In den letzten zwei Jahrzehnten wurden die Podestplätze dieses Genferseeklassikers von Klassenbooten in Beschlag genommen.

Texte : PIERRE-ANTOINE PRETI

Die Bol d’Or hat sich seit ihrer Erstaustragung im Jahr 1939 stetig weiterentwickelt. Nach der Jahrtausendwende jagte eine Erfindung die nächste. Sowohl bei den schwimmenden als auch bei den fliegenden Segelbooten sorgten die zunehmend zuverlässigeren Verbundwerkstoffe im Bootsbau für einen Quantensprung. In der Regattaszene setzte sich mit den One-Design-Booten ein neuer Trend durch.

Beflügelt durch die America’s-Cup-Siege von 2003 und 2007 wurde das Genfersee-becken zu einem international vielbeachteten Versuchslabor und die vom Cercle de la Voile der Genfer Société Nautique (SNG) vergebene Bol d’Or zu einer von den weltbesten Seglern heiss begehrten Trophäe.

Das One-Design-Fieber der 2000er-Jahre

Ende der 1980er-Jahre war die Bol d’Or fest in der Hand der «Seigneurs du Léman». Immer neue millionenschwere Prototypen wurden vom Stapel gelassen. Die technologischen Wunderwerke herrschten unangefochten über die Flotte, doch durch dieses Wettrüsten reduzierte sich die Zahl der Siegesanwärter drastisch. Nur zwei bis vier Mehrrümpfer hatten jeweils echte Siegeschancen.

Ein stürmischer Samstag im Juni 2003 änderte alles. Bei der Einfahrt in den oberen Genfersee wurde die Spitzengruppe vor dem Wind von einem heftigen Sturm erwischt. Der Meteorologe Bernand Dunand erinnert sich noch gut: «Der Schuldige hiess Vaudaire. Er kann in dieser Jahreszeit jederzeit auftreten. Das Sturmtief braute sich über dem Grammont zusammen und erreichte den See am frühen Nachmittag.»

Mehrere Katamarane und andere grosse Schiffe kenterten im Lärm der Notraketen und mehr als ein Segler musste sich zwischen gekippten Rümpfen in Sicherheit bringen. Gewonnen hat das schicksalhafte Rennen schliesslich Ernesto Bertarelli mit seinem Le Black. Die Flotte der «Seigneurs du Léman» aber war dezimiert.

zVg

Die Ära der Décision 35

Im Jahr darauf nutzten die Bootseigner die Folgen der Katastrophe als neue Chance. Auf Anraten von Nicolas Grange und Philipp Cardis zerlegte Ernesto Bertarelli seinen nahezu unschlagbaren Katamaran. Gleichzeitig wurden bei der Décision-Werft zehn von SebSchmidt entworfene 35-Fuss-Einheitsboote, die Décision 35, in Auftrag gegeben. Sie waren so designt, dass sie auch bei leichtem Wind schnell sind. Einzig die Segel durften verändert werden, alles andere, einschliesslich das Gesamtgewicht des Teams, unterlag strengen One-Design-Vorschriften. Das Budget blieb in einem vernünftigen Rahmen.

Durch diese One-Design-Regeln waren die Karten an der Bol d’Or 2004 gleich verteilt. Den Sieg holten sich die jungen Segler vom Genfer Centre d’Entraînement à la Régate (CER) um Etienne David an Bord des Zebra 5. 16 Jahre dauerte die Décision-Euphorie. In diesem Zeitraum wurden die Teams zunehmend professioneller. An der Bol d’Or musste die Klasse nur eine einzige Niederlage einstecken. 2013 düpierte Christophe Pécard am Steuer des Ventilo Zenith Fresh die Genferseeschwäne.

Loris von Siebenthal

Psaros 40 und M2: die Genferseeregion innoviert

Zwei Jahre zuvor hatten die grossen Einrümpfer den Hype der One-Design-Boote eingeläutet. 2002 gewann die Psaros 40 Tilt von Patrick Firmenich und Alex Schneiter die Bol d’Or. Das 12,30 Meter lange Einrumpfboot mit Wasserballast und Schwenkkiel stammt von Jean Psarofaghis. Nach der langen Erfolgsliste zu urteilen hatte die gute Wasserfee an seiner Wiege gestanden. Von 2012 bis 2019 holten sich die fünf gebauten Einheiten gleich zwölfmal den Sieg bei den Monohulls, die Bol de Vermeil.

2005 schlug der 28-Fuss-Katamaran M2 von Rodolphe Gautier hohe Wellen. Er wurde in der Ventilo-Werft von Christian Favre nach seinen eigenen Plänen gebaut. Das Federgewicht von nur 430 Kilo machte den Boliden bei Leichtwind zu einer schlagkräftigen Waffe. An der Bol d’Or 2005 mischten sechs M2 mit, anschliessend wuchs die Flotte auf bis zu 30 Einheiten an. Immer wieder bliesen sie zum Angriff, um die Vorherrschaft der Décision 35 zu brechen, geklappt hat es aber nie. 2008 fehlte allerdings nicht viel. Michel Vaucher musste sich am Steuer des M2 Parmigiani dem D35 Zebra 7 mit Franck Cammas nur knapp geschlagen geben.

Philippe Schiller

In der Vielfalt der Landschaften und der Bootstypen spiegeln sich die 1001 Facetten der Bol d’Or Mirabaud.

Surprise-Klasse: die Challenge League

An der Bol d’Or ist und bleibt der Sieg bei den Surprises eine Art Gral. Mit 132 gemeldeten Booten im Jahr 2007 schlugen die Jachten aus der französischen Archambault-Werft sämtliche Teilnehmerrekorde. Nicht einmal die in den letzten zwei Jahrzehnten vorgenommenen Änderungen taten dem Erfolg Abbruch. Der kleine, sportliche Daysailer ist einfach zu segeln, effizient und bei Leichtwind sehr reaktiv. Seit 1977 erfreut er sich auf dem Genfersee ungebrochener Beliebtheit.

Die Surprise-Klasse ist nicht nur die jeweils stärkste Klasse an der Bol d’Or, sondern auch das Talentbecken der Décision 35, wie die folgende Gegenüberstellung eindrücklich zeigt: Von 2000 bis 2017 wurde die Surprise-Schweizermeisterschaft von elf verschiedenen Skippern gewonnen. Zehn von ihnen steuerten zwischen 2003 und 2019 an der Bol d’Or einen Décision 35 zum Sieg.

Einheitsklassen garantieren zwar gleiche Bedingungen für alle, verhindern aber gleichzeitig die technische Weiterentwicklung der Boote. Das weckte Begehrlichkeiten bei anderen Konkurrenten. Indem sie die Bauvorschriften bis aufs Äusserste ausreizten oder kurzerhand schnellere Boote bauten, sorgten Querdenker für hitzige Debatten. 2015 veranlassten die Ventilo M1 den Klassenverband der D35 schliesslich, die Vorschriften zu lockern. Bei den Einrümpfern lösten die Liberas Kontroversen aus. Während die einen der Ansicht waren, dass die Raffica mit ihrer 15-köpfigen Besatzung, die das Boot auf dem Trapez hinund herschaukelt, trotz allem eine Jacht sei, wollten andere die «Flugmaschine» aus der Klasse ausschliessen.

Ardizio, eine nach Plänen von Lüthi gebaute 11-Meter-Jacht, auf der Dominique Wavre mehrmals die Bol d’Or segelte

Loris von Siebenthal

Populär und anspruchsvoll

Angesichts der über 500 Boote am Start gehört die Chancengleichheit schon seit Langem zu den grossen Anliegen der Organisationskomitees. Die Präsidenten Jean-Loup Gabayet (2000–2006), Michel Glaus (2007–2014) und Rodolphe Gautier (2015–2020) haben dieses Ziel nie aus den Augen verloren.

In den letzten 20 Jahren wurden fünf einschneidende Änderungen vorgenommen, um möglichst faire Bedingungen zu gewährleisten.

2007 wurde eine zweite Startlinie eingeführt, um die Einrümpfer von den Mehrrümpfern zu trennen. Die Jachten wiederum wurden anhand ihrer Grösse und ihres Gewichts auf verschiedene Bereiche verteilt. Verantwortlich für diese Neuerung war Michel Glaus. «Wir mussten ein ganzes Drittel der zwei Kilometer langen Startlinie für zwölf Katamarane reservieren. Den 500 Jachten blieb nichts anderes übrig, als sich auf die restlichen Meter zu zwängen. Das war sportlich unfair», begründete Glaus seine Initiative. Seither holen die Mehrrümpfer die durch die versetzte Startlinie verlorene Strecke durch eine Bahnmarke vor Versoix auf.

2009 wurde die Startzeit verschoben, damit die Flotte vermehrt von der Thermik profitiert. Die Kanone der Société des Vieux Grenadiers ertönt seitdem um punkt 10 Uhr.

Seit 2010 werden nicht nur mehr die Favoriten, sondern alle Boote mit einem Tracker ausgestattet, mit dem sich die Position sämtlicher Teilnehmer durchgehend verfolgen lässt. So können die Teams ihr Rennen später nochmals anschauen. Auch aus Sicherheitsgründen sind diese Tracker ein grosses Plus.

An der Bol d’Or 2013 wurde erstmals die ACVL-SRS Trophy für den Sieger nach berechneter Zeit vergeben. «Davor hatten nur rund 15 der 500 gestarteten Boote Chancen auf den Sieg. Heute kann jedes nach berechneter Zeit gewinnen», so der damalige Präsident Michel Glaus.

2016 führten die Organisatoren eine neue Kategorie für Sportkatamarane ein. Die Klasse C1 geht auf den Präsidenten Rodolphe Gautier zurück. «Wir wurden damit einer Nachfrage gerecht. Ausserdem wollten wir die Teilnahme von jungen Seglern fördern». Aus Sicherheitsgründen werden interessierte Teilnehmer nur zugelassen, wenn ihr Dossier die Organisatoren überzeugt.

Loris von Siebenthal

Treue Partner

Nach der Jahrtausendwende wurde die Bol d’Or von Rolex gesponsert. Der klingende Name sorgte damals bei der SNG für viel Gesprächsstoff. 2007 wurde die Regatta in Bol d’Or Mirabaud umbenannt. Das Logo der Bank ziert noch immer die Rümpfe der teilnehmenden Boote. Sportlich wurden die Teams von Jahr zu Jahr professioneller. In ihrem Kielwasser professionalisierten sich auch die Organisatoren und passten die Struktur dem unaufhaltsamen Wachstum der Veranstaltung an. Seit 2015 kümmert sich Laurence Zanon als Generalsekretärin um das Management der Partner und Auftragnehmer. Der Empfang von Seglern, Zuschauern und Presse wurde im Lauf der 20 Jahre immer ausgereifter und effizienter.

Im Gegensatz zu den anderen Schweizer Regatten hat die Bol d’Or nicht mit Teilnehmerschwund zu kämpfen. Die Anzahl der startenden Boote ist stabil, der Anlass wird an Land, im Club und auf dem Wasser sogar mit zunehmendem Interesse live verfolgt. Auch das Fernsehen berichtet vermehrt über die Bol d’Or. 2018 erschien anlässlich der 80. Ausgabe ein Comic und die neu im Hafen der SNG vertäute Neptune wurde zur prestigeträchtigen Plattform für die Preisverleihung.

«Manchmal erleben die Segler alle vier Jahreszeiten an einer einzigen Bol d’Or»

2020: fliegende Boote

Am Samstag, 15. Juni 2019, um 18 Uhr riss eine heftige Böe auf der Terrasse der Société Nautique de Genève alles mit, was nicht nietund nagelfest war. Ein orkanartiger Sturm fegte mit 60 Knoten über den Genfersee. Zu diesem Zeitpunkt waren 2500 Personen auf dem Wasser. Informationen erreichten die Wettfahrtleitung und die Presse nur tröpfchenweise. Himmel und Hölle waren losgebrochen, die Bilder erschreckend. Ein Krisenstab prüfte die Situation abgeklärt und professionell. Die Tracker liessen auf den Computerbildschirmen ein heilloses Chaos erkennen. Wie durch ein Wunder wurde an dieser denkwürdigen Bol d’Or Mirabaud 2019 niemand ernsthaft verletzt. Dies sei unter anderem der guten Information von MeteoSchweiz zu verdanken, lobte Rodolphe Gautier. «Hinzu kommt, dass das Sicherheitsaufgebot an keinem anderen Wochenende so gross ist wie während der Bol d’Or Mirabaud. Rechnet man die Teilnehmer mit ein, befinden sich knapp 3000 potenzielle Retter auf dem See.»

Dass das Unwetter-Inferno so glimpflich ausging, hat aber auch mit dem Knowhow der Segler zu tun. Die Carbon-Generation vom Genfersee hat nichts von der Seemannschaft ihrer Vorfahren eingebüsst.

Ein stürmischer Samstag hatte die Ära der Décision 35 im Jahr 2013 eingeläutet, ein stürmischer Samstag beendete sie.

2020 feiern die TF35 ihre Premiere. Der neue Foiler-Katamaran mit elektronischem Gehirn segelt nicht mehr, sondern fliegt über den See. Damit spielt die Bol d’Or Mirabaud einmal mehr eine Vorreiterrolle und schlägt ein neues Kapitel ihrer ereignisreichen Geschichte auf.