Kaum ein anderes Volk ist so eng mit dem Meer verbunden wie die Färöer. Verschanzt auf 18 Felseninseln mitten im Nordatlantik lassen sie die ständigen Angriffe des Ozeans und des Himmels stoisch über sich ergehen. Die schroffen Felsen, gewundenen Fjorde und borealen Wiesen haben nicht nur die Landschaft, sondern auch die Menschen nachhaltig geprägt. Sie sind von einem ganz eigenen Schlag.
Text und Fotos: Christophe Migeon
Lange waren die Färöer ein banaler Stopp zwischen den norwegischen Fjorden und den isländischen Vulkanen. In Island, wo man sich gerne über die färöische Bevölkerung lustig macht, wird erzählt, die Wikinger hätten nach ihrem Aufbruch zur Atlantikeroberung auf den Färöern Halt gemacht, um die Seekranken dort abzuladen, bevor sie Richtung Island weiterzogen. Es wäre jedoch vermessen, die Bewohnerinnen und Bewohner dieser den reissenden Wellen zum Frass vorgeworfenen Inseln als Weichlinge zu betiteln. Auf dem 62. Breitengrad ist der Winter lang und die Sonne macht sich rar. Mit 260 Regentagen im Jahr, fünf bis zehn Tagen wolkenlosem blauem Himmel und einer ganzjährigen Luftfeuchtigkeit von knapp 90 Prozent kuriert man hier kein Rheuma. Gewöhnungsbedürftig ist auch der Wind, der aufgrund der fehlenden Erhebungen im Norden des Archipels seine ganze Kraft vom Nordpol her mitnimmt und mit bis zu 270 km/h über die Inseln fegt. In den nautischen Dokumenten wird die Beaufortskala hier nicht umsonst bis auf Windstärke 17 aufgestockt! Zum Glück wärmt der Golfstrom die raue Natur ein wenig. Ein Vergnügen ist das Segeln in den Färöern aber dennoch in den seltensten Fällen. Die schlechte Sicht, die Nebelbänke vor der Küste, die sich kreuzenden Wellenpakete und die Gezeitenströme, die in manchen Meeresarmen bis zu 12 Knoten erreichen können, machen die Fahrten immer wieder zur Belastungsprobe. Nichtsdestotrotz lohnt sich ein Törn, denn der Ort ist unbeschreiblich schön.
Papageientaucher-Eintopf
Von Norwegen her taucht im Nebel als erstes die östlichste Insel Fugloy auf. Ankern kann man vor Kirkja, einem der beiden Inseldörfer. Fugloy ist mit der Fähre von Borõoy mit dem Rest der Welt verbunden – zumindest, wenn das Wetter es zulässt. «Vor sechs Jahren konnte Schiff drei Wochen lang nicht anlegen», erinnert sich Jogvan Paulsen, einer der sieben Einwohner von Kirkja. Um das fehlende Licht im Winter auszugleichen, liess sich der pensionierte Fährpilot Vitamin D verschreiben. Im Sommer drückt die Sonne kaum je durch und scheint höchstens vier Stunden am Tag in einem trüb-milchigen Licht. In Hattarvík, dem anderen Dorf auf der gegenüberliegenden Seite der Insel, ist nicht viel mehr los. Teitur Árnason renoviert dort das über den Wellen thronende Sommerhaus seiner Eltern. Er will daraus eine Künstlerresidenz machen. Flugloy, das übersetzt «Vogelinsel» bedeutet, hat ihren Namen erhalten, weil hier eine der grössten Papageientaucherkolonien des Archipels lebt. Auf den Färöern ist die Papageientaucher-Jagd Tradition, man muss sich die Alkenvögel aber hart verdienen. Mit dem Feygastong, einer Art langem Kescher, balanciert man den steilen Wänden entlang und riskiert dabei Kopf und Kragen. Viele Feinschmecker haben sich bei der Suche nach der Delikatesse bereits das Genick gebrochen. «In den 1990er-Jahren konnte man in einem Sommer locker 10 000 Vögel fangen», erzählt Teitur. «Für das Essen zum 25. Hochzeitstag meiner Eltern habe ich es auf 400 gebracht. Pro Person rechnet man mit zwei Vögeln, die gekocht oder gebraten gegessen werden. Das Fleisch ist fast schwarz, sehr fettarm und schmeckt leicht nach Fisch.» In den letzten Jahren sind die Populationen gesunken, obwohl brütende Altvögel geschützt sind. Die Behörden haben daher die Jagdperiode auf den Monat Juli und die erste Augustwoche beschränkt.
Von einem Cairn zum nächsten
An diesem Morgen weht der Wind aus Südwesten und über dem südlichen Archipel hat sich eine Wolkendecke gebildet. Bei solchen Verhältnissen bleibt man besser im Norden und steuert die nördlichste Insel Viõoy an. Folgsam haben sich die über den Wellen verstreuten Nebelschwaden am Fuss der Klippen zu einer zahmen Herde zusammengefunden. Pyramidenförmige, von Felsschichten durchzogene Berge erheben sich zwischen weiten, grünen Talkesseln. Der Villingadalsfjall, der dritthöchste Berg des Archipels, kann vom Dorf Viõareiõi aus bestiegen werden. Wie so oft auf den Färöern muss man Wegzoll bezahlen, weil sich das Grundstück in Privatbesitz befindet. Der Eigentümer hat eine hübsche Holzkiste aufgestellt, wo man das Geld einwerfen kann. Um einen 200-DKK-Schein leichter (immerhin rund 30 Euro!) kann es losgehen. Der Pfad sieht aus wie mit dem Lineal gezogen. Skandinavier mögen keine Kurven. Schnurgerade, aber steil führt der Weg bergauf. Zunächst ist er mit blauen Rohrstücken gekennzeichnet, dann nur noch rund alle fünfzig Meter mit kleinen Steinhaufen. «Diese Cairns sind die Seele der Färöer, ohne sie stirbst du», meint Reiseführer Rani Nolsøe bedeutungsvoll. Das mag übertrieben klingen, aber bei Nebel können sie tatsächlich einen Sturz von den Klippen verhindern. «Wenn du im Nebel den nächsten Steinhaufen nicht siehst, seilst du dich am Steinhaufen neben dir an und suchst den nächsten, bevor du zurückkehrst und das Seil löst», erklärt Rani.
Verborgene Wesen
Ein Sturz ist nicht die einzige Gefahr, die Wanderern droht. In den färöischen Bergen muss man vor dem Huldufólk auf der Hut sein. Die sagenhaften Naturwesen bleiben meist unsichtbar und doch sind sie nie weit. Manchmal sind sie den Menschen gut gesinnt, meist aber zu Streichen aufgelegt, für die sie sich aus ihren Verstecken unter der Erde oder zwischen Felsen wagen. «Wenn du in den Bergen auf ein hübsches Mädchen triffst und sie dich auffordert, ihr zu folgen, lauf weg», rät Rani. «Die elfenartigen Geschöpfe sehen aus wie Menschen, haben schwarze Haare und sind grau gekleidet. Vor allem aber sind sie sehr launisch und aufbrausend. Auch heute noch nehmen die meisten von uns lieber einen Umweg in Kauf, als dass sie einen Stein antippen, hinter dem die reizbaren Wesen hausen könnten.» Wie tief verwurzelt der Glaube an diese Naturgeister bei den Einheimischen ist, zeigt Ranis Anekdote. «Ein Mann, der noch nicht lange auf Flugloy lebte, beschloss, auf einer Wiese Kartoffeln anzupflanzen», erzählt er. «Die Alten wussten, dass das Huldufólk dort sein Unwesen trieb. Sie warnten ihn vergeblich. Der Mann starb sechs Monate später an Krebs!»Auch die Christianisierung, die bereits im 11. Jahrhundert einsetzte, konnte den Aberglauben, der von den norwegischen Fjorden und dem irischen Hochmoor auf die Färöer gelangt war, nicht austreiben. Früher wurde mit dem Huldufólk Unerklärliches, wie das Verschwinden von Schafen oder ein plötzlicher Tod, erklärt. Heute tun die Färöer so, als würden sie sich darüber lustig machen, im Geheimen achten sie aber darauf, die Fabelwesen nicht zu verärgern.
Schweiss und Blasen
Der Nebel ist voller Geheimnisse und eine unerschöpfliche Inspirationsquelle. So auch für den Maler Livar Nysted, der in Klaksvík, der zweitgrössten Stadt der Färöer, lebt. Im Hafen vor seinem Haus schaukeln Fischkutter und Fähren neben traditionellen, nach Art der Wikinger in Klinkerbauweise gefertigten Booten. Bug und Heck sind verjüngt und nach oben gerichtet. Die Boote sehen aus wie kleine Drakkar-Koggen – robust, erstaunlich seefest und leicht zu rudern. Ruderregatten sind im Archipel wichtige Ereignisse. Sie reichen in eine Zeit zurück, in der sich die Fischer bei ihrer Rückkehr von der hohen See nochmals richtig ins Zeug legten, um als erste das Land zu erreichen. An St. Olaf, dem Nationalfeiertag am 28. Juli, werden Wettkämpfe veranstaltet, auf die die Sechser- oder Achter-Ruderer praktisch das ganze Jahr, bei jedem Wetter und in jedem Hafen, trainieren. Gerade gleitet ein solches Boot durch das dunkle Wasser des Fjords. Die Ruder mit den schmalen Schaufeln beissen sich gierig in die Oberfläche. Die Männer fluchen, schreien, das Boot aber läuft ruhig. Wenn Livar Nysted nicht hinter seiner Staffelei steht, setzt er sich ebenfalls hinter die Ruder. Er begnügt sich allerdings nicht mit den Küsten des Archipels. Nysted wagt sich aufs offene Meer, wo er mehrere Rekorde hält. So hat er als erster Mensch zwei Ozeane im gleichen Jahr rudernd überquert. In den letzten zwanzig Jahren hat er sich auf den meisten Weltmeeren die Finger wund gerudert und seinen Job so gut gemacht, dass er heute bei Expeditionen dafür bezahlt wird. «Letztes Jahr bin ich in 53 Tagen von Portugal nach Guyana gerudert. Dabei hätte ein weisser Hai das Boot um ein Haar zum Kentern gebracht», erzählt der Maler. Hat er manchmal auch Angst? «Natürlich, sehr oft», sagt er. «Wenn du in einem Sturm in einer Nussschale herumgeschüttelt wirst und nicht um dein Leben fürchtest, stimmt etwas nicht. Aber man muss harte Zeiten durchmachen, um die guten zu schätzen.»
Zeit zu sterben
Zur Nachbarinsel Kulsoy gelangt man nur auf dem Seeweg. Da es weder eine Brücke noch einen Tunnel gibt, konnten sich die Ratten dort nicht ausbreiten. Ein Glücksfall für Seevögel, die noch zahlreicher sind als auf den anderen Inseln. Eissturmvögel fliegen dicht an den Klippen entlang. Jahrelange Übung hat aus ihnen echte Akrobaten gemacht. Wenn sie sich bedroht fühlen, spucken sie einen ölhaltigen, bestialisch stinkenden Brei aus halbverdauten Fischen bis zu einem Meter weit auf ihre vermeintlichen Feinde. Man hält sich also besser von den Nestern fern. Zwischen den Dörfern Mikladalur und Trøllanes im Norden der Insel verläuft ein schwindelerregender Wanderweg genau über der Brandung, die mit voller Wucht gegen die Küste klatscht. Der Weg führt über Berghänge. Jahrtausendelange Erosion hat sie stufenförmig ausgewaschen. Hinterhältig zwingt einem der böige Wind immer wieder in die Hocke. Schliesslich erreicht man vor Trøllanes die Talsohle mit ihren sanften Wiesen. Danach geht es weiter in Richtung der Landspitze Kallur mit ihrem kleinen weissen Leuchtturm, der sich über dem Abgrund festzuklammern scheint. Zwischen zwei Angriffen von schlecht gelaunten Raubmöwen erspäht man am Rand der Klippen eine Grabstele im Gedenken an … James Bond! Genau hier in Kallur beendete ein Raketenhagel am Ende von No time to die die Karriere von 007. Requiescat in pace.
Reise-Infos
Anreise
Entweder man fährt mit der Fähre von Smyril Line, die Dänemark mit Island verbindet, auf die Färöer (smyrilline.de, ca. 30 Stunden) oder man fliegt von Paris mit der färöischen Fluggesellschaft Atlantic Airways (atlanticairways.com, 2,5 Stunden Flug, ab 450 € für Hin- und Rückflug).
Beste Reisezeit
Die meisten Besucherinnen und Besucher bereisen die Färöer zwischen Ende Mai und August, wenn die Tage am längsten und sonnigsten sind. Allerdings regnet es auch im Sommer fast jeden zweiten Tag, daher unbedingt die nötige Ausrüstung einpacken! Im Winter fallen die Temperaturen dank des Golfstroms nie unter –10°C.
Währung
Auf den Färöern wird mit färöischen und dänischen Kronen (DKK) bezahlt. Der Kurs ist identisch. 1 DKK = 0,1344 €. Brauchen Sie vor Ihrer Abreise alle Ihre färöischen Banknoten auf! Sie können praktisch nur auf den Inseln umgetauscht werden.
Übernachten
Das Hotelangebot ist spärlich und konzentriert sich auf die beiden grossen Städte Tórshavn, Klaksvík und auf die Nähe des Flughafens. Die Hotels sind ziemlich teuer. Im Hilton Garden Inn in Tórshavn (130 Zimmer) zum Beispiel kostet eine Übernachtung in der Hochsaison zwischen 3000 und 4000 Kronen. Man sollte möglichst frühzeitig buchen. Airbnb-Vermietungen findet man auch in kleineren Dörfern. Bed & Breakfasts sind hingegen Mangelware.Ein Geheimtipp ist das Heima i Stovu in Suõuroy (heimaistovu.fo), ein altes Familienhaus aus dem Jahr 1910, das sich noch im Originalzustand befindet und bereits von der sechsten Generation geführt wird (995 DKK pro Nacht und Person, inkl. Frühstück).
Herumreisen
Vor Ort kann man fast überall mit dem Bus hinfahren.Es gibt einen 4- und einen 7-Tage-Pass (500 bzw. 700 DKK), der auch die Fähren (ausser der Fähre nach Mykines) einschliesst. Sie
verkehren zwischen praktisch allen Inseln, die nicht über eine Strasse miteinander verbunden sind. Ebenfalls vorhanden sind lokale und internationale Autovermietun Die Automiete ist nicht gerade günstig und man sollte lange im Voraus buchen. Für die grossen Unterwassertunnels fallen Gebühren an, die bei jeder Durchfahrt von Neuem zu entrichten sind. Der Tunnel zwischen Vágar und Streymoy kostet rund 100 DKK, derjenige zwischen Stremoy und Esturoy rund 175 DKK. Bezahlt werden muss per Internet (tunnil.fo) eine Woche im Voraus. Planen Sie Ihre Reise daher gut!
Die Färöer auf dem Wasserweg
Für massgeschneiderte Reisen und/oder Törns:
My Charter, info@mycharter.ch, mycharter.ch
Maison Fert, i.chartier@fert.ch, fert.ch
Weitere Sehenswürdigkeiten an Land
Auf Vágar: Sørvágsvatn-See. Dieser «über dem Meer hängende» See ist wahrscheinlich der berühmteste Ort auf den Färöern. Er liegt nur gerade 6 Kilometer vom Flughafen entfernt. Es werden jedoch 200 DKK Wegzoll verlangt. Bis zum Aussichtspunkt Trælanípa Zeit braucht man zu Fuss rund eine Stunde, danach steigt man die Klippen hinab und befindet sich dann auf Augenhöhe mit dem sich ins Meer stürzenden Wasserfall Bøsdalafossur.
Auf Vágar: die kleine Insel Tindhólmur. Vor dem bei Touristen sehr beliebten Dorf Bøur liegt eine erstaunliche kleine Insel, die entstanden ist, als ein Teil des Gebirges ins Meer stürzte. Es werden geführte Touren zu dem schroffen Eiland angeboten (guidetofaroeislands.fo/bookholiday-trips/tindholmur-islet-tour, 800 DKK pro Person für 3 Stunden), während denen man eine der grössten Papageientaucherkolonien des Archipels und eine grandiose Landschaft bewundern kann.
Kontakt
Fremdenverkehrsamt der Färöer:
Visit Faroe Islands: visitfaroeislands.com
Infos über Wandermöglichkeiten: whatson.fo/hiking