Fotos | ©Christophe Migeon
Erzählungen von Tauchgängen mit gigantischen Haien verfehlen ihre Wirkung nie. In Dschibuti kann man mit den grössten Fischen der Welt auf Tuchfühlung gehen. Um Eindruck zu schinden, können Sie die Information, dass Walhaie nur Plankton fressen und völlig ungefährlich sind, ja einfach unerwähnt lassen.
Afrika hat nur noch ein Horn und auch das kommt ihm allmählich abhanden. Bevor Dschibuti an der Grenze zu Somalia, Äthiopien, Eritrea und Jemen abzudriften begann, trocknete es aus und wurde rissig. Entstanden sind karge, zerklüftete Landschaften, die der Allmächtige offenbar etwas stümperhaft hingeworfen hat. Politisch wurde das Land 1977 aus der Asche des französischen Afar- und Issa-Territoriums (1967-1977) gebildet. Zuvor entsprach es der französischen Küste der Somali, einem strategisch extrem wichtigen Landstreifen, der lange als Schlüssel zu Äthiopien, aber auch als wichtigster Riegel zwischen Rotem Meer und dem Suez-Kanal galt. Die Franzosen nutzten ihn zudem als Kohlelager. Sie verschifften das schwarze Gold von dort nach Indien, Indochina und dem Fernen Osten.
Relikte aus alten Zeiten
Über dem grauen Wasser des Hafens schwebt noch immer das Gespenst der Karaboudjan aus Tim und Struppi und der alterslosen Frachter, deren marode Rümpfe Rosttränen vergies-sen. Arabische Sambuken, bunt bemalte Zeima und dünnbauchige Zarug erinnern an das altüberlieferte Handwerk der jemenitischen Zimmermänner. Auf den meisten Booten mussten die Segel mittlerweile aber Dieselmotoren weichen. Früher wurden die Boote noch ohne Pläne gebaut und die Planken mit Haiöl vor dem Verrotten geschützt. Entlang der Pier, auf der Horden krähender Raben die Kontrolle übernommen haben, erdrücken schwere Militärschiffe mit ihrem glanzlosen Metallkleid die traditionelle Flottille. An Land sind die Absinth-Spelunken, in denen sich Monfreid und Rimbaud wohl mehr als einen Rausch geholt haben, schon längst verschwunden. An ihrer Stelle locken Nachtclubs und Bars manch eine zwielichtige Gestalt an. Weit liegt sie zurück, die Zeit, in der Afar-Damen dem Marineoffizier Pierre Lotti beim Landgang den „gerade erst abgezogenen Pelz eines Panthers“ anboten. Heute sind die Pantherfelle in Dschibuti synthetisch und umspannen in Form von Leggins die strammen Schenkel der Fräuleins, die an den Theken anrüchiger Etablissements lehnen.
Spannendes Wracktauchen
Richten wir den Blick lieber aufs Meer, zu den Musha-Inseln an der Einfahrt zum Golf von Tadjoura, rund 15 Kilometer nordöstlich von Dschibuti. Die Inseln sind flach wie Mangrovenblätter und trocken wie Militärbiskuits. Nur ein paar kleine Mangrovengruppen sorgen da und dort für etwas Frische. Monfreid und sein Freund Lavigne sollen hier im Jahr 1914 versucht haben, eine Perlenzucht aufzuziehen und den Betrieb gleichzeitig als Tarnung für Schmuggelwaffen missbraucht haben. Heute befindet sich dort ein Tauchclub, der Trips zu einigen alten Blechhaufen wie der Faon anbietet. Dieses 90 Meter lange Liberty Ship ist vor fast 80 Jahren beim Transport von Alteisen gesunken. Jetzt ist das Wrack von schwarzen Korallenbüschen überwuchert. Auch der 20 Meter lange, im Jahr 2005 von den Behörden für Taucher gekenterte Schlepper Arthur Rimbaud kann besichtigt werden. Sein hinteres Deck ist bereits komplett besiedelt und wird von unzähligen Süsslippen in Sträflingskleidung umschwärmt. Ein paar kräftige Flossenschläge weiter – 180 Meter, um genau zu sein – liegt die verrosstete Nagfa der äthiopischen Marine, auch sie gerade auf den Grund gestellt. Füsiliere, Fledermausfische, Stachelmakrelen und Engelfische drehen hier ihre täglichen Runden. Nach diesem kleinen Vorgeschmack blickt der Taucher erwartungsvoll Richtung Westen zum Golf von Tadjoura, dort, wo der Indische Ozean ins afrikanische Festland vordringt.
Seemansgarn
In der kleinen Welt der Taucher werden vermutlich mehr Räubergeschichten erzählt als sonstwo. Zu den angsteinflössenden Legenden gehört auch die Geschichte der Calypso. Ende der 1960er-Jahre erforschte das berühmte Schiff von Jean-Yves Cousteau den Grund des Golfes. Die komplett vom Meer überschwemmte Senke namens Ghoubbet-al- Kharab ist bei der Abtrennung von Ostafrika vom Festland entstanden. Im Rahmen dieser Expedition wurde ein Käfig mit einem toten Kamel auf den Grund gelassen. Abends, wenn auf den Törn- und Taucherbooten viel Rum floss, wurde erzählt, dass ein Tier kolossaler Grösse den Käfig vollkommen eingedrückt habe. Das Monster soll aus dem Innern der Verwerfung aufgetaucht sein. Die Entdeckung stellte das Wissen über die Unterwasserwelt völlig auf den Kopf. Cousteau soll getaucht sein und etwas gesehen haben, das „zu wichtig ist, um es der Menschheit zu enthüllen“. Er sei von dem Erlebnis und der Tatsache, dass im Koran von einem solchen Tier die Rede ist, so beeindruckt gewesen, dass er gegen Ende seines Lebens zum Islam konvertiert sei. Wahrscheinlich ist aber beim Anblick der spektakulären Landschaften des afrikanischen Grabenbruchs einfach die Fantasie mit ihm durchgegangen. Die Realität sieht etwas nüchterner aus. Zwar hat die Calypso tatsächlich einen Käfig in den Ghoubbet al-Kharab hinabgelassen, aber passiert ist nichts. Als die Crew den Käfig in der Region von Banko Arab zwischen Dschibuti und Somalia erneut versenkte, wurde das Kamel von einem Tigerhai gefressen. Der Rest ist Legende, gesponnen aus dem Seemannsgarn der Crewmitglieder.
Friedliebende Monster
Die Monster, die sich unter der grünen Decke verbergen, sind um einiges umgänglicher. Jedes Jahr zwischen November und Ende Februar finden sich die jungen Walhaie zu einem Jugendtreff zusammen. Die ausgewachsenen Tiere halten sich vermutlich lieber im offenen Meer auf. Sie bleiben auf Distanz und zeigen sich nie. „Die meisten Jungtiere sind zwischen 3,50 und 5,50 Meter lang“, sagt Michel Vely, der Präsident des Vereins Megaptera, der die faszinierenden Fische seit 2003 untersucht. „Wir vermessen sie mit dem Laser. Den grössten, den wir hier gesehen haben, war 7,50 Meter lang. Erwachsene bringen es auf über 10 Meter.“ Am grössten sind die Chancen, einen Walhai zu sehen, wenn man die Küste in Richtung Westen entlangfährt und dann ab der Pointe de Ras Ero die Augen offenhält. Hier ist die Landschaft von der Sonne versengt. Alles ist von dürrem, blassbraunem Gebüsch überwuchert. Die Luft in dieser unwirtlichen Region ist so drückend heiss, dass sie über dem Boden wabert wie die Hitze eines in der Bratpfanne brutzelndes Stücks Fett.
So sehr wir uns auch anstrengen, wir sehen nur ein paar Schildkröten, die ihren Kopf aus dem Wasser strecken, um Luft zu holen. Im etwas klareren Wasser schwirren kleine, rote Krebse mit offenen Zangen in einem heillosen Durcheinander umher. Der grösste Fisch der Welt lässt auch sich warten. Nach eineinhalb Stunden macht uns ein Boot mit abgestelltem Motor und einem Schwarm schnorchelbewehrter, sprungbereiter Gäste auf die Anwesenheit eines Walhais aufmerksam. Wir brauchen nur ins Wasser zu gleiten und den wie wild um sich spritzenden Schwimmern zu folgen, um das gigantische Tier gemächlich vorbeigleiten zu sehen. „Um zu verhindern, dass sich die Touristen daneben benehmen und die Walhaie stören, versuchen wir die gleichen Regeln einzuhalten wie am Ningaloo Reef in Australien“, erklärt Michel Vely, „die grösste Gefahr sind hier aber die Bootsschrauben, die schon manchen Hai verletzt haben. Wir arbeiten deshalb an speziellen Schutzvorrichtungen, von denen nicht nur die Haie, sondern auch die Taucher profitieren dürften.“
Eingeschüchtert vom Radau des Vorstadtschwimmbads scheint unser neuer Freund nicht gewillt, nochmals aufzutauchen, um uns zu begrüssen. Stoisch setzt er seinen Weg mithilfe von regelmässigen, aber wirksamen Flossenschlägen fort. Seine Groupies können blei ben, wo der Pfeffer wächst. Am besten, man macht es wie er und lässt die Meute links liegen, um etwas weiter nach „frischem“ Hai Ausschau zu halten. Unverhofft schnell werden wir fündig. Unter der sich kräuselnden Wasseroberfläche scheinen zwei Schatten so gross wie das Boot an Ort und Stelle zu verharren. Zwei vier bis fünf Meter lange Jung-spunde füllen sich mit weit aufgerissenem Maul und zitternden Kiemen gierig den Bauch mit riesigen Mengen Plankton. Einer streckt den Kopf nahezu senkrecht nach oben, als wäre er in tiefgründige Überlegungen vertieft. Was wohl hinter seinen leblosen Augen, die wie Schraubenlöcher wirken, vorgeht? Walhaie haben noch lange nicht alle Geheimnisse preisgegeben. „Soweit wir wissen, ist die Anwesenheit der Walhaie stark an die Produktion von Phytoplankton in bestimmten Regionen des Golfs wie dem Arta-Strand gebunden“, sagt der Meeresbiologie Pierre Labrosse, der an der wissenschaftlichen Fakultät von Dschibuti forscht. „Der Golf von Tadjoura ist im Grunde genommen eine natürliche Kinderstube. Man glaubt, dass Walhaie hundert Jahre alt werden, aber erst mit 35 oder sogar 50 Jahren geschlechtsreif sind. Was uns aber noch immer Rätsel aufgibt, ist ihr Aufenthaltsort von März bis November. Schwimmen sie aus dem Golf hinaus oder tauchen sie so tief hinab, dass man sie neun Monate nicht sieht?“ In Dschibuti, dem Sammelpunkt der grossen Fische, sind Geheimnisse gut gehütet.
REISE-INFOS
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[column size=“third“ last=“no“]Formalitäten
Es besteht Visumspflicht. Das Visum kann für 130 Franken im Genfer Konsulat von Dschibuti bezogen werden. Die Reise muss innert drei Monaten nach Ausstellung des Visums angetreten werden. Der Aufenthalt im Landesinnern ist auf 90 Tage beschränkt. Adresse: Ambassade de la République de Djibouti en Suisse, Section Consulat, 19 chemin Louis-Dunant, 1202 Genève.[/column]
[column size=“third“ last=“no“]Anreise
Täglicher Flug Genf-Dschibuti mit Emirates und Zwischenstopp in Dubai ab ca. 600 €. Rund elf Stunden Aufenthalt in Dubai. Am besten fliegt man ab Paris, z.B. mit Ethiopian Airlines. Der Flug mit Zwischenstopp dauert zehn Stunden. www.flyethiopian.com [/column]
[column size=“third“ last=“yes“]Beste Reisezeit
Der Winter ist mit Abstand die beste Reiseit, denn von Oktober bis April sorgt der Passat für kühlen Wind. Dann halten sich in Dschibuti auch Walhaie auf.[/column]
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[column size=“third“ last=“no“]Zeitverschiebung
+ 1 Std. im Sommer / + 2 Std. im Winter[/column]
[column size=“third“ last=“no“]Währung: Dschibuti-Franc
Wechselkurs: 1 CHF = ca. 180 FDJ[/column]
[column size=“third“ last=“yes“]Unterkunft
Djibouti Palace Kempinski, Ilot du Héron. Teuer, aber luxuriös. Doppelzimmer ab 60’000 FDJ.
kempinski.com/fr/djibouti [/column]
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[column size=“third“ last=“no“]Tauchen in Dschibuti
Getaucht wird vor allem um die Musha-Inseln herum. Der kleine Archipel befindet sich mitten im Golf, rund 25 Bootsminuten von der Mole des Hotels Kempinski entfernt. Dort liegen drei schöne Wracks auf Grund, unter anderem die fast 100 Meter lange Faon. Ausserdem findet man interessante Felswände. Vor der nördlichen Felswand begegnet man mit etwas Glück Silberspitzenhaien und Schwarzspitzen-Riffhaien. Walhaie sind nur im Winter, von November bis Ende Februar, und vor allem im hinteren Teil des Golfes von Tadjoura, rund eine Bootsstunde von Dschibuti (Arta-Strand) entfernt, anzutreffen. Aufgrund der Seeräuber in dieser Region des Indischen Ozeans ist die Zufahrt zu den Sawabi-Inseln, einem Hotspot für Walhaie, untersagt.[/column]
[column size=“third“ last=“no“]Tauchanbieter
Das Tauchzentrum Le Lagon Bleu hat seine Bais auf den Musha- Inseln. Im Hotel Kempinski betreibt es aber eine Filiale und organisiert jeden Morgen Tauchgänge nach Musha mit Abfahrt von der Hotelmole. Von November bis Ende Februar werden jede Woche Snorkeling- und auf Anfrage Tauchtouren mit Walhaien organisiert. Von der Hotelmole braucht man etwa eine Stunde bis zur Beobachtungszone. Ganztägige Walhai-Touren inkl. Picknick: 15’000 FDJ. Zuschlag von 5000 FDJ für Taucher. Pauschale für zehn Tauchgänge auf den Musha-Inseln: 70’000 FDJ.
Tel.: (00253) 77813058, lagonbleudjibouti.com [/column]
[column size=“third“ last=“yes“]Sehenswürdigkeiten
Assalsee, der tiefste Punkt des afrikanischen Kontinents. Die Salzbank lässt sich ab Dschibuti in einem halben Tag erkunden.
Abbe-See. Salzsee mit Hunderten teilweise über 50 Meter hohen nadelförmigen Kalksteinkaminen und Warmwasserquellen.[/column]
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Weitere Infos
ONTD, Office National de Tourisme de Djibouti, Tel.: (253) 35 28 00, visitdjibouti.dj