Der Flughafen in Maskat ist in gleissendes Licht getaucht, drückende Hitze liegt über der Stadt. Eine leichte Brise verschafft zwar etwas Abkühlung, trotzdem lockt der Schatten der weiss getünchten Häuser. Hier könnte man stundenlang verweilen und das wunderschöne Blau des Arabischen Meers bestaunen. Oman mit seinen 1700 km Küsten blickt auf eine lange Seehandelstradition zurück. Seine Lage an der Strasse von Hormus machte es zu einem Objekt der Begierde. Mesopotamier, Griechen, Perser, Araber, Türken, Afrikaner, Inder und Europäer versuchten im Lauf der Jahrhunderte mehr oder weniger erfolgreich das strategisch wertvolle Gebiet einzunehmen. Die furchtlosen omanischen Seefahrer wussten die ideale Lage bereits im 1. Jahrtausend zu ihren Gunsten zu nutzen. Getrieben vom Südwestmonsun fuhren sie im Dezember an Bord ihrer Daus – alten, hölzernen Segelschiffen mit den kamelköpfi gen Bugen und Lateinsegeln – über das Arabische Meer nach Indien und kehrten 18 Monate später bei wohlwollenden Winden wieder in ihre Heimat zurück. In ihrem bauchigen Rumpf stapelten sich Edelsteine und Gewürze aus Indien, Seidenstoffe und Porzellan aus China, Elfenbein und Sklaven aus Afrika und Gold und Edelholz aus Sumatra. Diese Güter wurden in Oman gegen Pferde, Parfum, Weihrauch, Glaswaren, Rüstungen, Stoffe und Perlen aus dem Persischen Golf getauscht.
Erkundung über die Küste
In der rund 15 Kilometer von der Hauptstadt entfernten Bandar Jissah Bucht zeugen ockerfarbene Ruinen einer vom Regen und Wind gezeichneten Festung von dieser ruhmreichen Vergangenheit. Oben blickt man von den müden Schiessscharten und Zinnen hinunter auf die Umrisse einiger Barkassen, die ihren Bauch unter sengender Sonne im grünen Wasser kühlen. Weissschwanz-Tropikvögel lassen sich im Wind treiben, zwei lange kommaähnliche Schwänze hinter sich herziehend. Aus der Ferne strömt ein seltsamer von Odyssee und Abenteuer erfüllter Duft, der schon Abu Obeida alias Sindbad dem Seefahrer aus Tausendundeiner Nacht in die Nase gestiegen sein muss. Etwas weiter südlich umhüllt eine feine Dunstwolke das Dorf As Sifah, das schlafend an einem unendlichen Strand liegt. Etwa alle 300 m steht eine Gruppe Flamingos auf hauchdünnen Stelzenbeinen. Sie lassen sich auch von den anrollenden Wellen nicht beeindrucken und stecken auf der Suche nach einer Handvoll Krustentiere kühn ihre Schnäbel in die Brandung.
Hinter ihnen knien Fischer im Sand und entwirren mit Engelsgeduld die Maschen ihrer Netze. Im Schatten einer Mauer halten ziegenbärtige, scheinbar grobschlächtige Patriarchen ein Konzil ab. Ihre wehenden Dishdashas riechen nach Weihrauch, ihre Körper, Hände und Gesichter verströmen einen lieblichen Duft, der jeden edel parfümierten Pariser Dandy vor Neid erblassen lassen würde. Einige tragen einen Khandschar, den berühmten omanischen Dolch, der in einer fast rechtwinkligen Scheide steckt. Er demonstriert Männlichkeit, wird aber fast nur noch auf dem Land und auch dort vor allem bei wichtigen Anlässen getragen. Aus einer angelaufenen Thermoskanne wird Kaffee in winzige Tassen ausgeschenkt. In Oman trinkt man den starken Khawa, dazu wird eine Handvoll Datteln gereicht.
In der Küstenstadt Quryat hallen die Hammerschläge der Schiffszimmermänner durch die Gassen. Wie gestrandete Wale warten alte Daus in einer Ecke des Hafens auf ihre Abfahrt. Leider werden die Baghala und Ghanja mit ihren hohen, mit Fenstern versehenen Bugen immer seltener. Ihre Rümpfe bestehen aus indischen Teakholzbalken, die mit Kokosnussfasern zusammengebunden und mit Gips und Haifett abgedichtet werden. Heute dienen sie geschwätzigen Raben als Sitzstange. Die undankbaren, bornierten Vögel haben sie mit ihrem Kot vollkommen verdreckt. Quryat ist neben Sur der einzige Hafen, in dem die Daus noch nach traditionellen Zimmermannstechniken hergestellt werden. Es gibt keinen Riss oder vielmehr ist ein solcher nur im Kopf des Schiffsbauers enthalten. Oft sind Axt, Säge, Meissel und Stechbeitel die einzigen Hilfsmittel. Der Bau einer Dau nimmt 5-6 Monate in Anspruch. Früher boten die grössten Platz für 400 Mann und wogen 600 Tonnen. Heute funktionieren die Betriebe auf Sparflamme und die Zukunft der Daus sieht ziemlich trüb aus.
Taucherparadies
Hinter Sur liegt das Kap Ras al Jinz, der östlichste Punkt der arabischen Halbinsel. Ihm gegenüber beginnen Indien und Pakistan. Im sanften Morgenlicht buddelt eine mächtige Schildkröte ihr Loch fertig zu. Sie hat gerade rund 60 golfballgrosse Eier hineingelegt. Tränen kullern ihr aus den Augen und sie hebt alle 20 Sekunden ihren runzligen Kopf, um kräftig nach Luft zu schnappen. An diesem Strand deponieren seit Urzeiten jedes Jahr mehrere Tausend Schildkröten ihr Gelege. Nicht selten können in einer einzigen Nacht mehrere Dutzend dabei beobachtet werden, wie sie schwerfällig an Land kriechen. Wer sie lieber in ihrem Element, dem Wasser, bestaunen möchte, kann das vor Maskat, bei den grossen ockerfarbenen Felsen der Insel Fahal tun. Dort hebt sich der von Möwen, Seeschwalben und Weissschwanz-Tropikvögeln durchzogene blaue Himmel in einem wunderschönen Farbenspiel vom üppigen Grün der Natur ab. Im schwachen Licht ergiessen sich paradiesische Bäche über ein kleines, von niedrigen, blassbraunen Lederkorallen überwachsenes Riff. Gleich einem Geist, der aus den Eingeweiden der Erde hervorstürmt, taucht ein eindrücklicher Stechrochen auf und gleitet scheinbar mühelos über eine kleine Sandfläche. Kurz darauf gesellen sich die ersten Tintenfi sche zu ihm. Sie sind fast einen Meter lang und bewegen sich kaum von der Stelle. Die Pharaonen-Sepien (Sepia pharaonis) begeben sich jeweils im Frühling an die Küste, um sich dort fortzupflanzen. Eine herrliche Gelegenheit für interessierte Taucher, Voyeur zu spielen und ihnen bei ihrem feurigen Liebesspiel zuzuschauen. Wie gewohnt setzt sich das Männchen prahlerisch in Szene, um die Gunst seiner Angebeteten zu erlangen. Die kann dem Muskel-, pardon, Tentakelpaket dann meist nicht widerstehen. Ca. 60 km nördlich von Maskat liegen wie auf eine Perlenschnur aufgereiht die Daymanyat-Inseln. Wissenschaftler haben die ökologische Bedeutung dieser kleinen Flecken Erde schon längst erkannt und sie zum nationalen Naturreservat erklärt. Hier sind die schönsten Korallenkolonien Omans anzutreffen. Vor der Insel Djunn gesellt sich ein unerwarteter Gast zum Boot: Ein ca. 1,50 m kleiner Mantarochen schiesst wie ein Dämon aus der Tiefe und vollführt einen herrlichen Salto. Kein Wunder, wird die Mobula japonica auch Teufelsrochen genannt! Für den bevorstehenden Tauchgang ist seine Präsenz auf jeden Fall ein gutes Omen. Wenig später macht uns, halb verdeckt von schwarzen Korallenbüschen, ein Leopardenhai seine Aufwartung. Er ist umgeben von einem Schwarm gelber und schwarzer Stachelmakrelen. Durch die Taucher gestört zieht sich der gutmütige Herr der Meere mit einem kräftigen Schwanzschlag zurück, seine bunte Hofschar im Schlepptau. Eine Suppenschildkröte suhlt sich in purpurfarbenen Gorgonien und beäugt uns faul mit leicht geöffnetem Maul. Die Daymanyat-Inseln sind auch eine der letzen Lebensräume der überaus seltenen Echten Karettschildkröte
(Eretmochelys imbricata). Eine kleine Population aus 300 Weibchen legt hier jedes Jahr ihre Eier. Höhepunkt jedes Tauchgangs ist jedoch die aussergewöhnliche Dichte der Netzmuränen (Gymnothorax favagineus). Einige strecken ihren mächtigen Hals, der so dick ist wie zwei Männerschenkel, aus einem Loch, andere schwimmen frech durchs Wasser. Die Engländer nennen sie wegen des eleganten, dunkelbraunen Motivs auf der cremefarbenen, schuppenlosen Haut „Bienenwaben-Muräne“.
Berggrate und Höhlen für Trekker
Den Kopf noch voller salzhaltiger Erinnerungen taucht man aus der faszinierenden Unterwasserwelt auf, um an Land den Blick auf die fernen, spitzen Berggrate der Hadjar-Kette zu richten. Das Gebirge bildet die Wirbelsäule des Landes und teilt Oman in zwei Teile: die Küstenebene Batinah im Osten (wortwörtlich „der Bauch“) und das innere, kaum erschlossene Hochland, eine Terra quasi incognita und Traumregion für abenteuerhungrige Trekker auf der Suche nach neuen Erfahrungen. Der Jabal al-Akhdar, der höchste Berg der Kette, gipfelt im über 3000 m hohen Jabal Shams. Mühevoll in die Kalkkruste gegrabene Pfade verbinden die in kühlen Schluchten oder an ausgetrockneten Flussbetten eingenisteten Dörfer. Auf den Felsvorsprüngen oberhalb des unergründlichen Wadi Guhl wagt der Wanderer einen vorsichtigen Blick in die Tiefe der Schlucht. Achtung Stufe! Den ungeschickten Trecker erwarten 1000 m freier Fall! In einem etwas weiter östlich gelegenen Massiv halten die Gebirgsfalten unter einer von der Sonne gebratenen Kalkschicht die grössten Höhlen der Welt verborgen. Die Zahlen sprechen eine eindrückliche Sprache: Majlis Al Jinn, der „Saal der Geister“, ist 300 m lang, 200 breit, 158 hoch und 60’000 m2 gross – das entspricht 8 Fussballfeldern! Eine andere Welt, in der sich der winzig wirkende Besucher wie eine Spinne, die sich durch einen Riss in der Decke an ihrem Faden in einen Ballsaal herunterlässt, an einem endlosen Tau abseilt. Das viele Jahrhunderte lang unzugängliche und widerspenstige Hinterland von Oman hat sich endlich geöffnet, stellt den Besucher aber vor die Gretchenfrage „Meer oder Berge?“ Die Wahl überlassen wir Ihnen.