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Mitten im Indischen

von Quentin Mayerat

1841 machte sich ein 20-Jähriger auf Afrika und den Orient zu erkunden. Auf seiner Reise ging er auf der Insel Bourbon (dem späteren La Réunion) an Land und setzte einige Zeit später zur Nachbarinsel Mauritius über, wo er sich gut zwei Monate aufhielt. Diese Reise sollte nicht nur ihn selbst, sondern auch sein Werk nachhaltig prägen. Sein Name: Charles Baudelaire. Heute, knappe zwei Jahrhunderte nach der Reise des illustren französischen Literaten, des-sen Schoner bei einem Sturm vor dem Kap der Guten Hoffnung beinahe gekentert wäre, kann man die starken Gefühle des Poeten problemlos nachempfinden: „…Es war ein wunderschönes, berauschendes Stück Erde“, schrieb er. „Es schien, als ob sich die Musik des Lebens in kaum vernehmbaren Gemurmel in die Lüfte erhob und die an der Küste gedeihenden Blumen und Früchte ihren Duft meilenweit verströmten.“ Der kleine Flecken mitten im Indischen Ozean hat seit langem schon Magnetwirkung. Seine landschaftliche Schönheit, die sonnigen Strände und die traumhaften Lagunen sind aber nur ein Teil seiner Reize, denn Mauritius hat noch ganz andere Schätze zu bieten.

Auf offenem Meer

Bei herrlichem Licht treibt uns ein sanfter Passatwind geräuschlos aufs offene Meer hinaus. Wir haben am frühen Morgen in Cap Malheureux den Anker gelichtet, die Insel Coin de Mîre backbord liegen gelassen und Kurs in Richtung Norden genommen. Jetzt befinden wir uns bereits weit draussen, keine Menschenseele weit und breit. An Bord der gemütlich dahingleitenden Lagoon 38 Ti’Camouad finden wir problemlos unseren Rhythmus. Man könnte schwören, die Zeit vergehe langsamer. Wahrscheinlich stimmt das sogar. Wir orientieren uns nicht mehr nach unseren Uhren, sondern nach dem Wind, dem Geräusch des Wassers, das gegen den Rumpf schlägt, und dem Horizont. Ti’Pti, unser mauritianischer Skipper, hält das Ruder, während Gilbert die Angel auswirft. In der kommenden Woche wird sich herausstellen, dass die beiden nicht nur hervorragende Crewmitglieder, sondern auch begnadete Köche sind. Einige Stunde später haben wir unseren Ankerplatz zwischen der Ile Plate und dem Ilot Gabriel erreicht. Ein verheissungsvoller Name, der sein Versprechen hält. Wir sind allein, inmitten der unendlichen Weite des Indischen Ozeans. Das Wasser ist 26 Grad warm, die Aussicht umwerfend und unser Programm von entwaffnender Schlichtheit. Wir werden mindestens bis morgen Abend hier verweilen und dann Richtung Norden bis zur Ile Ronde und zur Ile Serpent weitersegeln, bevor es wieder zurück nach Grand Baie geht. Zum Schluss werden wir die Pointe du Morne an der Südwestspitze der Insel ansteuern. Auf die Ostküste verzichten wir bei diesem Törn. Sie ist dem Wind und dem Wellengang der offenen See viel stärker ausgesetzt, bietet kaum geschützte Ankerplätze und ist aufgrund des allgegenwärtigen Korallengürtels nicht ganz einfach zu segeln.

Die Küste unter dem Wind

Nach der ersten Nacht an Bord verlassen wir das Ilot Gabriel und brechen zu den beiden nordöstlich gelegenen Inseln auf. Am Morgen spielt der Passat noch nicht mit, danach zeigt er sich aber kooperativ. Stress ist an Bord ein Fremdwort. Segeln vor Mauritius ist Glück pur. Mit dem leichten Wind kommt man problemlos zurecht und die Umgebung aus Traumstränden und einladenden Buchten ist umwerfend. Wir wussten bereits im Vorfeld des Törns, dass die Qualität der Liegeplätze mindestens genauso wichtig sein würde wie der Kurs. Wir wollten nicht einfach nur segeln, sondern das Meer richtig geniessen. Eine gute Kenntnis der Küste ist da allerdings Voraussetzung, denn die Einfahrt in die Buchten gestaltet sich zuweilen etwas schwierig. Ein mauritianischer Skipper mit einer Pleasure Craft Licence ist auf Charterbooten deshalb auch gesetzlich vorgeschrieben. Am nächsten Tag machen wir einen kurzen Zwischenhalt in Port Louis. Die Stadt hat sich seit meinem ersten Aufenthalt Ende der Achtziger stark verändert. Sie ist moderner geworden. Dem Markt, auf dem sich eine bunte Menschenmenge zwischen überbordenden Gewürz-, Frucht- und Stoffauslagen drängt, konnte der Fremdenverkehr jedoch nichts anhaben. Er ist immer noch ein Erlebnis. Da sich die wichtigsten Sehenswürdigkeiten weiter südlich befinden, setzen wir unsere Route fort. Im Lauf der Tage bläht dann endlich auch der ersehnte Wind die Segel. Eines Abends – wir haben in einer kleinen Bucht festgemacht und trinken im Hochseefischerclub ein einheimisches Bier – taucht ein Franzose mit einem imposanten Schwertfisch auf. Schnell wird die Kamera gezückt und der Angler mitsamt prächtigem Fang für die Nachwelt festgehalten. Die Schwarz-Weiss-Fotos an der Wand erzählen von weiteren wundersamen Beutefängen der vergangenen Jahrzehnte. Wir segeln weiter Richtung Süden und legen schliesslich in Tamarin an. Das Dorf erlangte in den 70er-Jahren internationale Bekanntheit, als der Surffilm Santosha eine sich dort aufbäumende Traumwelle zeigte. Die Bilder gingen um die Welt. Die Welle gibt es heute noch, doch leider rollt sie nur noch selten in der damaligen Pracht. Da das Dorf fernab von den Touristenrouten liegt, hat es sich kaum verändert. Eindrücklich richtet sich im Hintergrund das Inselgebirge auf. Es gipfelt im über 800 Meter hohen, matterhornähnlichen Piton de la Rivière Noire. Wir verbringen die Nacht in Tamarin und segeln weiter nach Rivière Noire. Auf offener See begegnen wir einem Delfinschwarm. Aus den gleichen Gründen wie in Tamarin hat das Dorf seine Authentizität gewahrt. Wir kaufen für ein paar wenige Rupien mit Fisch gefüllte Maultaschen und Tintenfisch-Sandwichs und schauen den Kindern beim Fussballspielen zu.

Le Morne und der Inselkern

Wir erreichen den Morne Brabant, einen 555 Meter hohen Felsen, der auf eine riesige und unvergessliche Lagune hinunterblickt. Früher diente der Felsen entflohenen Sklaven als Versteck. Ein Abstecher hierher ist ein Muss. Seit rund zehn Jahren, als die gewaltige Welle „One Eye“ in der Windsurf-Szene Berühmtheit erlangte, ist Le Morne ein bekannter Surfspot mit internationalem Ruf. Inzwischen haben auch die europäischen und amerikanischen Kiteboarder den Spot entdeckt. Die besten drehen hier Wave-Riding-Videos. Ganz so waghalsig sind wir mit unserer Lagoon nicht. Über einen schmalen Durchgang fahren wir in die Lagune ein. Die Bootsbreite und der Tiefgang sind an der Grenze des Akzeptablen, aber wir haben Glück. Wir nutzen die Gunst der Stunde und drücken wie wild auf den Auslöser. Nachdem die Fotos im Kasten sind, gehen wir von Bord und erkunden die noch naturbelassene Südküste. Ob sie angesichts des starken Drucks der Immobilienhaie noch lange so bleiben wird, ist zweifelhaft. Nach zwei Tagen und zwei Nächten machen wir uns auf nach Mahébourg, dem ehemaligen Handelshafen im Südosten der Insel. Danach geht es weiter nach Currepipe. Das Hinterland von Mauritius hätte es verdient, dass man sich hier genauso lange aufhält wie an der Küste. Die Insel birgt unzählige Naturschätze und zeugt noch immer von den verschiedenen Einflüssen der Araber, Holländer, Engländer, Franzosen und anderer Eroberer. Alle haben sie diese Insel geprägt. Mauritius ist ein Melting Pot orientalischer, westlicher und indischer Kulturen. Inder, Kreolen, Araber, Franzosen und Chinesen teilen sich die 65 km lange und 45 km breite Landfläche friedlich. Es werden rund zehn Sprachen gesprochen und fast genauso viele Religionen praktiziert. Und, besonders wichtig: Die mehrheitlich indische Bevölkerung ist sehr offen und gastfreundlich.

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