1400 Kilometer von Australien und ebenso weit von Neuseeland entfernt kultiviert die neukaledonische Hauptinsel Grande Terre unbeschwerte Abgeschiedenheit. In der sie umgebenden Lagune bescheren Törns und Tauchgänge unvergessliche Erlebnisse.
Alle kaledonischen Geschichten beginnen in Nouméa. Auch Segeltörns machen da keine Ausnahme. Sie starten meist im Hafen von Moselle Bay. Dort heisst es Leinen los und ab Richtung Lagune. Mit 23’400 Quadratkilometern ist sie die grösste Lagune der Welt. Umgeben von einem 1600 Kilometer langen Korallengürtel bildet sie Riffgebilde mit einer Gesamtfläche von über 8000 Quadratkilometern. Hinter diesen eindrucksvollen Rekordzahlen verbirgt sich eine so einzigartige und wertvolle Welt, dass sie in die UNESCO-Liste aufgenommen wurde. Man sollte auf dieser grossen türkisfarbenen Wasserfläche entsprechend viel Ehrfurcht und Vorsicht walten lassen, auch deshalb, weil viele der Korallengruppen heimtückisch bis dicht an die Wasseroberfläche reichen und schon manchen Bootsrumpf aufgerissen haben. Deutlich besser voraussehbar ist hingegen der Wind. Zu 80 Prozent der Zeit weht hier wie überall im Südpazifik ein kräftiger und beständiger tropischer Südostund Ostpassat. Schade ist eigentlich nur, dass die vor 75 Millionen Jahren vom Grosskontinent Gondwana abgetrennte Insel auf die Schnapsidee gekommen ist, sich in nordwestlicher bis südöstlicher Richtung zu platzieren, sodass keine andere Wahl bleibt, als vor dem Wind unter Spi zu segeln oder sich am Wind durchschütteln zu lassen.
Im Land der Stockmen
Unter einem stahlblauen Himmel geht die Fahrt der Westküste entlang gen Norden. Tropikvögel sorgen mit ihrer Luftakrobatik für schwindelerregende Unterhaltung. Die Küstensavanne besteht aus einer Ansammlung zerfledderter Bäume. Mit ihren krummen Stämmen und der zerfetzten Rinde sehen Myrtenheiden aus wie Landstreicher. Ihre unzähligen Rindenschichten retten sie vor den Flammen. Sie gehen auch aus den schlimmsten Feuergluten nur leicht geschwärzt hervor. Da die anderen Pflanzenarten die vielen Brände nicht so unbeschadet überstehen wie diese Verwandten des Eukalyptus, gewinnen sie zunehmend an Boden. Mittlerweile bedecken sie fast fünfzig Prozent der Inselfläche. Grande Terre wird zu grossen Teilen von fahlgelben Buschlandschaften eingenommen. In den einsamen Weiten nehmen sogar die Rinder allmählich die flachsblonde Farbe des Grases an. Die Insel ist ein Land der Cowboys oder eher ihrer australischen Verwandten, den Stockmen. Auf jeden Fall ein Land der echten Kerle mit Stiefeln, Peitsche und Sporen – Typen, die man besser nur mit Samthandschuhen anfasst.
Schöne, feinsandige Strände mit um 45 Grad geneigten Kokospalmen findet man hier noch keine. Im Hintergrund bildet die bis zu 1628 Meter hohe Gebirgskette „Chaîne Centrale“ eine filmreife Kulisse. Sie durchzieht Grande Terre von Norden nach Süden und überrascht mit unzähligen grünen Bergkämmen und Felsspitzen, an denen muskulöse Wolkentrauben hängen bleiben. Während der trockene Westen auf einen wohltuenden Schauer wartet, ist die Luvküste dem Passat stärker ausgesetzt und deshalb auch deutlich regnerischer.
Verschwenderische Unterwasserwelt
Nördlich von Bourail, der Hauptstadt der neukaledonischen Viehzucht, klafft auf einer Länge von zwei Kilometern die unterseeische Poé- Spalte. Sie birgt ungeahnte Schätze und die Möglichkeit, etwas aufregendere Tiere zu erspähen als grasende Rinder. In der letzten Eiszeit vor 18’000 Jahren lag das Meer noch 130 Meter tiefer. Grande Terre machte sich breit und liess ihren Flüssen freien Lauf. Als sich das Klima erwärmte, wurde die weite Küstenebene überschwemmt und die Korallenbank von damals verwandelte sich in das Korallenriff, das heute die Lagune umgibt. Aus den Mündungen der früheren Wasserläufe sind Rinnen, die sogenannten „Passes“, entstanden. Sie verbinden die Lagune mit dem offenen Meer. Normalerweise ist der Wasserstand der Lagune gezeitenabhängig. Bei Ebbe dringt das Wasser durch die Passes ein, bei Ebbe fliesst es wieder ab. Nicht so in der Poé-Spalte. Durch eine kuriose Kombination von Winden und Strömungen schwappt der Ozean ständig über das Riff und strömt in permanentem Fluss durch die Spalte. Alles Schwimmende und Schwebende wird schonungslos aufs offene Meer hinausgetrieben. Die Haie kümmern sich um den Rest. Unerfahrene Taucher sollten die Finger von diesem faszinierenden Spülkasten lassen. Zwischen Algenbüscheln, die von gefrässigen Pa-pageienfischen beim Vorbeihuschen geschluckt werden, dringt der Taucher in die grüne Welt vor, lässt sich mit Adlerrochen treiben, schwebt über Riesenrochen, die so gross sind wie Picknicktische, wird mitten in einen Schwarm Gelbschwanz-Barrakudas geschleudert und strandet schliesslich glücklich und etwas benommen neben dösenden Leopardenhaien. Die grosse Show der Poé-Spalte geht mit dem Soloauftritt eines in den Playlisten noch fehlenden Gitarrenrochens zu Ende.
Schildkröteninvasion
Um die Gedanken nach diesem Unterwasserkino wieder etwas zu ordnen, bietet sich der „Plage de la Roche Percée“ bei Bourail an. Badegäste und Surfer sind aber nicht die einzigen, die diesen grossen Sandstrand schätzen. Kaum ist die Sonne am Horizont verschwunden, wird er an manchen Abenden von unechten Karettschildkröten in Beschlag genommen. Nach herzzerreissenden Strapazen schleppen sie sich an Land und legen ihre Eier in den Sand. Seit über zwölf Jahren setzen die Freiwilligen der Vereinigung Bwärä alles daran, die Schildkrötenart zu schützen. Die Panzertiere sind im gesamten südpazifischen Raum vom Aussterben bedroht und stehen unter internationalem Schutz. „Diese Strände in Neukaledonien sind die grössten Legeplätze der Unechten Karettschildkröten“, erklärt Hugo Bourgogne von der Vereinigung Bwärä. „Wir haben 86 Schildkröten gezählt, aber vor zehn Jahren waren es noch 500. Die Eier, die von anderen Schildkröten beim Graben ihres Loches wieder aufgedeckt wurden, wurden von den Frauen eingesammelt. Sie mussten sich nur bücken!“ Durch zwei Kontrollrunden pro Nacht, Aufforstungen entlang des Strandes und Aufklärungsarbeit bei den Einheimischen verbessern sich die Legebedingungen der Schildkröten allmählich. Nicht bei allen Kanaken stösst die Botschaft aber auf offene Ohren. Schon ihre Eltern und Grosseltern hielten sich am Strand auf und sie sehen in den Schutzmassnahmen nur eine Aktion, mit der sich die Weissen bereichern wollen.
Hailights
Der Katamaran ist wieder unterwegs Richtung Norden. Er kreuzt grosse Erzfrachter, die tonnenweise nickelhaltige Erde aufladen. Da das wertvolle Erz im Tagebau gewonnen wird, wurden mehrere Buchten durch einsickernde Flüssigkeiten und Partikel verseucht. Als Folge davon starben die Korallen ab. Die grosse „Passe de Kendec“ vor Koumac wurde hingegen verschont. Beim Tauchen gemeinsam mit David Lecornu, dem Chef des örtlichen Tauchclubs, offenbart sich ein aussergewöhnlich intaktes Riff mit einem Tierreichtum der seltenen Sorte. Entlang blühender Korallenflächen huschen purpurrote und orangene Fahnenbarsche hinund her und finster dreinblickende Zackenbarsche lassen sich die Ohren putzen. Gorgonien spucken Pygmäenseepferdchen aus, nur um sie kurz darauf wieder zu verschlucken. Zwischen zwei Füsilierbänken patrouilliert eine Truppe Thunfische. Am Shark Hole mündet ein mit Anthozoen tapezierter, im Licht der Taschenlampen rot leuchtender Tunnel nach 35 Metern direkt in einer Ansammlung nervös kreisender grauer Riffhaie. „In den zwölf Jahren, in denen ich in Koumac lebe, habe ich 17 verschiedene Haiarten gesehen: Tigerhaie, grosse Hammerhaie, Bullenhaie, Seidenhaie und sogar zweimal einen weissen Hai“, sagt David. Für diesen Haireichtum gibt es seiner Meinung nach eine plausible Erklärung: „Mit nur 17 Langleinenfischerbooten übt die Fischerei in Neukaledonien relativ wenig Druck aus.“ Um die kleinen Vogelinseln im Westen und Norden der Ausschliesslichen Wirtschaftszone (AWZ) – den Riffen Entrecasteaux, Bellona, Astroblabe und Pétrie sowie den Chesterfield Islands – tummeln sich sogar noch mehr Haie. Zwei Drittel der noch unerforschten Korallenriffe der Welt befinden sich hier. Schade nur, dass die kleinen, einsamen aber unglaublich verletzlichen Paradiese geplündert werden. Seit einigen Jahren durchpflügen skrupellose Vietnamesen den Meeresboden auf ihren berüchtigten Blue Boats und verursachen verheerende Schäden. Zwar sollte der 2014 eingerichtete Natural Park of the Coral Sea 1,3 Millionen Quadratkilometer rund um Grande Terre schützen, aber bisher existiert er nur auf dem Papier. Wirksamer Schutz sieht anders aus.
Kanaky, die Welt der Mythen
Um von einer Küste zur anderen zu gelangen, verläuft die Fahrt südlich der Belep-Inseln, wo sich die Gebirgskette noch ein letztes Mal aufbäumt, bevor sie zwischen dem blauen Wasser, der roten Erde und den grünen Arakaurien im Meer versinkt. Schon bald zeichnet sich die von unzähligen Kokospalmen gesäumte Insel Balabio am Horizont ab. Dort legte am 4. September 1774 der Seefahrer und Entdecker James Cook, der im Auftrag der Royal Society den Südkontinent finden sollte, mit seiner Resolution an. Schon am nächsten Morgen kam es unweit des Ufers in der Nähe von Balade, am Fuss der mit dichter Dschungelvegetation überwucherten Berge, zur ersten Begegnung zwischen Europäern und Kanaken. Cook, in seiner immensen Güte, schenkte Tea Booma, dem Chef der Region, zwei Hunde und einem anderen Chef zwei Schweine. Fast 250 Jahre später hat sich die Landschaft vermutlich nur unmerklich verändert, die Hunde und Schweine aber haben sich stark vermehrt. Der Wald ist noch immer sattgrün und fällt nach wie vor senkrecht zur Lagune ab. Hohe Baumfarne lassen das Blätterdach der immergrünen Arakaurien und der krummen Tamanus wie ein Überbleibsel aus der Jurazeit wirken. Hier befindet sich die Hochburg von Kanaky, einem kleinen, zwischen den steilen Bergflanken und den Brandungswellen des Riffs eingeklemmten Stück Melanesiens, in dem Mythen ein dickes Fell haben. Echsen herrschen über die Jamswurzeln, Geckos über den Taro, die Banyan-Feige ist das Tor zwischen der Welt der Lebenden und der Toten und der Hai die Verkörperung eines wohlwollenden Vorfahren. Aber das ist eine andere Geschichte.
REISE-INFOS
Anreise
Mit Air France und Air Calin mit Zwischenstopp in Tokio oder Osaka, ab 1099 €, airfrance.fr
Klima
Beste Zeit für einen Törn in Neukaledonien sind die Monate September bis November. Dann weht in der Regel der Südostpassat und sorgt für angenehmes Segeln. Von Dezember bis März können
Wirbelstürme die Region heimsuchen, besonders gross ist die Gefahr im März. Von Juni bis August ist es relativ frisch. Zum Tauchen eignen sich die Monate Oktober bis Januar.
Segeln
Für massgeschneiderte Reisen und/oder Törns: my Charter, info@mycharter.ch, mycharter.ch oder SailPro, alain@sailpro.ch, sailpro.ch
In Neukaledonien gibt es sozusagen keine Infrastrukturen fürFahrtensegler. Die Schifffahrtswege sind aber gut betonnt, die Wetterdienste MRCC Nouméa und Météo France Nouvelle Calédonie
zuverlässig und auch Seerettungsdienste sind vorhanden. Die Seekarten sind sogar in den abgelegensten Gebieten sehr präzis.
Tauchen
Rêve Bleu Calédonie: Tauchen in den „Passes“ im Norden auf der Höhe von Koumac Tel.: + 687 97 83 12, revebleucaledonie.com
Bourail Aqua Diving: Tauchen an unterschiedlichen Spots wie der Poé-Spalte, einem vom Meer überfluteten ehemaligen Flussbett, im offenen Meer oder vor der Steilwand Grand Coude de Kélé
Tel.: + 687 780 888, bourail-aqua-diving.com