In Meinier im Genfer Hinterland steht hinter einer Apfelbaumplantage eine Werft der ganzen besonderen Art. Ihr ebenso umtriebiger wie sympathischer Gründer Augustin Lépine begrüsst uns herzlich. Mit ansteckender Begeisterung zeigt er uns seine unkonventionellen Restaurationen. In seiner Werft Wood & Boat kombiniert er Altes ungeniert mit Neuem, ohne Rücksicht auf Gepflogenheiten und konservative Gemüter.
Text : Quentin Mayerat
Seine Fantasie wurde von lauter grossen Namen aus der Segelund Schiffsbauszene angeregt. Kersauson, Moitessier, Tabarly, Fife, Herreshoff, Nicholson, Stevens, alle beeinflussten ihn nachhaltig. Der 34-jährige Bootsbauer ist ein wandelndes Lexikon, wenn es um Schiffe, Seefahrer und Hochseelegenden geht. Bei diesen Themen redet er sich in Fahrt. Seine spürbare Leidenschaft öffnete ihm viele Türen. Er lernte von den Besten seines Fachs und man vertraut ihm heute viele Ausnahmeboote zur Restauration an. In seinen jungen Jahren zog Augustin Lépine als Geselle durch Frankreich und lernte, Kathedralen und historische Denkmäler nach allen Regeln der Kunst zu restaurieren. Nach seiner Wanderschaft liess er sich in der Bretagne nieder, wo er sein Handwerk in den bekannten Ateliers de l’Enfer in Douarnenez und anschliessend unter den Fittichen des grossen Restaurators Marcel Debêque bei Pors-Moro in Pont-l’Abbé verfeinerte. «Ich hatte das Glück, an legendären Schiffen wie der Pen Duick und dem Segel- und Ruderboot Kap Kaval arbeiten zu dürfen. Auf der Kap Kaval durchquerte Tabarly zum Abschied von der französischen Marine das Hafenbecken von Brest», erzählt Augustin Lépine, für den nichts über Holzboote geht. «Seit ich Wood & Boat 2016 eröffnet habe, steht immer mindestens ein Holzboot in meiner Werkstatt. Ich liebe Holzschiffe, weil sie lebendig sind und immer anders aussehen. Dadurch verändert sich meine Arbeit ständig.» Kategorisch fügt er hinzu: «Die einzigen Boote, die man unendlich lange restaurieren kann, sind aus Holz, nicht aus Kunststoff.»
100% retro, 100% modern
Erst kürzlich hat der Virtuose des Bootsbaus eines seiner gelungensten Werke zu Wasser gelassen: einen Boesch 650, den er in übelstem Zustand übernommen und von Kopf bis Fuss restauriert hat. «Ich bin auf alle meine Boote stolz, aber bei diesem hier konnten wir uns verwirklichen», so Augustin Lépine. Der Eigner habe ihnen sein vollstes Vertrauen geschenkt und vollkommen freie Hand gelassen. Er zeigte ihnen drei Fotos – das eines alten Ferraris, eines Armaturenbretts und eines Flugzeugs – und bat um eine moderne Restauration, die den Retro-Aspekt des Boots wahren sollte. «Vom Boesch-Boot blieb nur noch der Rumpf, zumindest die noch gesunden Teile», erinnert sich der passionierte Werftbesitzer. «Wir haben das Verdeck entfernt, um das Cockpit zu vergrössern, ein schönes Achterdeck mit integrierter Leiter angefertigt und die Strukturelemente aus Tanne durch Mahagoni ersetzt. Ausserdem haben wir den Originalmotor optimiert und das elektrische System komplett überarbeitet, damit wir eine LED-Beleuchtung, schöne Schalter, ein neues Armaturenbrett und sogar eine Kaffeemaschine einbauen konnten.» Er habe nicht gezählt, wie viele Stunden er für dieses Boot aufgewendet habe, gesteht Augustin Lépine. Die «blau-graue Ferrari-Effektlackierung» und ein paar Fabrikationsgeheimnisse machen seine zeitgenössische Interpretation eines Boesch-Boots einzigartig.
«Ich mag es, Modernes zu schaffen, ohne den Vintage-Aspekt zu opfern», erklärt Augustin Lépine, der seinen Beruf mit Leib und Seele ausübt. «Ich restauriere, indem ich moderne Techniken in den Dienst der Tradition stelle. Ich würde zum Beispiel nie Eisennägel verwenden, denn heute gibt es Schrauben aus Edelstahl.»
Sprudelnde Ideen
Dank dieses resolut modernen und gleichzeitig traditionsbewussten Ansatzes werden dem 34-Jährigen viele aufregende Projekte anvertraut. Letzten August liess er einen – diesmal originalgetreu restaurierten – Chris Craft Silver Arrow aus dem Jahr 1959 zu Wasser. Bis Ende 2023 will er den nackten Holzrumpf eines 9-Meter-Dayboats komplettüberholen. «Decksplan, Einrichtung, Motorisierung, wir machen alles neu», sagt der Unternehmer, dessen Stil und Fähigkeiten sich mit jedem seiner Projekte weiterentwickeln. Er nimmt ständig neue Herausforderungen an. Bei jedem Werftbesuch entdeckt man ein neues Projekt, eines verrückter als das andere – mal ein kleines Speedboot, das bei einer Länge von nur 3,50 Metern mit einem 40 PS starken Motor bestückt wird, mal eine traditionelle Moth aus Carbon.
Altes und Neues
Verrücktes gehört bei Woods & Boat zum Alltag. Der besteht aber nicht nur aus individuellen Anfertigungen, sondern auch aus traditionellen Werftarbeiten wie Bootsverkauf, Wartung, Überwinterung und ähnlichem. Nach sechs Jahren zählt die Firma ein Dutzend Mitarbeitende, die alle Fachgebiete abdecken: Komposit- und Holzfasern, Mechanik, Lackierarbeiten und Transport. Im Laufe der Jahre hat Augustin Lépine starke Beziehungen zu einigen Bootsmarken aufgebaut, die er besonders schätzt und deren Werte er teilt. Zu seinen grössten Verdiensten gehört die erfolgreiche Vermarktung von De Antonio Yachts auf dem Genfersee. Ihm ist es zu verdanken, dass die Boote mit dem avantgardistischen Design und der cleveren Ausstattung in der Westschweiz so gut verkauft werden. Inzwischen hat er auch den Vertrieb der Black Pepper übernommen, die klassisches Holz mit leistungsstarker Kohlefaser verbinden. Altes und Modernes, Leistungsstarkes und Komfortables, Praktisches und Designorientiertes – Augustin Lépine vereint scheinbare Gegensätze zu Realisationen, die Emotionen auslösen.