Seit der Jahrtausendwende häufen sich Initiativen, die den Segelsport zugänglicher machen wollen. Wie erfolgreich sind diese Massnahmen? Was sagen Statistiken und Beobachtungen vor Ort?
Text: QUENTIN MAYERAT
Ist Segeln nur etwas für Reiche? Woran liegt es, dass die Demokratisierung einfach nicht gelingen will? In der Schweiz wurden schon viele Versuche unternommen, den Segelsport massentauglicher zu machen, allerdings bisher mit mässigem Erfolg. In den Alinghi-Jahren war Segeln so populär wie noch nie, doch auf dem Wasser schlug sich die Begeisterung nicht nieder, die Euphorie verpuffte. Unsere Seen wurden nicht wie erhofft von einer Öffentlichkeit überrannt, die ihre Leidenschaft für den Sport entdeckt hatte. Statt aufwärts ging es in manchen Bereichen sogar abwärts: Die Zahl der Seglerinnen verringerte sich in den letzten zwanzig Jahren und die Regattabeteiligung schrumpft zusehends. Muss dies als Zeichen gewertet werden, dass Segeln elitär ist oder kämpft der Sport angesichts der Konkurrenz anderer Freizeitaktivitäten eh auf verlorenem Posten? Andererseits haben andere Wassersportarten wie Wind- und Kitesurfen in den beiden letzten Jahrzehnten viele Anhänger gewonnen und die Vereine ständig neue niederschwellige Schnupper- und Einstiegsangebote eingeführt.
Vier statistische Erhebungen, die das Schweizer Sportobservatorium zwischen 2000 und 2020 durchgeführt hat und deren Ergebnisse in den Berichten «Sport Schweiz» veröffentlicht wurden, liefern einen objektiven Überblick über die Entwicklung des Segelsports in der Schweiz und deren Hintergründe.
Demokratisiert oder populär?
Leidet der Segelsport unter man- gelndem Interesse oder ist er schlicht zu teuer? Bei der letzten Erhebung «Sport Schweiz 2020» gaben 1,1 Prozent der Befragten an, dass sie segeln und zwar mit einer mittleren Häufigkeit von zehnmal pro Jahr. 2000 war es 1 Prozent, allerdings an 20 Tagen (Median) pro Jahr. Eine ernüchternde Bilanz! Nicht nur, dass die Zahl der aktiven Segler stagniert, die Häufigkeit der Ausübung ist massiv gesunken. Jean Psarofaghis kann diesen Trend bestätigen. Nächstes Jahr feiert seine Werft ihr 50-jähriges Bestehen, er hat die Entwicklung also miterlebt: «Meine grössten Konkurrenten sind nicht die anderen Bootswerften rund um den Genfer- see oder im Ausland. Mein grösster Konkurrent ist Easyjet!» Tatsächlich haben das Aufkommen der Low-Cost-Reisen und die Vervielfachung der Freizeitangebote in den letzten 20 Jahren die Nachfrage verringert, denn ein eigenes Boot bedeutet viel Aufwand, den nicht alle betreiben wollen. Ähnlich klingt es bei Nicolas Berthoud. Für den Teilnehmerschwund an den Regatten sieht der Geschäftspartner von Europ’Sails aber noch einen anderen Grund. Das Wettkampfformat lasse sich immer weniger mit der heutigen Familienstruktur vereinbaren. «Dadurch, dass die familiären und häuslichen Aufgaben besser auf die Partner verteilt werden, sind die Segler oft nicht mehr für die ganze Dauer einer Regatta abkömmlich, schon gar nicht, wenn sie mehrere Tage dauert. Hinzu kommen Training und Bootsvorbereitung. Immer weniger Segler können die Zeit aufbringen», analysiert der erfahrene Regatteur.
Heute wird also sowohl an Regatten als auch in der Freizeit tendenziell weniger gesegelt als vor 20 Jahren. Stellt man den Segelsport ins Verhältnis zum Lohn, zeigt sich, dass er vor allem von Personen mit einem Einkommen im letzten Quartil (höchste Einkommensklasse) ausgeübt wird, in den anderen Einkommensklassen hingegen ein Randdasein fristet. Bestätigt sich hier die verbreitete Meinung, dass Segeln ein Sport für die oberen Zehntausend ist? Nur teilweise, denn auf Vereinsebene wurden in den letzten Jahren etliche Initiativen gestartet, die Interessierte an den wettkampf oder plauschmässigen Segelsport heranführen, ohne dass sie tief in die Tasche greifen müssen. Ein weiterer, nicht unbedeutender Faktor, der die Ausübung des Segelsports bremst, ist die Hafenpolitik. Viele zuständige Behörden üben sich in Passivität und lassen unbenutzte Boote ungehindert Plätze besetzen. Für Neueinsteiger wird es oft schwierig, einen Platz zu ergattern.
Vereine als Kernakteure
2014 wurde zu 28 Prozent in Clubs gesegelt. Dieser Anteil ist deutlich höher als in anderen Sportarten wie Skifahren, Wandern oder Mountainbiken, die überwiegend vereinsunabhängig ausgeübt werden. Vereine sind im Segelsport somit ein wichtiges Einstiegstor. Sie bilden nicht nur neue Segler aus, sondern sorgen auch dafür, dass die Boote vermehrt genutzt werden. Einige haben sich in den letzten Jahren mit starken Initiativen hervorgetan, die es möglich machen, das ganze Jahr hindurch für wenig Geld zu segeln. Zwei besonders erfolgreiche Beispiele sind das Genfer Centre d’Entraînement à la Régate und die Lausanner Segelschule CUST. Im Rahmen der von ihnen angebotenen Strukturen haben sie in den letzten zwei Jahrzehnten hunderte Regatteure ausgebildet. Andere Vereine setzen eher auf Schnupper- und Freizeitangebote oder richten sich hauptsächlich an Kinder und Jugendliche. Choiserolle bietet Sommercamps für Kids an, Ichtus in Saint-Blaise betreibt einen der wohl grössten Jollen und Kielboot-Parks, wo die Boote für einen fairen Beitrag gemietet werden können, J2000 in Estavayer-le-Lac begleitet Jugendliche ab 15 Jahren von ihren ersten Erfahrungen auf dem See bis zu ihren ersten Hochseeabenteuern.
Ein weiterer Versuch, mehr Leute zum Segeln zu bewegen, sind die noch relativ jungen Boatsharing-Angebote wie Sailbox oder Sailcom. Sie richten sich an alle, die den Aufwand eines eigenen Boots scheuen, aber doch gern aufs Wasser möchten, und erweitern so den Kreis der möglichen Segler erheblich. Allerdings sind sie auf den Schweizer Seen noch zu wenig stark vertreten, um die Statistiken zu beeinflussen.
Wie sieht die Zukunft aus?
Was die Geschlechteraufteilung betrifft, hat sich der Segelsport in den letzten zwei Jahrzehnten gegen den Strom entwickelt. Obschon gemischte Teams an vielen Regattatouren gefördert werden, ist der Frauenanteil im Segelsport massiv gesunken. Gemäss den Ergebnissen der Studie «Sport Schweiz» lag er im Jahr 2000 bei 32 Prozent, 20 Jahre später bei enttäuschenden 20 Prozent. Eine plausible Erklärung gibt es für diesen Rückgang nicht, er könnte aber möglicherweise damit zusammenhängen, dass die Massnahmen der nationalen und internationalen Segelsportorganisationen zur Förderung von gemischten Teams noch zu neu sind, um Wirkung zu zeigen. Ein in der Vergangenheit so stark männlich geprägter Sport muss sich doppelt anstrengen, um mehr Frauen anzulocken. Aber gerade sie gehören zu den wichtigsten Wachstumstreibern.
Andere schwimmende Untersätze, die weniger aufwendig und zugänglicher sind, haben dem Segelsport in der Schweiz hingegen mächtig Aufwind verliehen. Seit 2008 ist die Anzahl der Wind- und Kitesurfer massiv gestiegen. Ihr Anteil an der Bevölkerung hat sich mehr als vervierfacht (von 0,5% auf 2,1%). Grund für dieses Wachstum ist die Zulassung der Kitesurfer auf immer mehr Seen. Vor ein paar Jahren war Kitesurfen noch schweizweit verboten, anschliessend durch strenge kantonale Vorschriften stark ein- geschränkt. Mittlerweile wurden die Regelungen aber vielerorts gelockert. Darüber hinaus lassen sich die neuen Sportarten gut mit dem neuen Freizeit und Reiseverhalten vereinbaren. Windsurf und Kitesurfmaterial sind einfach transportierbar, schnell montiert, günstig und eine ideale Einstiegsmöglichkeit für Segelsportbegeisterte. Der zunehmende Foilingtrend könnte die Seenlandschaft in den kommenden Jahren ebenfalls verändern. Foils werden immer günstiger und finden auch auf leichten Booten und Geräten Anwendung. Sie ermöglichen die Ausübung des Segelsports bei einem deutlich breiteren Spektrum an Wind- und Wetterbedingungen und machen den Segelsport definitiv attraktiver.