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Die Kreuzfahrt des Drachen

von Christophe Migeon

7.30 Uhr, Zeit den Anker zu lichten. Die beiden über die ellenlange Kette der Tidak apa apa gebeugten Seefahrer brauchen Hilfe. Mit ihren schmächtigen, wie Lederriemen dehnbaren Körpern arbeiten sie synchron wie Balletttänzer und machen ihren Job um einiges besser als die 3-4 tollpatschigen Passagiere, die mehr schlecht als recht versuchen ihnen zur Hand zu gehen. Mit dem Lärm von müdem Metall geruht der Anker endlich aus dem Wasser zu steigen. Der Motor heult auf und der Schoner stürzt sich mit grossem Appetit auf die Schaumkronen. Mit dem Ungestüm eines Pferdes, das allzu lange in seiner Box stand, prescht er voller Tatendrang und Vorfreude auf Wellen und Freiheit aufs Meer hinaus. Da der Wind keine Segel aufblähen kann, verfängt er sich in den aufgehängten Anzügen und wirbelt die um die Reling und die Wanten geknüpften Tücher auf. „       Wir hissen sie praktisch nur für lange Fahrten vor dem Wind oder bei raumem Wind. Die Strömungen auf der Floressee sind ziemlich kompliziert “, entschuldigt sich Bertrand Gilart, der die 20 Meter lange Pinisi vor fünf Jahren gekauft und daraus ein Törn- und Tauchboot gemacht hat, mit dem er seither zwischen den rund fünfzig Spots in den Komodo- und Rincainseln hin- und herfährt. Der mit Rahsegeln getakelte Zweimaster macht einen stattlichen Eindruck. Er hat die Wanten eines Piratenschiffs, als Bugfigur eine schier endlos lange geschnitzte Naga – jene legendäre Schlange, deren goldene Schuppen so beeindrucken, dass die Meeresteufel das Schiff in Ruhe lassen – und ein schlankes Heck, das immer wieder das Wasser berührt und den Rumpf wie ein zierliches, weisses Komma in die Länge zieht. Der Kapitän und die zwei Crewmitglieder sind startklar, der Motor brummt und der Kompressor bläst: Unter der schon fast verdächtig blauen Himmelskuppel kann das Abenteuer beginnen.

Zerfurchte Küste

Die eleganten, traditionell getakelten Schoner, die ununterbrochen durch das Labyrinth der indonesischen Meere kreuzen, wurden alle auf dem 5 km langen Strand Tanah Beru auf der Insel Sulawesi gebaut. In der ganz aus Eisenholz konstruierten, 50 Tonnen schweren Tidak apa apa steckt das überlieferte Wissen der Konjo-Seefahrer, jenem Volk, das schon seit Jahrhunderten die besten Kapitäne und Matrosen des Archipels hervorbringt. Auch unser Mechaniker Sudirman und der Koch Mtuo gehören dazu. Ihre vom Meer gegerbten und von Nelkenzigaretten geräucherten Gesichter haben die Farbe eines Lebkuchens angenommen. An ihren gestählten Gymnosophisten-Körper ist kein Gramm Fett auszumachen. Die beiden sind keine Männer der grossen Worte. Mtuo kommt aus dem Sulawesi-Dorf Bira, in dem die Boote ihren letzten Schliff erhalten. Letztes Jahr hat er seine Frau und seine vier Kinder nur zweimal gesehen. Die Liebe lebt von der Ferne und von Geheimnissen. Ein Glück, dass die Konjo sich schon lange daran gewöhnt haben, ihren Lebensunterhalt auf dem Meer zu verdienen. „ An Land gibt es keine Arbeit. Sich auf Frachtern, Schleppkähnen oder Touristenbooten anheuern zu lassen, ist die einzige Möglichkeit Geld zu verdienen “, erklärt Mtuo und grinst dabei breit. „ Ich habe sieben Jahre lang auf einem Fischerboot gearbeitet, das für ein- bis zweijährige Kampagnen nach Irian Jaya aufbrach. Jetzt kann ich wenigstes mehrmals pro Jahr nach Hause ! “

Der Schoner fährt einer zerfurchten Küste entlang, einer tristen, bis auf die Knochen abgenagten Hügellandschaft aus kargen, wilden Regionen. Die offenbar von Göttern und Menschen vergessenen Inseln – auf Komodo und der Nachbarinsel Rinca leben gerade einmal 3500 Personen – lassen beim Betrachter ein seltsames Gefühl von Verlassenheit aufkommen. Trotzdem sollte man sich nicht von dem vorschnellen Urteil beeinflussen lassen. Unter der Wasseroberfläche, die von den Strömungen, Gegenströmungen und anderen wechselhaften Strudeln in einen spiegelglatten Teich verwandelt wird, pulsiert, pocht und frohlockt das Leben. In Castle Rock, einer Felsnadel in Form eines Flachkegels, veranstalten riesige Fischschwärme mit ihren unaufhörlich zuckenden Flossen und leuchtenden Schuppen im elektrisierenden Blau des Indopazifiks ein unvergessliches Schauspiel. Immense Scharen weisser Nasen- und Chirurgenfische driften auseinander, um sich gleich danach ihren eigenen Gesetzen gehorchend mit fliessenden Bewegungen und der obskuren Entschlossenheit einer Galaxie wieder zusammenzufinden. Hin und wieder wird diese geräuschlose, himmlische Mechanik durch einen Schwarm Stachelmakrelen oder Wahoos gestört. Seit der Einrichtung eines Nationalparks um Komodo und Rinca sind Begegnungen mit den rundlichen grauen Riffhaien und den eher flachen Silberspitzenhaien häufiger geworden. Zwar sind in dieser Region nur wenige lokale Fischer berechtigt, ihre Netze auszuwerfen, aber solange auf dem Markt von Flores für ein Kilo Flossen 2 Millionen Rupien (ca. 160 Euro) bezahlt werden, ist die Zukunft der Raubfische trotzdem nicht gesichert.

Unter imposanten Riffkonstruktionen verborgene Felsnadeln, von Weichkorallen safran- bis goldgelb gefärbte Unterwasserfelsen und Fels-passagen, die von galoppierenden Strömungen im Sturmschritt durchquert werden: Im glasklaren, warmen und pelagischen Wasser an der Nord- und Ostküste von Komodo reiht sich ein aussergewöhnlicher Tauchspot an den anderen. Weiter südlich, hinter der Insel Padar, bietet sich ein vollkommen anderes Bild. Die Sicht ist schlecht und bei Temperaturen um 24 °C sogar eine Hühnerhaut möglich. Auf den ersten Blick nicht gerade umwerfend, wären da nicht die kalten Strömungen aus dem Indischen Ozean, die nicht nur das Plankton, sondern auch die Zähler der Biodiversität explodieren lassen. Im Schatten des Riffs leben Unmengen von Meerestieren: unzählige Nacktkiemer, kiloweise Anglerfische und Partnergarnelen im Überfluss, scharenweise Boxer-, Porzellan- und Orang-Utan-Krabben und Seegurken aus einer anderen Welt. Eine Kretek* zwischen den Lippen, den Blick auf den Horizont aus lauter vergilbten Inselchen und türkisfarbenen Untiefen gerichtet, steuert Captain Musalim die Tidak apa apa. Der frühere Rasta nennt sich lieber Marco, denn er ist ein grosser Fan des Fussballers Marco van Basten. Mittlerweile hat er eine Familie gegründet, seine Dreadlocks abgeschnitten und einen Vorderzahn verloren. Die Lücke verleiht seinem Lächeln etwas Eigenartiges, das an eine geplatzte Feige erinnert. Strömungen können ihn so wenig beeindrucken wie die winterlichen Stürme. Nur beim Gedanken an eine Motorpanne verliert er seine Abgeklärtheit. Bei der Einfahrt in die Loh-Liang-Bucht richtet er den Feldstecher auf die mondsichelförmige, von der Abendsonne goldbraun gebratene Sandbank. „ Seht dort drüben! Hirsche ! “ Eigentlich sind es Rehkühe, die zusammen mit ihren Kitzen beschwingt am Strand umherhüpfen. So wenig man sich wünscht, dass den Kleinen etwas zustösst, so stark ist doch das Verlangen, dem Spektakel beizuwohnen, wenn ein unerschrockener Waran aus dem Unterholz prescht und sich mit gefletschten Zähnen auf Bambi stürzt. Die wohl satten Drachen ziehen es aber vor, unter dem lichten Gebüsch der fast kahlen Savanne im Hinterhalt liegen zu bleiben.

Die grösste Fleisch fressende Echse der Welt

Über Komodo zu sprechen, ohne den Lokalhelden zur Sprache zu bringen, dem die Inselgruppe seit einem knappen Jahrhundert ihren Ruf verdankt und der seither für Marketingzwecke herhalten muss, ist schlicht unmöglich. Die westliche Welt schloss erst 1911 mit dem Varanus komodoensis Bekanntschaft, als eine holländische Expedition zwei Exemplare tötete und ihre Haut nach Java brachte. Die grösste Fleisch fressende Echse der Welt hat eine Schwäche für Hirsche, Wildschweine und bei Bärenhunger sogar für Büffel. Ein einziger Biss reicht, um die Opfer zur Strecke zu bringen, denn die rund sechzig im Speichel enthaltenen Bakterien erledigen die restliche Arbeit. Man hat schon Warane gesehen, die geduldig zwei Wochen lang gewartet haben, bis ihre Beute an einer Blutvergiftung starb. Die furchtlosen Saurier sorgen ab und zu auch für Abwechslung auf ihrem Speiseplan und genehmigen sich von Zeit zu Zeit einen Menschen. Einer der ersten Opfer aus dem Westen war ein Schweizer. Baron Rudolf von Reding Biberegg verletzte sich 1974 auf einer Wanderung am Knie und blieb alleine zurück, während sein Reiseführer Hilfe holte. Bei seiner Rückkehr fanden die Retter nur noch den Fotoapparat und einen Schuh. Nachdem sich der Waran rund 30 Jahre ruhig verhalten hatte, fielen ihm ab 2007 zwei weitere Menschen zum Opfer. Vor zwei Jahren griff er einen Ranger in seinem Büro an. Der hat die Verletzungen glücklicherweise überlebt.

Fest entschlossen, uns von dem „ Monster “ nicht einschüchtern zu lassen, richten wir uns im Loh Buaya Camp auf der Insel Rinca ein. Ein Parkführer, der mit einer langen, gegabelten Stange bewaffnet ist, weist uns an, immer mindestens fünf Meter Abstand zu den Waranen zu halten. Trotz ihrer lächerlich kleinen Tatzen sind sie blitzschnell. Ardys, ein Tourismusstudent aus Flores, wurde zur Verstärkung in den Sommerferien eingestellt. Hoffen wir, dass er mit der Stange besser zurechtkommt als mit seinem Englisch. Die Suche beginnt auf staubigen Pfaden im trockenen, von Kapokbäumen und Palmyrapalmen durchsetzten Busch. Plötzlich hören wir Äste knacken und Blätter rascheln. Es ist aber nur ein Grossfusshühner-Pärchen. Etwas weiter spielt uns ein Wildschwein den gleichen Streich. Nach einer Stunde rinnt uns der Schweiss in Bächen über die Gesichter und spült unseren Enthusiasmus weg. Da hebt Arys mit der Bestimmtheit eines Zugführers unvermittelt die Hand. Hier sind sie endlich: fünf Komodo-Warane, die sich an den kahlen Bachufern sonnen und etwa so aggressiv wirken wie eine Familie beim Verdauen des Picknicks am Strand. Man wäre fast versucht, sich neben ihnen in die Sonne zu legen. Unweit von den Urtieren suhlen sich Büffel im Schlamm. Ihren misstrauischen Blicken nach zu schliessen, die sie ihren Spa-Genossen zuwerfen, scheint das aber doch keine so gute Idee…

* die berühmte indonesische Nelkenzigarette

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