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Die vergessenen Inseln

von Quentin Mayerat

Ankerplatz am Fuss des typischen Dorfes Agios Marina auf Leros. © Pierrick Garenne

Die Distanzen beim Segeln sind gut einzuschätzen, trotzdem ist es ein Vergnügen, sich in die Papierkarte 7266 L von Shom zu vertiefen. Man geht auf Nummer sicher und kann darüber hinaus mit der Zirkelspitze Buchten und kleine Vertiefungen in den Jahrtausende alten Felsen anvisieren. Der Dodekanes reicht von Patmos im Norden bis zur grossen Insel Rhodos im Süden. Auf der Karte ziehen Leros, Kalymnos, Kos, Nisiros und Tilos die Blicke auf sich. Überraschend und faszinierend sind aber vor allem die wie lauter Staubkörner auf dem Wasser verteilten Inselchen Akri, Lipsi und die anderen Eilande im Norden des Archipels. Auf dem Dodekanes findet man nicht nur überall Spuren der griechischen Mythologie, er ist auch ein kultureller Schmelztiegel. Hier haben Piraten ihr Unwesen getrieben, die Republik von Venedig, das osmanische Reich und Mussolinis Italien Ansprüche erhoben und der Zweite Weltkrieg Schäden angerichtet. Es muss wohl nicht erwähnt werden, dass diese historischen Perioden und Ereignisse ihre Spuren hinterlassen haben. Den Namen Dodekanes erhielt der Archipel erst 1908, als die zwölf, nur einen Steinwurf von der Türkei entfernten Inseln beschlossen, sich Griechenland anzuschliessen.

Die Türkei ist auch unser Ausgangspunkt. In der Luxusmarina D-Marin von Turgutreis auf der Halbinsel Bodrum laufen wir aus. 25 Seemeilen nordwestlich, Kurs auf 310° bis in den Norden vor Leros. Danach folgen 15 Seemeilen bis nach Patmos bei 295°. Es weht ein Nordwind und zum Einstieg können wir am Wind segeln. Man muss wissen, dass der Meltemi im Sommer aus Richtung Nord/Nordwest bläst und dann bei rund 15 Knoten relativ mild, ja sogar richtig friedlich ist. Warum wir einfach an Kalymnos und Leros vorbeifahren ohne Halt zu machen? Ganz einfach, um uns von der griechischen Seepolizei in Skala, dem Haupthafen von Patmos, unser „Private pleasure maritime trafic document“ ausstellen zu lassen. Denn ohne diese verflixte Törnbewilligung kann man nicht legal von Hafen zu Hafen gleiten. Man muss das Papier im Fall einer Kontrolle vorweisen können und bei jedem Zwischenstopp sowohl bei der Ankunft als auch bei der Abfahrt abstempeln lassen.

Spirituelles Patmos

Es ist problemlos nachzuvollziehen, weshalb die sarazenischen Piraten den friedlichen und vor dem Meltemi gut geschützten Hafen von Patmos mehrere hundert Jahre als Rückzugsort genutzt haben. Skala ist ein angenehmes Dorf, auch wenn es bei den Törnseglern schon längst kein Geheimtipp mehr ist und die entsprechenden Unannehmlichkeiten nicht ausgeblieben sind. Im Sommer überrennen Horden Touristen aus den Kreuzfahrtschiffen das Dorf. Trotzdem ist Skala Griechenland pur. Verschlungene Gassen, weiss getünchte Häuser, bärtige Popen und Fischtavernen, in denen die fangfrischen Tiere hinter Glasvitrinen wie Schmuckstücke präsentiert werden, prägen das Bild. Der Ouzo heitert die Stimmung auf und lässt vergessen, dass der Anlegesteg nur ein paar Meter von einer Durchfahrtstrasse entfernt liegt. Das ist eigentlich auch nicht so wichtig, Hauptsache, die Seepolizei, die Zoll- und die Einwanderungsbehörde befinden sich hier, man kann sich mit lokalen Produkten wie Feta, Olivenöl, Souvlaki, Retzina (griechischer Wein) eindecken und sich in eine „Psitaria“ setzen, um den älteren Herren zuzuhören, wie sie sich über Politik, das Dorfleben und Klatsch und Tratsch unterhalten. Auch auf eine Wanderung hinauf zum Dorf Chora und dem Johanneskloster sollte man auf keinen Fall verzichten. Es ist ein wichtiges spirituelles Zentrum der griechisch-orthodoxen Religion. Johannes, der Theologe, soll dort in einer Höhle die Apokalypse diktiert haben. Im Südwesten bei Omos Stavros wartet das gebirgige Patmos zudem mit grossen, schönen Stränden und traumhaften Ankerplätzen auf. Besonders angetan hat es uns ein hinter der kleinen Insel Kentronissi nordöstlich von Skala verborgener Spot.

Wir ziehen weiter Richtung Ost/Nordost nach Arki und Lipsi, einem Waypoint auf dem 60. Breitengrad. Zehn Seemeilen weiter erreichen wir trockene, karge Inseln. Patmos und seine Hektik haben wir längst hinter uns gelassen. Hier sind Ruhe und Frieden, Stille und Musse angesagt. Wir meiden die Häfen und geniessen die wilde, unberührte Natur der Inseln mit ihren zahlreichen kleinen, mehr oder weniger gut geschützten Ankerplätzen. Im glasklaren Wasser ist Ankern ein Kinderspiel. Wir sind mutterseelenallein. Vorsicht ist allerdings vor den Böen geboten, bei denen das Boot abdriften und gegen einen der einzelnen, nie signalisierten Felsen knallen kann.

Die „Teufelsinsel“ ist Vergangenheit

Die wilde Ankerbucht Arkangelos vor der kargen Landschaft der Insel Leros. © Pierrick Garenne

Wir wählen die klassische Route und fahren bei 15 Knoten Nordwestwind weiter Richtung Süden bis nach Leros und seinem schönen Ankerplatz Arkangelos. Den Blick auf das Echolot gerichtet gleiten wir in die Bucht. Wenige Meter vor den Felsen dümpelt ein türkisches Gulet. Auf dem Berg weiden wilde Ziegen. Die Insel ist naturbelassen und unbewohnt, felsig und schroff. Kein Mensch weit und breit, einzig das Wrack eines Ruderhauses liegt auf dem einsamen Kieselstrand. Uns zieht es an die Westküste. Hier fallen die Felsen steil ins Meer ab, es gibt kaum Häuser und Boote sind auch so gut wie keine zu sehen. Wir fahren einmal unter Motor, dann wieder unter Segeln. Es geht ein schwaches Lüftchen und das Wasser schimmert tiefblau. Backbord liegt Ormos Gourmes. Nicht wirklich attraktiv und überdies bei Nordwestwind ein schlechter Zufluchtsort. Wir lassen es links liegen und ziehen weiter nach Lakki. Hier wird klar, weshalb die italienische Armee diese unglaubliche Bucht als Marinestützpunkt genutzt hat: Sie konnte die nur 400 Meter breite Einfahrt einfach mit einem Netz schliessen. Zu Mussolinis Zeiten waren in Lakki bis zu 20‘000 Soldaten stationiert. Heute mag man die Stadt oder man mag sie nicht, gleichgültig lässt sie mit ihrem Art-Deco-Ambiente und den grossen, kitschigen Gebäuden niemanden. Lakki scheint ziemlich verlassen. In der Vergangenheit wurden so viele Häuser zu psychiatrischen Anstalten umgebaut, dass Leros zeitweilig „Teufelsinsel“ genannt wurde. Hier sind übrigens auch einige Bootswerften angesiedelt. Nur für den Fall…

Geheime Felsbuchten

Spiegelglattes Meer, bunte Lichtreflexe, glasklares Wasser: Die Ägäis birgt wunder-schöne, windgeschützte Ankerplätze. © Pierrick Garenne

Tintenfisch, ein traditionelles Gericht der griechischen Küche. © Pierrick Garenne

Traditionelle Fischerboote mit ihren gelben Netzen, Holzrümpfen in leuchtenden Farben und knatternden Zweittaktmotoren. © Pierrick Garenne

Im Süden ragt Kalymnos, „die Hohe“, aus dem Wasser. Sie wurde mehrere Jahrhunderte komplett von der Schwammindustrie vereinnahmt. Wie den Werken von Homer zu entnehmen ist, fischen die Griechen schon seit mehr als dreitausend Jahren nach Schwämmen. Unglaublich, aber wahr: In Kalymnos wurden bis zu 250 Boote gezählt und bei der Jagd nach den natürlichen „Diamanten“ ertranken zwischen 1886 und 1910 in der Ägäis über 10‘000 Menschen. Doppelt so viele wurden invalid. Die Tätigkeit wird noch immer ausgeübt, nur dass die Schwämme heute wegen der schwindenden Bestände vor der afrikanischen Küste gesammelt werden. Unser erster Stopp ist das kleine Dorf Empereios an der Westküste. Der kleine, gut vor dem Meltemi geschützte Ankerplatz ist etwas ganz Besonderes und leicht zu finden: einfach die Insel Kalavros steuerbord liegen lassen und in die Bucht fahren. Dort macht man besser an einer Boje fest, denn auf dem Meeresgrund hält der Anker nur schlecht. Zum Essen geht’s in eine kleine Taverne. Bei Moussaka, Feta, Mezedes, Auberginen-Krapfen und einem kräftigen Retzina lässt es sich herrlich schlemmen. Eigentlich lädt das Meer ja ein, sich einen Fisch schmecken zu lassen, der wird aber immer seltener und ist deshalb relativ teuer. Das merkt man bereits nach ein paar Tauchgängen. Die Armut der Unterwasserfauna und -flora ist beunruhigend. Die Inselhauptstadt Pothia ist nicht sonderlich attraktiv. Wer eine etwas pittoreskere Seite der Insel sehen möchte, ist an der Ostküste besser aufgehoben. Übernachten Sie in der Felsbucht Vathi und gleiten Sie anschliessend in die vielen zauberhaften Buchten. Zur Sicherheit sollten Sie das Boot beim Ankern zusätzlich mit einer Leine an Land vertäuen. Plötzliche Wetterumschwünge können eine schnelle Abfahrt nötig machen. Ein Geheimtipp: Warten Sie, bis ein türkisches Gulet den Anker hebt und begeben Sie sich dann an diesen Platz. So verbringen Sie garantiert eine himmlische und sichere Nacht an einem aussergewöhnlichen Ort, zu dem nur Boote Zugang haben.

Geweisselte Häuser und azurblauer Himmel : die griechischen Inseln, wie sie im Buche stehen. © Pierrick Garenne

Die Griechen sollen schon vor 3000 Jahren Schwämme gefischt haben. © Pierrick Garenne

Das Johanneskloster im Dorf Chora auf Patmos. © Pierrick Garenne

Diese nur unzulänglich bekannte Region der Ägäis ist eine Reise auf jeden Fall wert. Lassen Sie sich nicht von den Formalitäten und dem damit verbundenen Zeitaufwand abschrecken! Wenn Sie die Törnbewilligung erst einmal in der Hand halten, gehören der Dodekanes und seine vielen wunderschönen Ankerplätze Ihnen. Hier wartet das Glück auf Sie! Geniessen Sie die einsamen Plätzchen und vertiefen Sie sich in die Bücher und die historischen Erzählungen, um die spannende, berauschende Geschichte auf sich wirken zu lassen. Der Dodekanes bietet einfaches Segeln, weit weg von Klischees und den Menschenmassen auf den benachbarten Kykladen!

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