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Auf eigenem Bug quer über den Atlantik

von Quentin Mayerat

Logisch, es muss ein Boot à la Moitessier sein. Nicht eines dieser weiss lackierten Standarddinger aus Kunststoff. Das Abenteuer lockt und wir lassen uns vom Charme einer Vulcain V, einer dieser alten, tonnenschweren Bügeleisen aus den Siebzigern, übermannen. Sie ist ideal für den Hohen Norden. Wir aber werden den Atlantik überqueren. Null Problemo! Wir werden sie wieder instand setzen und nach guter alter Seefahrertradition neu streichen. Das Rigg passt uns eigentlich ganz gut. Die Hephaistos, wie ihr Taufname lautet, hält einiges aus, das sieht man. Ganz im Geist des grossen Moitessier verzichten wir auf Dusche, Kühlschrank und Warmwasser. Sogar die Wasserhähne sind überflüssig. Kein elektrischer Pilot, sondern ein dem Windgott Äolus gewidmeter Regler. Ein mechanischer Ankerspill, der keine Energie verbraucht. Unterdimensionierte Winschen, auch nicht weiter schlimm. Und natürlich kein Verdeck. Je mehr uns die Gischt nass spritzt, desto lustiger… Einzige Zugeständnisse an die Modernität: ein GPS, ein Radar und ein Satellitentelefon. Ganz haben wir unseren Verstand dann doch nicht verloren. Wir verstauen unsere Schwimmwesten, die uns vor dem Ertrinken, aber nicht vor dem Erfrieren im eiskalten Wasser bewahren können. Es kann losgehen. Atlantik ahoi!

Morgen wird der Anker gelichtet

Auf den Kanaren angekommen zwängen wir mit Gewalt sieben Einkaufswagen voller Reis, Pasta, Linsen, Butter- und Käsekonserven, Soja-Joghurts, Trockenschinken zum Aufhängen, Tonnen Wasser, etwas Bier, Zwiebeln, Kartoffeln, Milchpulver, Getreidesnacks, usw. in die Bilge. Zuvor haben wir den Proviant um die Verpackung erleichtert. Sie war sowieso voller Schabeneier. Auch ein Rezept zum Brotbacken und Angelzeug müssen mit. Schliesslich wollen wir uns so weit wie möglich selbst versorgen. Hephaistos ist eine gegen Wind und Welle gerüstete Insel. Worauf warten wir also noch? Versprochen, morgen geht’s los. Es ist Februar, wir sind schon etwas spät dran. Angst? Kennen wir nicht! Es ist soweit. Wir müssen los. Morgen! Morgen! Morgen! Es ist aufregend wie ein erstes Rendezvous. Aufwühlend. Überwältigend. Unmenschlich.

Was mache ich da eigentlich?

Man hatte mir die Passatwellen wie eintönige Düngungshügel beschrieben, die den Rumpf kitzeln. Man hatte mich gewarnt. Die erste Woche sei beinhart, die zweite erholsamer, die dritte ruhig. Das Boot gleitet vorwärts. Es käme auch ohne Segel voran, die Dünung und der Wind schieben es nach Westen-vom Manöver her nicht besonders prickelnd. Auf RFI verliest Arielle Cassim jeden Tag den Seewetterbericht: ruhige bis sehr grobe See, Stärke 3 bis 6. Eine wertvolle Information… Die Wellen kreuzen sich und der Atlantik gleicht einer Schleuder. Hephaistos wackelt mit dem Hintern. Die Zeit bleibt stehen. Es gibt sie nicht mehr, sie hat sich mit den Leinen verflüchtigt. Ich bin krank, muss mich aber nicht übergeben, schliesslich habe ich schon seit einer halben Ewigkeit keinen Bissen mehr runter bekommen. Bereits ans Essen zu denken verlangt mir übermenschliche Kräfte ab. Aufrecht stehen – undenkbar! Welcher Tag ist heute? Ist meine Tochter hungrig? Sie hat gekocht: eine Essiggurke und zwei Scheiben Wurst. So weit sind wir also schon. Im Geist das Essen lokalisieren, aufstehen, sich bis zum Schrank schleppen, öffnen, schneiden, durchhalten, essen, kauen, schlucken. Völlig k.o. Die Tage plätschern dahin, während ich mit geschlossenen Augen drin auf der Bank liege oder draussen – immer noch liegend – die Segel anstarre. Und wenn die Sonne hinter dem Horizont verschwindet, hüllt Stille unsere Existenz ein. Ein unangenehmer Moment inmitten einer blauen, tiefen Unendlichkeit, den es zu überstehen gilt. Ich habe den ungemütlichen Eindruck, in eine Nacht zu tauchen, die sich über uns lustig macht. Langsam stellt sich an Bord doch die Routine ein, begleitet vom unermüdlichen, unveränderten, ohrenbetäubenden Klatschen der Wellen gegen den Rumpf. Bei Einbruch der Nacht lege ich mich schlafen. Um Mitternacht bin ich mit der Wache dran. Wir lassen das Boot keine Sekunde allein. Hose, Socken, Fleece-Jacke, Ölzeug, Mütze, Decke. Ich gehe an Deck, eine dampfende Tasse Tee in der Hand, mit dem berauschenden Gefühl, Teil der schwarzen, geruchlosen Nacht zu sein. Hier lebe ich, dort, auf der anderen Seite der Brüstung, bin ich tot. Ich werde das Meer nicht mehr ansehen, es ängstigt mich zu sehr. Ich konzentriere mich auf den Alltag.

Nein, ich träume nicht!

Zehn Tage lang bin ich unfähig, mich während der Nachtwache in ein Buch zu vertiefen. Wenn die Lider zu schwer werden, helfen mir hastig gerauchte Zigaretten wach zu bleiben. Zehn Tage, dann habe ich meinen Magen endlich im Griff, hoffe nicht mehr inständig, der Mond würde mir Gesellschaft leisten und kann die Reinheit des Morgengrauens endlich geniessen. Die Haut dem Wind ausgesetzt fühle ich mich gut. Ich fange sogar an, stolz auf mich zu sein. Auf mein erstes Stück Schokoladekuchen! Auf die Augen meiner Tochter, das Lächeln meines Mannes! Arielle Cassim ist mir schnurzegal. Ich fange an, mich stark zu fühlen. Es ist noch nicht überstanden, aber fast. Doch das Meer will nicht gezähmt werden und lässt es mich wissen. Ein tropischer Windstoss hinter dem 45. westlichen Längengrad schleudert mich in meine Nussschale zurück. Starr vor Furcht versuche ich trotz angstverzerrter Augen zu lächeln. Wo sind die sanften Passathügel geblieben? Ich ertappe mich selbst auf frischer Tat bei einem Anfall von Non-Atheismus. Vor dem kitschigen Bild einer Heiligen Jungfrau verspreche ich, allen zu verzeihen, die mich beleidigt haben. Dann geht es vorbei, wie üblich. Das Meer hat Spass uns durchzuschütteln. Es will verdient werden. An Bord kehrt die Routine zurück.

Land in Sicht!

Wie vom GPS vorausgesagt schält sich La Désirade aus dem Dunst. Vor uns liegt Land, heute Abend ist alles vorbei. Umso besser! Schade! Mit der Sanftmut der Antillen bäumt sich das Meer ein letztes Mal auf. Die Wolken senken sich auf uns herab, der Wind spielt Katz und Maus mit uns. Bis zu den Saintes kämpfen wir gegen Gewitterstürme an. Im Tropenregen orientieren wir uns am Licht des GPS. Dann herrscht plötzlich Totenstille. Nach 21 Tagen ununterbrochenen Tanzes ist die Hephaistos plötzlich vollkommen ruhig. Ein Tanz, der uns aus unserem Körper herausgehen lässt, uns aber in unserem Kopf einschliesst. Oder umgekehrt. Es ist hart, zu hart, sich dem Meer, den eigenen Träumen und sich selbst gegenüber so winzig vorzukommen.

Antillisches Postpartum

Jedes Jahr wagen rund hundert Familien die-sen Klassiker auf verschiedenen Booten, in verschiedenen Körpern und verschiedenen Köpfen. Mit oder ohne Dusche, mit oder ohne Verdeck, aus Eisen oder Kunststoff, der Eindruck ist der gleiche: Es ist ein ungleicher, harter, aufreibender Kampf. Und doch haben wir ihn ausgetragen! Wir haben es geschafft! Wir werfen den Anker mit den seltsamen Gefühl, erst gestern abgelegt zu haben und lassen den Champagnerkorken in den regennassen Antillen knallen. Ich lächle und warte auf das Transat-Portpartum, das die Atlanticos während zwei Monaten deprimiert. Blaue, schöne Antillen, aber ach so gefühllos. Ich bin landkrank.

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