Text: Quentin Mayerat
Fotos: Joseph Favre
Die kleinen Antillen sind im hiesigen Winter ein abwechslungsreiches Törnparadies. Mit unserem Schiff, einer bei Open Sail in Martinique gecharterten Pogo 12.50, kommen wir überall hin. Das Wetter soll gut werden und auch Passat ist gemeldet. Bei diesen Bedingungen können wir mit durchschnittlich 10 Knoten stattliche Strecken zurücklegen. Nichts wie los!
Wir haben die Qual der Wahl. Die Kleinen Antillen kennen kaum Grenzen, so gross ist das Revier. Egal, ob nordwärts nach Guadeloupe oder südwärts zur Inselkette der Grenadinen, die Möglichkeiten sind schier unendlich. Unser Abenteuer beginnt auf Martinique, im Hafen von Le Marin. Hier stranden die meisten Fahrtensegler nach ihrer Atlantiküberquerung so- wie einige hartgesottene Regatteure im Anschluss an die Jacques Vabre. Prompt entdecken wir ein paar Class 40 der neusten Generation, die auf ein Wetterfenster für ihre Rückfahrt zum alten Kontinent warten. Auch unsere Pogo ist eine Class 40, nur in einer gutmütigeren Ausführung und mit weitaus mehr Komfort als die minimal ausgestatteten Offshore-Racer. Unsere Durchschnittsgeschwindigkeit entspricht genau diesem stimmigen Kompromiss zwischen Wohnlichkeit und Leistung.
Am Abend vor dem Ablegen besprechen wir bei einem obligaten Ti’punch das Törnprogramm. «Warum segeln wir nicht nach Grenada?», schlägt jemand vor. «Wir könnten in einem Schlag dorthin gelangen und dabei Hochseeluft schnuppern», bemerkt der Skipper. Wir werden uns schnell einig. Morgen soll es losgehen, bei kräftigem Passat wollen wir 180 Seemeilen entlang des Antillenbogens absolvieren.
Luv- oder leewärts?
Wer die Antillen kennt, weiss um das Dilemma, das sich Törnseglern stellt: lieber im Luv der Inseln steifen Wind in Kauf nehmen oder im Lee mühselige Flaute riskieren? Da wir es kaum erwarten können, unserer prächtigen Jacht die Sporen zu geben, entscheiden wir uns für die sportlichere und unbequemere Variante. Im Gegensatz zu einer Atlantiküberquerung wird bei Passat in den kleinen Antillen nicht vor dem Wind, sondern meist bei halbem Wind gesegelt. Je nach Route und Winkel des Windes kann aber trotzdem der Vorwindkurs die Regel sein. Das war auch bei uns nicht anders, bereits den Saint-Lucia-Kanal durchquerten wir mit achterlichem Passat. Man sollte sich allerdings vor der Strömung in Acht nehmen, denn die erweist sich oft stärker als vermutet. Am besten segelt man daher zuerst hart am Wind. Der Norden von St. Lucia liegt nur 30 Kilometer von der Südspitze Martiniques entfernt. Wer nicht vorausschauend navigiert, läuft Gefahr, der Küste plötzlich etwas zu nah zu kommen.
Da Wellengang und Wind bei Einbruch der Dun- kelheit zunehmen, belässt es der Vercharterer bei einem Express-Briefing. Unser Boot, das bei Atlantiküberquerungen jedes Jahr Tausende von Seemeilen zurücklegt, kommt problemlos voran. Mit einem Reff im Grosssegel schneidet es bei 25 Knoten Wind souverän durch die Wellen. Als wir St. Lucia endlich an Steuerbord lassen, frischt der Wind auf und die Wellen kommen allmählich aus der richtigen Richtung. Die Pogo nimmt Fahrt auf und beschert uns eine Menge wilder Surfs. In der dunklen Nacht sind alle Sinne geschärft, man hat das Gefühl, viel schneller unterwegs zu sein als in Wahrheit.
Auf unserer Karte ziehen die Inseln vorbei. Wir fressen Meilen und passieren mühelos die Felsinseln mit Namen, die jedem Segler vertraut sind: St. Vincent, Bequia, Moustique usw. Sternschnuppen begleiten unsere Jacht auf dem Weg zu ihrem Ziel. Im Morgenlicht offenbart die traumhafte Umgebung ihre ganze Schönheit. Die ungläubigen Gesichter der Crewmitglieder an Deck sprechen Bände. Sie lassen den Blick in die Ferne schweifen, wo die Morgendämmerung das Paradies in ein bezauberndes Licht taucht und stellenweise das Unterwassergebirge preisgibt. Seine über die Wasseroberfläche ragenden Gipfel heissen Mayreau, Union, Carriacou und Ronde Island. Der Wind wird stärker, sodass wir bis in St. George’s, der Hauptstadt von Grenada und südlichstem Punkt unserer Reise, unter Gennaker segeln.
Rasta Grenada
Grenada ist als Gewürzinsel bekannt. Hier wachsen Nelken, Kurkuma und vor allem die begehrte Muskatnuss, hinter der schon die Kolonialherren her waren. Heute leben etwas mehr als 100 000 Menschen auf der Insel. Ihre durch die vielen Vulkane zerklüftete Landschaft gleicht einer Achterbahn. Grenada erlangte 1974 seine Unabhängigkeit, vier Jahre später kam es zu einer kommunistischen Revolution. 1983 brachte der Weltpolizist USA den Inselstatt mit einer Luftoperation wieder auf den «richtigen Weg». Da Ronald Reagan mit allen Mitteln versuchte, dem Einfluss Moskaus entgegenzuwirken, verhängte er einen Boykott gegen Grenada. Der Inselbevölkerung blieb nichts anderes übrig, als sich mit dem Kapitalismus zu arrangieren. Inzwischen ist die moderne Marina von St. George’s fest in der Hand der Superjachten. Wir machen lieber an einer Ankerboje vor der Küste fest. Zwar ist der Liegeplatz etwas rollig, dafür praktisch und günstig.
Die hohen Gipfel der Insel und die üppigen Wälder rufen. Am Jachthafen werden wir von bunten Taxis abgefangen. Ihre Eigentümer preisen lautstark Tagesausflüge an. Beschallt von Reggae-Musik machen wir uns auf den Weg zum Mount Qua Qua, dem zweithöchsten Gipfel der Insel. Von seinen 713 Metern bietet sich ein atemberaubender Ausblick. Die Besteigung ist für Gross und Klein gut machbar. Es lohnt sich, im Nationalpark Grand Etang die Augen gut offen zu halten, die Chancen stehen gut, dass man dort dem einen oder anderen schelmischen Primaten begegnet. Wenige Kilometer vom Ausgangspunkt unserer kurzen Wanderung entfernt er- wartet uns ein weiteres Highlight. Wir kämpfen uns durch den Dschungel bis zu den Seven Sisters – sieben Wasserfälle, die man der Reihe nach herunterspringen kann. Wer nicht ganz so viel Mut hat, kann auch einfach in den Becken baden.
Karibik-Feeling in Carriacou
Nach zwei Tagen, an denen wir die Umgebung von St. George’s erkundet haben, machen wir etwas wehmütig die Leinen los. Die belebten Strassen, der Markt, die betörende Natur, die freundlichen Menschen und ihre Musik lassen uns erahnen, welche Möglichkeiten ein längerer Aufenthalt auf der Hauptinsel von Grenada bieten würde. Wir setzen unsere Fahrt hart am Wind Richtung Carriacou fort. Dabei versuchen wir, möglichst nah – aber nicht zu nah – an den Inseln vorbeizufahren, um einen Blick auf die kleinen Garten Eden zu erhaschen. Kurz vor Sonnenuntergang ankern wir in Tyrell Bay, dem grossen Ankerplatz von Carriacou. Beim Anblick der vielen Jachten in der Bucht kann einem schwindlig werden, doch vom Land aus gesehen ergibt sich ein ganz anderes Bild. Vor uns liegt das karibische Klischee schlechthin. Gönnen Sie sich in einem der vielen Strandbars einen Drink und lassen Sie die Idylle auf sich wirken. Wenige Meter vom Ufer entfernt liegen unzählige malerische Boote vor Anker, einige wohl schon seit geraumer Zeit. Auch hier ist überall der King of Reggae zu hören. Möchtegern-Marleys verleiten mit ihrem mitreissenden Rhythmus Touristen und Einheimische, bis in die Nacht hinein das Leben zu feiern.
Tyrell Bay bietet zwar optimalen Schutz vor Wind und Wetter und ausgelassene Stimmung, die natürlichen Schätze von Grenada liegen aber weiter nördlich. Wir lichten den Anker und fahren unter Motor die 800 Meter nach Sandy Island, einer rund 150 Meter langen, von Korallen gesäumten Sandzunge vor Carriacou. Das winzige, von ein paar wenigen Kokospalmen bewachsene Stück Land kommt dem Paradies ganz nahe, ist daher aber auch oft überfüllt. Am besten macht man an einer Ankerboje fest, denn so schont man den ungewohnt artenreichen Meeresboden. Sandy Island ist zwar vor der Brandung, nicht aber vor dem Wind geschützt – etwas mühsam für Segler, aber ein Traum für Kiter, Wingfoiler oder Windsurfer.
Wie aus dem Reiseprospekt
Wir segeln weiter nordwärts. Bis zu St. Vincent und den Grenadinen ist es nicht mehr weit. Entschlossen peilen wir zwei sich gegenüberliegende Inseln nordöstlich von Carriacou an: Petite Martinique und Petit St. Vincent. Diese nur 500 Meter voneinander entfernten Schwesterninseln haben sehr wenig gemeinsam. Auf Petite Martinique führen 900 Menschen ein gemächliches Leben im Einklang mit der Natur. Auf Petit St. Vincent hingegen befindet sich ein Hotelkomplex. Die Insel ist privat, versuchen Sie also nicht, mit Ihrem Dinghi zu stranden. Unbefugte werden von den schleunigst alarmierten Sicherheitskräften bestimmt vom Gelände verwiesen. Geduldet werden Sie nur, wenn Sie bereit sind, 100 Dollar pro Tag und Person zu berappen.
Trotz allem gehört der Ankerplatz an der Südküste der Insel zum Schönsten, was wir auf unserem Törn gesehen haben. Die beiden Inseln bilden eine riesige Lagune, die im Nordwesten von der berühmten Insel Morpion begrenzt wird. Man kennt die wunderschöne kleine Sandbank mit ihrem einzigen strohgedeckten Schirm aus den Werbeprospekten. Das gigantische Korallenriff birgt aber noch tausend weitere Schätze. Einer davon ist der harmlose Riffhai. Tiefenentspannt schwimmt er zwischen den Cays hin- und her, während wir uns vor lauter Aufregung kaum einkriegen. Nach 48 Stunden ist es an der Zeit, wieder ein paar Seemeilen nach Norden zu absolvieren, schliesslich warten dort die Ankerplätze von St. Vincent, die vielbesungenen Tobago Cays. Seit wir in Grenada aufgebrochen sind, haben wir keinen Segler getroffen, der nicht auch dorthin wollte. Ob sie ihrem Namen gerecht werden?
WIE AUS DEM BILDERBUCH: SANDY ISLAND
VORSICHT VOR STÜRMEN, DIE IN DIESER JAHREZEIT
HÄUFIG AUFTRETEN. HIER IN DER BUCHT VON ST. GEORGE’S.
Vorsicht Starkwind!
Nach einem Abstecher nach Union, wo wir die obligaten Zollformalitäten erledigen, steuern wir direkt die berühmten Tobago Cays an. Wir haben uns vorgenommen, dort zwei Tage die Seele baumeln zu lassen. Die fünf kleinen Inseln soll eines der schönsten Korallenriffe der Karibik umgeben. Natürlich scharen sich hier viele Segler, vor allem am grössten Ankerplatz Petit Bateau. Wir vertäuen unser Boot an einer Boje in Petit Rameau, an der Schnittstelle der drei Hauptinseln. Vor Ort bieten die Boat Boys, eine Art Verkäufer und Anlegehelfer in einem, ihre Dienste an. Mit viel Nachdruck versuchen sie für Touristen in einem der zahlreichen «Lobster Barbecues» am Strand einen Tisch zu reservieren. Wenn sie zu aufdringlich werden, einfach freundlich, aber bestimmt abweisen. Wir kaufen unsere Langusten selbst ein und kochen sie an Bord. Einfach nur köstlich! Am letzten Morgen auf den Grenadinen lassen wir es uns nicht nehmen, bei einem ausgiebigen Bad nochmals die faszinierende Unterwasserwelt zu bestaunen. Rochen und Schildkröten leisten uns Gesellschaft. Den Kopf voller Erinnerungen machen wir unsere Pogo 12.50 bereit für die Überfahrt. Aus lauter Neugierde segeln wir diesmal im Lee der Inseln. Tatsächlich ist das Meer dort flach, das Boot ruhig und die Flaute auch weniger schlimm als erwartet. Das nächste Mal entscheiden wir uns von Anfang an für diese Route!
BLICK VON PETITE MARTINIQUE AUF PETIT ST. VINCENT
Praktische Infos
Beste Reisezeit:
Am besten eigenen sich die Kleinen Antillen für Törns von Ende November bis März. Dann weht ein konstanter, teilweise kräftiger Passatwind. Nehmen Sie sich vor Stürmen in Acht, unberechenbare Wolken können überdurchschnittlich starken Wind mitbringen.
Anreise:
Die meisten Flüge ab Zürich und Genf mit Air France oder Air Caraibes führen über Paris. Je nach Zwischenstopp dauert die Reise 12 bis 15 Stunden.
Chartern bei Open Sail
Das französische Unternehmen Open Sail verchartert hochseetaugliche Boote. Sie sind auf Offshore-Bedingungen zugeschnitten und mit entsprechender Sicherheitsausrüstung, Segelgarderobe und den passenden Beschlägen ausgestattet. Im Winter ist die Flotte in Martinique stationiert, im Sommer im Mittelmeer oder auf dem Atlantik. Besonders stark vertreten sind die Marken RM, TS, Pogo und Neel. Diese Saison bietet Open Sail neu einen ORC 57 an, allerdings mit Skipper, denn der Katamaran erfordert besondere Steuerkenntnisse. Infos: open-sail.com
Für massgeschneiderte Reisen und/oder Törns:
Maison Fert, info@fert.ch, fert.ch
Gut zu wissen
Informieren Sie sich im Voraus über die Inseln, auf denen die Zollformalitäten durchgeführt werden können. Das sogenannte Clearing ist sowohl bei der Einreise in die verschiedenen Staaten wie bei der Ausreise obligatorisch. Je nach Andrang und Organisation der Büros muss mit Wartezeiten gerechnet werden. Allgemein gilt: Bringen Sie genügend Zeit mit. Lassen Sie den Stress zuhause, Sie sind im Paradies!