Mit einem grossen Boot ins Abenteuer segeln ist das pure Glück. Was aber, wenn am megaschönen Ankerplatz plötzlich perfekte Windverhältnisse herrschen, aber weder Surfboard noch Kite oder Wing zur Hand sind? Genau, Frust macht sich breit. Das muss nicht sein, denn Yacht- und Gleitsport lassen sich kombinieren!
Text: Quentin Mayerat | Fotos: Sebastien Aubord & Louis Taurel
Wir nehmen Kurs auf Nordsardinien, um unser Fifty-Fifty-Konzept zu testen: Segeln und Gleitsport zu gleichen Teilen. Klingt verlockend? Ist es auch. Material und Fahrtgebiet wollen
allerdings gut gewählt sein, und auch die Logistik muss stimmen. Dann sind gelungene Sessions der Lohn. Unser Tummelplatz reicht von Olbia über das La-MaddalenaArchipel bis nach Bonifacio. Die Strasse von Bonifacio, die berühmte Meerenge zwischen Korsika und Sardinien, hat den Vorteil, dass quasi ganzjährig konstanter Wind herrscht. Mit ihrem türkisblauen Wasser und den vielen pittoresken Inseln ist die Gegend so traumhaft schön wie die Südsee, da wollen wir jeden Quadratzentimeter surfend, windfoilend oder wingend voll auskosten!
Die Vorbereitungen
Wir wählen für unseren Törn einen Fahrtenkatamaran: Dank genug Stauraum und Platz zum Aufriggen fungiert er quasi als schwimmendes Loft! In die Bugspitzen passen viele Riggs, während die Boards entlang der Seitendecks, auf dem Dach oder auf dem Trampolin festgezurrt werden können.
Ausserdem muss das Material passend zum Wetter und zum Fahrtgebiet gewählt werden, denn, wenn man es schon umständlich transportieren muss, wäre es doch schade, es nicht nutzen zu können. In unserem Fall ist leichter Wind angekündigt, sodass wir unsere Foils mit an Bord nehmen. Ebenfalls im Gepäck: ein Basilisk 92L von MB-Boards. Das extrem vielseitige Brett kann mit Finne gefahren werden und taugt sowohl zum Windals auch zum Wingfoilen. Diese Drei-in-eins-Lösung ist angesichts des begrenzten Platzes auf einem Boot der ideale Kompromiss. Komplettiert wird das Setup durch ein ein Foil Taaroa Freestyle HR. Das steife, leistungsstarke Foil ist sowohl zum Wing- als auch zum Windfoilen geeignet – einfach die Fuselage wechseln: 85
cm fürs Windfoilen, 65 cm fürs Wingen. Das Material, das wir zum Freeride-Windsurfen mitnehmen, ist dagegen sehr viel schwerer, sperriger und weniger vielseitig!
Segeln und ankern
Die Möglichkeiten, die sich ab Olbia an der Nordostküste Sardiniens bieten, sind schier endlos, so viele Inseln gibt es, die man umschippern kann. Den idealen Ankerplatz und Startort zum Surfen oder Wingen findet aber nur, wer sich vorab gründlich mit Fahrstrecke, Landschaftsrelief sowie den Wind- und Dünungsrichtungen auseinandergesetzt hat. Interessant sind zum Beispiel Liegeplätze, die zwar im Schutz einer Bucht, aber nah bei einem Küstenvorsprung gelegen sind, denn hier kommt man leicht aus der windarmen Zone heraus.
Die Spots
Beim Start unseres Törns können wir es kaum erwarten: Bald schon werden wir morgens an traumhaften Ankerplätzen aufwachen und dann surfen bis zum Umfallen! Das Boot eröffnet eine andere Perspektive. Man segelt, wie es die Bedingungen zulassen, von abends bis morgens. Dank unserer Strandboote können wir Spots erkunden, die bisher unerreichbar waren!
Unser erster, Vecchie Saline, liegt einige Meilen vom Hafen von Olbia entfernt, geschützt zwischen Capo Figari, sodass das Wasser meist völlig flach ist. Der Spot funktioniert bei vielen Windrichtungen von Süd bis Nordwest. Auch mit dem Kite lässt es sich hier dank des grossen, feinsandigen Strands wunderbar starten!
Wir fahren weiter nach Norden, in die Strasse von Bonifacio und den Nationalpark La Maddalena und gehen in der wunderschönen Cala Coticcio vor Anker. In der von Nordosten gut geschützten Bucht wirbeln die Winde im Innern. Da leistet das Beiboot gute Dienste, um aus dem windarmen Bereich zu kommen, zumindest mit Finne. Bei kunstvollen Starts dieser Art ist das Foil
der ideale Begleiter: Es bietet Stabilität und reduziert wirksam die Abdrift, sodass man zielsicher ins «richtige Fahrwasser» gelangt! Coticcio ist also der perfekte Ort zum Ankern, aber nicht unbedingt der beste Startplatz für Gleitsport. Was das anbelangt, waren unsere nächsten Destinationen deutlich besser.
Ein Muss
Nur wenige Meilen südöstlich von Bonifacio: die Lavezzi-Inseln, die mit ihrem türkisblau schimmernden Wasser, den Granitfelsen und einer artenreichen Unterwasserwelt zum Schönsten gehören, was Korsika zu bieten hat. Wir sind im Glück: In der Meerenge zwischen Korsika und Sardinien bläst es hier mit am stärksten, denn die Passage zwischen den beiden grössten Inseln,
Lavezzo und Cavallo, wirkt wie eine Düse. Bei West- oder Ostwind gibt es mehrere gut geschützte Ankerplätze. Aber Achtung: Nicht alles ist erlaubt, das Archipel steht unter Schutz! Vorsicht auch vor Strömungen und steinigen Untiefen, die überall lauern. Eure Foils und euer Boot werden es euch danken!
Wir nehmen wieder Kurs auf Sardinien. Ganz im Norden des La-Maddalena-Archipels finden wir bei drei nahezu unbewohnten, benachbarten Inseln das schönste Gleitsportrevier des gesamten Törns. Budelli, Santa Maria und Razzoli bilden eine riesige offene Bucht eine riesige offene westlich orientierte Bucht, in die der Wind kräftig hineinbläst. Im Windschatten von Budelli ist der
Start von unserem Boot aus ein Kinderspiel, und dank Foil können wir kilometerlang malerische Ufer dieses Archipels im Archipel entdecken.
Es ist der Höhepunkt unserer Reise. Und wir sind jetzt restlos überzeugt, dass ein Segeltörn mit Katamaran den Gleitsport in eine neue Dimension führt. Natürlich nur, wenn man ein paar Dinge beachtet. Zum Beispiel ist eine gute Organisation an Bord das A und O, wenn es um das Verstauen und die Vorbereitung des Materials geht: Auf einem Boot gibt es unzählige scharfe Kanten, die die Segel beschädigen könnten, und auch das Einwassern ist nur selten einfach. Daher sollte man sich im Zweifel ruhig helfen lassen. Unser Fazit: Trotz der recht aufwändigen Logistik hat der Törn unsere Erwartungen weit übertroffen! Wir werden uns gern wieder vom Wind treiben lassen, ob bei Sardinien oder anderswo.
Reisezeit
• April bis November
• Juli und August wegen überfüllter Liegeplätze aber besser meiden.
• Das Wasser ist bis in den November hinein noch schön warm und im April eher frisch.
Boots-Charter
• Bei www.dreamyachtcharter.com ab Olbia
Segel- und Wing-Coaching
• Yo Wiebel hat in Sisikon vor einigen Jahren eine Wingfoil-Schule eröffnet und organisiert regelmässig Kurse an Bord eines Katamarans in der Strasse von Bonifacio, die er wie seine
Westentasche kennt. Wir haben ihn und seine gut gelaunten Teilnehmer bei einer unserer Sessions getroffen.
→ Weitere Infos auf www.foiling-school.com.www.foiling-school.com