Im September 2017 zerstörte der Hurrikan Irma weite Teile von St. Martin, St. Barth und Anguilla. Jetzt, ein Jahr danach, erholen sich die Inseln langsam von ihrem Trauma. Die Narben werden noch lange nicht verheilt sein. Trotzdem – oder gerade jetzt – sollten Sie das Revier besuchen. Es ist und bleibt eine Traumdestination für Segeltörns.
Es ist schon ein gutes Jahr her, dass Irma mit zerstörerischer Wut über die Region fegte. Der Hurrikan ist bei den Einwohnern von St. Martin aber nach wie vor Gesprächsthema Nummer 1. Die französisch-niederländische Insel erwachte am 6. September 2017 in einer Welt der Verwüstung und leckt noch immer ihre Wunden. Nach dieser verheerendsten Naturkatastrophe im Nordatlantik seit Allen im Jahr 1980 erholt sich St. Martin langsam wieder und versucht zur Normalität zurückzufinden. Viele Geschäfte haben daher bereits wieder geöffnet, so auch die Charterunternehmen und Bootsvermieter. Die Infrastrukturen, Häfen und Marinas sind zwar noch immer vom Sturm gezeichnet, die Ankerplätze in der Region haben aber nichts von ihrer Schönheit eingebüsst.
Beispiellose Schäden
Wie zu erwarten blieben auch die Schiffe nicht vom Sturm verschont, im Gegenteil. Auf St. Martin wurden 1200 beschädigt oder komplett zerstört. Bei der Sturmwarnung brachten viele Besitzer ihre Boote an wirbelsturmgeschützten Plätzen in Sicherheit. Die aus 200 Jachten und Katamaranen bestehende Charterflotte hingegen liess sich in der kurzen Zeit nicht verlegen und zahlte einen hohen Tribut. Vor Ort blieb keine einzige Einheit intakt.
650 Versicherungsfälle wurden gemeldet, mehrere hundert Boote kenterten und 80 warten weiterhin auf ihre Flottmachung. Praktisch alle Segeljachten wurden entmastet und sämtliche Katamarane von den bis zu 360 km/h starken Winden auf den Kopf gedreht.
Abgesehen von diesen immensen Schäden zog Irma noch weitere Probleme nach sich. Viele Boote sind herrenlos, niemand kommt für die Flottmachung oder die Entsorgung auf. Pro Einrümpfer mit einer Länge von rund 40 Fuss belaufen sich die Kosten auf 20’000 Euro, für einen Katamaran betragen sie sogar fast das Doppelte. Erschwerend kommt hinzu, dass niemand so recht weiss, wohin mit den Wracks. Weder auf der Insel noch auf dem Festland gibt es spezielle Strukturen für den Rückbau und die Entsorgung.
Kafkaeske Zustände
Als wären diese Probleme nicht schon gross genug, verhindert eine absurde Bürokratie effiziente Aufräumarbeiten. Dass St. Martin bzw. Sint Maarten eine Zweistaateninsel ist – der nördliche Teil ist französisches Überseegebiet, der südliche Teil ein autonomes Land der Niederlande – kompliziert die Aktionen jenseits der Grenze zusätzlich. Europäische Normen, Gesetze über das öffentliche Beschaffungswesen, Arbeitsrecht und andere Vorschriften behindern den Wiederaufbau der Insel. Am stärksten leidet darunter wohl die zerstörte und genau auf der Grenze liegende Marina Oyster Pond. Dort sammelte eine Vereinigung auf niederländischer Seite Tonnen von angeschwemmtem Müll und deponierte ihn dann einfach auf französischer Seite, wo sich niemand für die Entsorgung zuständig fühlt. Ebenso grotesk: In der Anse Marcel verfügen die Unternehmen zwar über die nötige Ausstattung für die Aufräumarbeiten, sind aufgrund des Beschaffungsrechts aber nicht berechtigt, auf französischem Gebiet tätig zu werden. Direkte Konsequenz der administrativen Hürden: Ein einziger Steg ist benutzbar und niemand weiss, wann der Rest wieder instandgesetzt wird.
Nautische Industrie leistet Hilfestellung
Zum Glück schauen die Fachleute aus der Wassersportbranche nicht tatenlos zu. Sie tun ihr Möglichstes, damit St. Martin wieder zum Zentrum der Freizeitsegler im Norden des Antillenbogens wird. Bulent Gulay, der Präsident des Dachverbands der Nautikbranche Metimer, lebt seit dreissig Jahren auf der Insel und packt beherzt mit an. „Für den Rückbau von Schiffen gibt es praktisch nirgends klare Abläufe und Strukturen, noch viel weniger auf einer Insel wie der unseren“, erklärt er. Sie seien daher dabei ein System aufzubauen, bei dem die Rohstoffe nach dem Rückbau der Schiffe wiederverwertet werden. „Die Faserflocken können anstelle von Kies zur Betonherstellung verwendet werden. Wir unterstützen auch den Bau eines Kahns zur Bergung von Wracks, die dann direkt an Bord rückgebaut werden.“ Diese vielversprechenden Projekte brauchen aber Zeit und Geld. Das versucht Metimer bei verschiedenen Institutionen aufzutreiben.
Ein Stück Paradies
Trotz all dieser Schwierigkeiten ist es St. Martin gelungen, innerhalb weniger als einem Jahr wieder zur Traumdestination für Törnsegler zu werden. Die Bewohner haben die Ärmel hochgekrempelt und die Küstengebiete fast überall wieder zu dem gemacht, was sie vor Irma waren: idyllische Orte wie aus dem Paradies. St. Martin ist zentral gelegen, verfügt über einen internationalen Flughafen mit Direktverbindungen nach Amsterdam und Paris und bietet sich als idealer Ausgangspunkt für Törns zu den Nachbarinseln St. Barth und Anguilla an.
An der französischen Nordküste mit Start in Marigot liegen mehrere reizvolle Ankerplätze wie Friars Bay oder die Anse Heureuse. Das für seine gute Küche bekannte Grand Case ist nach wie vor stark von Irma gezeichnet. Viele Gastbetriebe sind noch immer geschlossen. Trotzdem ist die Bucht wunderschön und unbedingt einen Stopp wert. Dort kann man in den kleinen lokalen Restaurants, den sogenannten Lolos, frische Grillspeisen kosten.
Abwechslungsreiches Revier
Von St. Martin geht es in nordöstlicher Richtung nach St. Barth mit möglichem Halt in Tintamarre (siehe Kasten), danach weiter am Wind bis nach Gustavia, wo die Formalitäten erledigt werden müssen. Der Kontrast mit St. Martin ist frappierend. Obwohl sich einige Hotels noch im Wiederaufbau befinden, wurden die Schäden grösstenteils repariert. Dank seines Sonderstatus konnte St. Barth die Arbeiten sehr schnell aufnehmen und erstrahlt bereits wieder in seinem alten Glanz. Lohnend ist ein Ausflug nach Lorient, wo der berühmte französische Rocker Johnny Hallyday begraben liegt.
Die Rückfahrt erfolgt vorzugsweise vor dem Wind zur westlichen Spitze von St. Martin. Von dort sind es noch drei Stunden bis nach Anguilla. Auch sie ist praktisch wieder ganz die Alte. Die unabhängige Insel versprüht eine angenehme, entspannende Ruhe und bietet umwerfende Ankerplätze. Nach dem obligaten Stopp in Sandy Ground, wo die Formalitäten erledigt und in der Elvis’ Beach Bar ein Punch getrunken wird, erreicht man in einer knappen Stunde die Crocus Bay, ein Schnorchelspot der Extraklasse auf Dog Island (siehe Kasten). Zurück nach Marigot geht es je nach Wind und Wetter entweder über die Ost- oder über die Westroute.
Die drei Inseln sind so ungemein vielfältig, dass es schwierig ist, alle Eindrücke zu verarbeiten. Dafür wirken sie umso länger nach. Und obwohl die vielen Wunden stellenweise noch sichtbar sind, lässt die Schönheit der Inseln sie schnell vergessen.
50 Jahre Moorings
The Moorings, ein Pionier im Chartergeschäft, feiert nächstes Jahr sein 50-jähriges Bestehen. Die Erfolgsgeschichte dieses bedeutenden Akteurs der Fahrtenseglerei begann 1969 auf den Britischen Jungferninseln, als die beiden Firmengründer Charlie und Ginny Cary ihre ersten sechs Jachten zur Miete anboten. Die Flotte vergrösserte sich zusehends und umfasst heute über 400 Einheiten, viele davon Katamarane. Sie stehen in den schönsten Segelrevieren der Welt in Asien, Polynesien, auf den Seychellen und am Mittelmeer zum Chartern bereit.
Sechs Stützpunkte sind über den Antillenbogen zwischen Grenada und Puerto Rico verteilt. Ein Jahr nach Irma feiert The Moorings nicht nur ihr 50. Jubiläum, sondern auch das Comeback der Fahrtenseglerei auf den Britischen Jungferninseln und auf St. Martin. Der nautische Tourismus spielt für die Wirtschaft der Region eine wichtige Rolle. Air France und Air Caraibes fliegen daher in der Nebensaison auch zu äusserst günstigen Preisen auf die Inseln.
Mittlerweile wurde die grösstenteils zerstörte Flotte teilweise erneuert. In der Saison 2018/19 können in St. Martin rund zwanzig Boote gechartert werden. Die Basen in Marigot und auf Tortola wurden wieder in Betrieb genommen, die Aufbauarbeiten sind aber noch im Gang.
Unsere Favoriten:
Charter Segeln Sie in St. Martin auf einem oder zwei Rümpfen mit Sunsail (sunsail.com) oder organisieren Sie Ihren massgeschneiderten Törn mit my charter (info@maycharter.ch, mycharter.ch).
St. Martin
Tintamarre: Die unbewohnte Insel im Nordosten des französischen Teils von St. Martin, zwei knappe Segelstunden von Marigot entfernt, ist ein bezaubernder Zwischenstopp für Boote auf der Durchreise. Mit nur 1,2 Quadratkilometern Fläche kann man sie problemlos zu Fuss erkunden und nach den Überresten der Flugbasis suchen, die in der Nachkriegszeit von einer kleinen Gesellschaft betrieben wurde. Im Westen, gegenüber St. Martin: Der Strand der Baie Blanche ist tagsüber nicht nur ein idyllischer Liegeplatz mit mehreren Ankerbojen, sondern auch ein hervorragender Kitesurf-Spot.
St. Barth
Anse Colombier: Der Ankerplatz Gustavia ist bekannt dafür, dass er rollt und daher nicht sehr komfortabel ist. Wer einsame Plätze bevorzugt, ist in der Anse Colombier an der Westküste von St. Barth allerdings richtig. Sie gehört zu einem Meeresschutzgebiet. Vor allem um die Felsen herum geben sich Schildkröten, Rochen und Langusten ein Stelldichein und lassen sich gut beobachten. Wanderlustige erreichen nach einem halbstündigen Fussmarsch die Baie des Flamands und kreuzen dabei den Weg zahlreicher Schildkröten.
Anguilla
Dog Island: Die nur gerade 500 Acres kleine Insel knappe zehn Seemeilen nordwestlich von Anguilla entfernt darf bei keinem Törn in der Region fehlen. Ihr gut geschützter Liegeplatz direkt hinter Blowing Point ist ein kleines Juwel. Mehr als vier, fünf Boote passen nicht in die kleine Bucht. Aufgrund der geringen Wassertiefe von nur zwei Metern ist sie nur für solche mit wenig Tiefgang erreichbar. Diese Abgeschiedenheit, gepaart mit dem aussergewöhnlich feinen, weissen Sand und dem türkisfarbenen Wasser machen sie zu einem Traum für moderne Robinsons. Dog Island dient zudem zahlreichen Meeresvögeln als Nistplatz.
Irma in Zahlen und Fakten
Irma war einer der bisher schwersten tropischen Wirbelstürme. Er wütete 72 Stunden mit Geschwindigkeiten von mehr als 135 Knoten (251 km/h) – so lang wie kein anderer Hurrikan zuvor – und verursachte Wellen von über 5,5 Metern. Der Hurrikan richtete Schäden in verheerendem Ausmass an. Besonders stark betroffen waren Barbuda, St. Barth, St. Martin, Anguilla und die Jungferninseln. In den Florida Keys wurden 80’000 Bewohner sicherheitshalber evakuiert. In Kuba wurde in allen Ostprovinzen des Landes der Alarmzustand ausgerufen. Zwei Tage nach Irma traf Jose, ein Hurrikan der Kategorie 4, auf den Norden der Antillen, sodass die Rettungsaktionen 48 Stunden unterbrochen werden mussten. Im französischen Teil von St. Martin kamen vier Menschen ums Leben und rund fünfzig wurden verletzt. 85 Prozent der Häuser wurden zerstört, 10’000 Personen verloren ihr Zuhause. Irma verursachte Schäden in Höhe von 100 Milliarden Dollar in allen betroffenen Gebieten zusammengenommen und drei Milliarden Euro allein auf St. Barth und St. Martin.