Gipfelstürmen in den norwegischen Fjorden
Unser 100 Jahre altes Segelschiff Ainmara brachte uns tief in die Fjorde der Region Bergen im Westen Norwegens. Die teils anspruchsvolle Navigation lässt sich bestens mit Hochgebirgswanderungen kombinieren.
Text und Fotos : Marie Vuilleumier
Unser nordisches Abenteuer beginnt mit einem Schneesturm. Eingehüllt in eine dichte weisse Wolke umschiffen wird Lindesnes, das südlichste Kap Norwegens. Das launische Wetter Anfang April lässt uns nicht ganz so schnell vorankommen wie geplant, es hellt dann aber weiter nördlich vor Bergen auf. Jetzt können wir endlich ein paar Kleiderschichten ablegen, die Kapuze gegen eine einfache Kappe tauschen und uns mit einem Paar Socken begnügen. Auch das Steuern in unserem offenen Cockpit ist angenehmer, sodass wir längere Strecken bewältigen können.
Wir sind zurück in einer Gezeitenzone, von denen es in der Ostsee nur wenige gibt. Besonders eindrücklich zeigt sich die Veränderung bei unserem ersten Liegeplatz auf dem Weg nach Bergen. Wir legen in einer wunderschönen Bucht der Insel Lysøen auf «skandinavische Art» an, das heisst, wir werfen den Anker achtern aus und bringen den Bug so nahe an den Fels, dass wir an Land springen und das Boot an einem Baumstamm festmachen kön[1]nen. Auf den schwedischen und norwegischen Inseln, auf denen die Klippen oft steil zum Meer abfallen, funktioniert diese Technik sehr gut. Wir achten darauf, den Leinen genügend Durchhang zu geben, denn der Wasserstand soll sich um etwa einen Meter verändern. Da aber praktisch Ebbe herrscht, verlassen wir das Schiff bedenkenlos für eine Wanderung durch den naheliegenden Märchenwald. Bei unserer Rückkehr erwartet uns ein eindrückliches Bild. Das Meer hat sich vollkommen von den Kieseln unter dem Bug zurückgezogen und es ist ein Kinderspiel, auf den Bugspriet zu klettern. Zum Glück sind die Taue lang genug, sodass das Boot der Tidenbewegung folgen kann.
Unberechenbare Strömungen
Wo Gezeiten sind, gibt es auch Strömungen. Ein paar Informationen findet man auf den Websites der norwegischen Wetterdienste, sie stimmen aber nicht immer. Man sollte ihnen auf keinen Fall blind vertrauen. Wir merken bald, dass die Strömungen in den Fjorden sowohl von den Gezeiten als auch von der Tiefe, dem Wind, den Verbindungen zu den anderen Fjorden und von den in die Meeresarme mündenden Bächen beeinflusst werden und richten uns daher stets auf einen Strom bis zwei Knoten gegenan ein, vor allem in den schmalsten Passagen.
Die von uns befahrenen Fjorde sind bis zu 800 Meter tief, es gibt auf den vielen kleinen Inseln aber unzählige Ankermöglichkeiten. Wir entscheiden uns für eine hübsche Bucht südlich von Lerøyna und ziehen dabei unser Dinghi wie die einheimischen Segler hinter dem Boot her. Nachdem der Buganker auf Grund liegt, lege ich den Rückwärtsgang ein, um zu kontrollieren, ob er hält. Ehe ich mich versehe, ist das Dinghi gesunken und der Motor abgestorben. Die Leine, mit der wir das Beiboot befestigt haben, ist zu lang und hat sich in der Schraube verheddert. Mir bleibt nichts anderes übrig, als in meinen Taucheranzug zu schlüpfen und ins 10 Grad kalte Wasser zu springen. Eine halbe Stunde reisse, drehe und schneide ich, dann liegt der Propeller endlich frei. Erleichtert stelle ich fest, dass ich trotz meines Missgeschicks keinen Schaden angerichtet habe.
Vom Hafen in die Berge
Wir machen uns auf zu unserem spektakulärsten Erlebnis, dem Hardangerfjord. Auf dem schier endlosen Meeresarm haben wir das Gefühl, durch die Berge zu schippern. In Rosendal legen wir einen Stopp ein und ziehen unsere Wanderschuhe an. Vom Hafen steigen wir 1500 Meter in die Höhe und bestaunen dort oben den Schnee über dem Fjord. Die Aussicht ist atemberaubend.
Fasziniert von der fantastischen Landschaft beschliessen wir, bis nach Sundal weiterzuziehen und dort eine zweitägige Wanderung zum Folgefonna-Gletscher zu unternehmen. Wir hissen die Segel, aber der Wind ändert in jedem Seitenarm Richtung und Stärke. Innerhalb einer halben Stunde wechselt er von 5 Knoten Süd auf 20 Knoten Nordwest, weshalb wir die Segel mehrmals reffen und streichen müssen. Schliesslich lassen wir nur das Fockund das Besansegel oben, damit wir schnell auf die unberechenbaren Winde reagieren können. Kaum haben wir festgemacht, packen wir unsere Schneeschuhe und Stöcke in den Wanderrucksack – auf dem Gipfel liegt Ende April noch Schnee – und ziehen bei strahlendem Sonnenschein los Richtung Berge. Dort oben übernachten wir in einer entzückenden Selbstversorger-Berghütte und bewundern stundenlang die schneebedeckten Gipfel, die blau schimmernden Gletscherkämme und die endlosen Fjorde.
Einheimische Segler haben uns einen Besuch in Botnen ans Herz gelegt. Der reizvolle Weiler liegt am Ende eines schmalen Fjords, in einem Tal mit unzähligen Bächen und Wasserfällen. Ein Wanderweg führt zu einer Hütte, die einen einzigartigen Blick auf den Fjord freigibt. Der Abstieg durch den Frühlingsschnee wird zur Rutschpartie. Nach mehreren Stunden erreichen wir nass bis auf die Knochen, aber überglücklich das Boot. Schon am nächsten Tag setzen wir unsere Reise fort. Unser nächstes Ziel sind die schottischen Shetland-Inseln. Wir verlassen den grossartigen Hardangerfjord nur ungern und können unsere Augen kaum von den hohen Bergen und dem türkisfarbenen Wasser lösen.
Ainmara ist eine Yawl aus Holz, die 1912 in Dublin von J.B. Kearney gebaut wurde. Wir haben sie 2018 der nordirischen Segelkoryphäe Dickie Gomes abgekauft, der sie über 50 Jahre liebevoll gepflegt hatte. Letztes Jahr haben wir die Schweiz verlassen und uns für unbestimmte Zeit auf der Ainmara häuslich eingerichtet. Wir wollten uns genügend Zeit lassen, um das Boot richtig zu warten, mit dem Wind zu segeln und unbekannte Orte zu besuchen. Bisher hat uns unsere Reise von Belgien durch Holland und Deutschland bis hin zur Ostsee geführt. Wir haben auf vielen schwedischen Inseln Halt gemacht und dann im Süden Norwegens einen Winterstopp eingelegt. Als nächstes stehen Schottland, Irland, England und Frankreich auf dem Programm.