Fotos : Jacques Anglès
Spektakuläre Reviere, grandiose Ankerplätze und malerische Häfen: Korsika zu umsegeln ist, als würde man genüsslich einen köstlichen Cocktail schlürfen. Noch schmackhafter wird er, wenn man sich einen Umweg über einige italienische Inseln gönnt und in der Nebensaison unterwegs ist.
Die Sonne scheint auf das Cockpit unserer Dufour 405, die unter der majestätischen Genueser Zitadelle von Calvi festgemacht ist. Das Wahrzeichen wurde auf einer steil abfallenden Halbinsel errichtet und erinnert an die lange Herrschaft der Republik Korsika (1284–1768). Einer Legende zufolge soll Christoph Kolumbus in der Zitadelle zur Welt gekommen sein. Sein mutmassliches Geburtshaus und ein Denkmal dürfen in keinem Stadtführer fehlen. Wie viel Wahres an der Geschichte ist, sei dahingestellt, denn noch andere Städte behaupten von sich, Geburtsort des berühmten Entdeckers von Amerika zu sein.
Unser Team feiert sein Wiedersehen mit trockenem Patrimonio-Weisswein, Schafskäse vom Cap Corse, Coppa vom schwarzen Schwein und anderen lokalen Spezialitäten. Wir legen die Seekarten auf den Tisch und besprechen die Route. Einmal rund um Korsika, das steht fest, aber in welcher Richtung? Da wettertechnisch etwas günstiger, fällt die Entscheidung auf den Uhrzeigersinn, das heisst, wir beginnen mit den spektakulären Küstenstrichen des Cap Corse, setzen dann zu den toskanischen Inseln über, steuern die Strasse von Bonifacio und Sardinien an und segeln schliesslich der Westküste entlang wieder zurück zum Ausgangspunkt. Insgesamt liegen rund 400 Seemeilen vor uns.
Goldener Abschiedsgruss
Momentan geniessen wir noch die Schönheiten des geschichtsträchtigen und ebenso malerischen Calvi. Cafés und Restaurants im Hafen, belebte Strassen in der Altstadt, reizende Shops und korsische Spezialitäten versüssen uns den Aufenthalt. Natürlich darf auch eine Besichtigung der Zitadelle mit ihren mehrere hundert Jahre alten Gassen und der fantastischen Aussicht auf den 2706 Meter hohen Monte Cinto nicht fehlen. Als wir schliesslich bei moderatem Westwind ablegen, bietet sich uns ein Spektakel der ganz besonderen Art: Im Morgenlicht leuchtet die Zitadelle golden und wirkt dadurch noch erhabener.
Saint-Florent ist nur rund dreissig Seemeilen entfernt, wir wollen aber vorher noch bei den paradiesischen Stränden der Agriatenwüste haltmachen. Die kilometerlangen Sandstreifen werden von türkisblauem Wasser umspült und wecken Träume an tropische Lagunen. Leider ziehen Wolken auf und eine starke Dünung aus Westen scheint uns einen Strich durch die Rechnung zu machen. Wir versuchen es trotzdem, springen vor dem langen Saleccia- Strand ins Wasser und stellen erleichtert fest, dass hier praktisch kein Wellengang herrscht. Der bleierne Himmel wird zunehmend düsterer und bald schon ist ganz in der Nähe das erste Donnergrollen zu hören. Wir packen zusammen und suchen in Saint-Florent, das hinten in einer weiten Bucht liegt, Zuflucht. Eine Stunde später setzt die Dämmerung ein. Es blitzt und donnert und regnet in Strömen.
Am nächsten Morgen steht bereits wieder die Sonne am Himmel. Perfekt, um das kleine, an seinem spitzen Glockenturm erkennbare Dorf zu erkunden und die runde, massive Genueser Festung zu bestaunen. Blumenbepflanzte Plätze, Brunnen, schmale Gassen mit verlo-ckenden Geschäften, in denen man Proviant besorgen kann, Cafés und Restaurants entlang der Hafenpromenade laden ein, hier etwas länger zu verweilen. Eingenommen vom Charme des Dorfes spazieren wir bis zur rund einen Kilometer entfernten romanischen Kathedrale. Wer noch mehr von dieser wunderbaren Region sehen möchte, sollte einen Abstecher ins benachbarte Nebbio machen. „Nebbiu“, wie die Einheimischen sagen, zählt zu den schönsten Gegenden der Insel.
Faszinierende Landschaften
Nördlich von Saint-Florent wartet die spektakuläre Küste des Cap Corse. Steile Klippen aus grau-grünem Schieferstein, lange, schwarze Sandstrände, Dörfer auf schwindelerregenden Anhöhen (wie Nonza) und kleine Fischerhäfen am Ende tiefer Täler, in denen hier und dort ein paar am Hang klebende Weiler auszumachen sind, geben ein atemberaubendes Bild ab. Alle Marinas sind Mistral- und Libeccio-geschützt und eignen sich gut für einen längeren Aufenthalt.
Wir werfen den Anker in der Nähe der Marina Giottani und ziehen dann weiter nach Centuri, dem man nachsagt, es sei die Perle des Caps. Die Geschichte des winzigen Hafens verliert sich im Dunkel der Zeit. Schon Ptolemäus soll den zu Römerzeiten als Centurinum Civitas bekannten Ort erwähnt haben. Aufgrund seines gut geschützt in einer Felsbucht gelegenen natürlichen Hafens und der günstigen strategischen Lage war Centuri schon früher sehr begehrt. Pascal Paoli, der Befreier der Insel, legte hier nicht von ungefähr das Waffenlager des befreiten Korsikas an. Die am Kai eng aneinandergedrängten Häuser mit ihren typischen Schieferdächern dürften sich nicht wesentlich von den Behausungen unterscheiden, die hier in den goldenen Zeiten der Region (18.–19. Jh.) standen, als am Cap Corse Wein, Zitronen, Öl und Holz gegen verarbeitete Produkte eingetauscht und Dutzende Schiffe für die Flotte des freien Korsikas gebaut wurden. Auf der Terrasse des Damms hat man bei Sonnenuntergang eine wunderbare Aussicht auf den Hafen und das gebirgige Hinterland. Sofern das Wetter mitspielt, sollten Sie sich unbedingt die Zeit für einen Landgang nehmen. Ansonsten kann man hier aufgrund der auflandigen Winde nur schlecht ausserhalb des Hafens ankern und im Hafen ist leider nur Platz für kleine Schiffe.
Wir legen früh ab, denn wir wollen nach Capraia und, wenn uns danach ist, irgendwo eine Pause einlegen. Als wir am treffend benannten Capo Grosso und seinem 127 Meter hohen Leuchtturm vorbeisegeln, entdecken wir plötzlich die Insel Giraglia mit ihrem unverkennbaren Leuchtturm. Er gehört zu den berühmtesten Seemarken im Mittelmeer. An Steuerbord passieren wir die Marinas von Tollare und Barcaggio. Unweit dieser beiden winzigen, von mächtigen Genueser Türmen bewachten Häfen erstreckt sich ein riesiger gelber Sandstrand. Er ist menschenleer und bietet sich bei schönem Wetter für einen Zwischenstopp an. Im Hintergrund hängen ein paar Dörfer am Berg, auf dem Windräder eine sich ständig bewegende Krone bilden. Auf der anderen Seite des Kaps gibt die Bucht von Sainte-Marie ein idyllisches Bild ab. Beim Anblick der reizvollen Kulisse aus Sandstrand, Kapelle, einem halb eingestürzten Steinturm auf einer Landzunge voll flacher Felsen und einigen auf dem Sand ausgestreckten Kühen gibt es für uns kein Halten mehr: Wir ankern und geniessen den Anblick in vollen Zügen.
Ockerfarbene Augenweide
Im Osten zeichnet sich die Insel Capraia am Horizont ab. Sie beschert uns den schönsten Landgang dieser Woche. Die alten Häuser im kleinen Hafen sind in den unterschiedlichsten Ockertönen gehalten und strahlen eine typische lateinische Fröhlichkeit aus. Weniger als einen Kilometer weiter versprüht der Hauptort einen zeitlosen Charme. Auch hier kann man sich in den ruhigen, mit überhängenden Bougainvillea geschmückten Gassen und den hübschen Kneipen verlieren. Und auch hier wacht am Rand einer Klippe eine imposante Genueser Festung. Nutzen Sie die Gelegenheit, die nahe am Hafen gelegene Kirche della Madonna und ihre eindrücklichen Votivgaben zu besichtigen. Fürs Nachtessen reservieren Sie am besten einen Tisch im Restaurant La Garitta. Angesichts der herausragenden Küche aus frischen Fischen und Meeresfrüchten und der freundlichen Bedienung sieht man gerne über den etwas nachlässigen Service hinweg.
Wehmütig verlassen wir die Insel und nehmen Kurs auf Portoferraio, die Hauptstadt Elbas. Ihr Name geht auf die Eisenminen zurück, die der Insel einst zu Wohlstand verholfen hatten. Aus der Ferne machen wir zunächst nur einen Leuchtturm und eine Festungsmauer auf einem Felsvorsprung aus, den man umrunden muss, um in die tief eingeschnittene Bucht zu gelangen. Erst auf der Höhe eines grossen Steinturms erblicken wir Portoferraio. Die erstaunlich kleine, ockerfarbene Stadt ist rund um mittelalterliche Docks angelegt. In Portoferraio herrscht eine fröhliche und lebhafte Atmosphäre, die ihren Höhepunkt bei der abendlichen Passeggiata erreicht. Dann sind alle Einheimischen unterwegs, schlendern durch die für den Verkehr gesperrten Strassen oder halten auf den Terrassen der Cafés am Hafen oder auf der Piazza Cavour ein Schwätzchen. Die monumentale Porta a Mare weist den Weg in die Altstadt. Sie besteht aus einem regelrechten Labyrinth aus engen Gassen. Geheime Durchgänge führen hinauf bis zu den höchstgelegenen Festungen. Dort oben steht auch die Villa dei Mulini, wo Napoleon sein erstes Exil verbrachte. Sie gibt einen tollen Blick auf das Hafenbecken und die Küsten der Insel frei.
Nach den ereignisreichen Tagen steht erst einmal eine längere Überfahrt bis in den Norden von Sardinien an. 110 Seemeilen liegen vor uns. Bei günstigem Wind segelt unsere Dufour zielstrebig vorwärts, während Elba langsam am Horizont verschwindet und im Westen langsam die Sonne untergeht.
Fortsetzung folgt…