während die beiden Bootsdesigner Mathieu Vernier und Fabrice Germond mit ihren selbst entworfenen und gebauten Minis als 27. und 31. ins Ziel kamen. Zwei Jahre später machten Etienne David mit einem 7. Platz bei den Protos und Nicolas Groux als 14. bei den Serienbooten von sich reden. 2013 war ein besonders erfolgreiches Jahr. Nicht nur, dass mit Justine Mettraux (2.) und Simon Koster (3.) gleich zwei Schweizer aufs Podest stiegen, Alan Roura sorgte mit einem 11. Platz, den er sich mit einem winzigen Budget und einem der ältesten Boote der Flotte erkämpft hatte, für eine kleine Sensation und brachte gleichzeitig seine Offshore-Karriere ins Rollen. 2015 wurde Simon Brunisholz 9. bei den Serienbooten, Patrick Girod und Simon Koster beendeten das Rennen bei den Prototypen als 10. und 7. Bei seiner dritten Teilnahme im Jahr 2017 wiederholte Simon Koster sein Ergebnis von 2013 (3.) und der unerfahrene Bündner Marcel Schwager folgte ihm auf dem ehrenwerten 13. Platz. Valentin Gautier feierte einen geglückten Einstand (5. bei den Serienbooten), Yann Burkhalter aus Neuenstadt wurde 18. 2019 erzielten Mathieu Gobet und Andrea Pawlotzki bei ihrer Premiere einen 30. und einen 43. Rang bei den Serienbooten.
Bei den Figaro, die als schwierigste Hochseeklasse gilt, bewiesen die Schweizer ebenfalls wiederholt ihre Klasse. Laurent Bourgnon gewann das Solitaire du Figaro 1988 als 22-Jähriger und Dominique Wavre holte sich sowohl 1990 als auch 1997 den 2. Platz. Auch Christian Wahl, Marc Houlmann, Alex Schneiter und Patrick Firmenich haben sich am Solitaire du Figaro versucht. Die Ergebnisse der Schweizer an dieser anspruchsvollen Einhandregatta gleichen einer Achterbahn. 2004 klassierte sich Hervé Favre im Mittelfeld und Bernard Stamm fuhr 2010 auf den 24. Platz. Am Beständigsten war Justine Mettraux als 27. im Jahr 2016 (3. Bizuth), 7. im Jahr 2017, 11. im Jahr 2018 und 18. im Jahr 2019. 2020 hat Nils Palmieri im TeamWork-Rennstall ihre Nachfolge angetreten. Seine Klasse konnte er aufgrund der Coronakrise aller-dings bisher noch nicht unter Beweis stellen.