Fotos | Bertrand Duquenne
„Tahiti Pearl Regatta, die wichtigste Regatta der pazifischen Inseln“. Dieser exotisch angehauchte Werbespruch verfehlt seine Wirkung nicht. Der Köder war zu verlockend, ich musste einfach anbeissen.
Wenige Sekunden vor dem Startschuss schiesst mir das Adrenalin ins Blut. Voller Vorfreude geniesse ich den Nervenkitzel. In der drückenden Hitze spiegeln sich die verschiedenen Grüntöne eines steilen Berges im tranceartigen Blau der Lagune, während die Wellen des Pazifiks unablässig mit brachialer Gewalt gegen das Korallenriff prallen. Trotz der Hektik des Augenblicks gratuliere ich mir, dass ich dem Sirenengesang nachgegeben habe. Manche Träume und Projekte entstehen aus dem Nichts, aus einem Zufall und manchmal sogar aus einem simplen Werbeslogan heraus. Einem Spruch zu widerstehen, der so verführerische tropische Versprechungen macht, ist ein Ding der Unmöglichkeit.
Die Tahiti Pearl Regatta, TPR für die Eingeweihten, verwöhnt die Teilnehmer seit nunmehr dreizehn Ausgaben mit einer ideal dosierten Mischung aus In- und Offshore-Regatten. Die Organisatoren würzen das Erlebnis mit polynesischen Abendveranstaltungen an bezaubernden Ankerplätzen in einem der Archipele, die auf der Beliebtheitsskala der Fahrtensegler ganz weit oben stehen. Der Gründer- und Veranstalterverein Raiatea Regatta vollbringt das Kunststück, das gesamte Regattadorf jeden Tag von einer Riffinsel, den sogenannten Motu, zur nächsten zu verschieben. Jede Etappe führt über einen neuen Kurs und hält neue Eindrücke bereit. Obwohl das Teilnehmerfeld mit 35 Booten relativ bescheiden ist (Europäer müssen immerhin um die halbe Welt reisen und 19 lange Flugstunden auf sich nehmen), sind die vier Regattatage sowohl auf dem Wasser als auch an Land ein intensives Erlebnis.
Von der Kunst, sich an Bord einzuladen
Eine Mitfahrgelegenheit zu finden, ist nur eine Formalität, die traditionelle Ungezwungenheit Polynesiens scheint auf die Teilnehmer abzufärben. Ich muss nicht einmal verhandeln und auch nicht warten, dass ich den Richtigen erwische. Es klappt schon beim ersten Versuch. Ein freundlicher Morgengruss an den noch etwas verschlafenen Skipper im Cockpit seiner Oceanis 440 und schon lädt er mich zu einem Tee ein und bietet mir an, mit ihm und seinem Team die TPR zu segeln. Wenig später klettern sieben Besatzungsmitglieder aus ihren Kojen und gesellen sich zu uns. Mein Schanghaien wird kommentarlos zur Kenntnis genommen. Ab jetzt gehöre ich zum Team.
Das Kommando über die fröhliche Truppe führt der Bootseigner Hervé Roncin. Er leitet eine Firma, die Prothesen herstellt und medizinisches Material vertreibt, weshalb seine Jacht auch in den Farben von Pacific Ortho segelt. Roncin lebt seit über 20 Jahren in Tahiti. Bis vor Kurzem wohnte er mit Frau, Kindern und Hund noch das ganze Jahr auf seiner komfortablen Oceanis Gavr’Inis. Sie ist eine bravere Version der First 45 mit reduzierter Segelfläche, kürzerem Kiel und unzähligen praktischen Ausstattungselementen. Als Regattasegler mache ich mir doch etwas Sorgen. Ich befürchte, dass wir gegen die Speed Feet 18, Pogos und A40 keine Chance haben.
Hervé ist jedoch ein begnadeter Bastler und kennt sein Boot in- und auswendig. Er hat auch schon aus einem Stück Mast einen neuen Baum gezimmert und aus Blech einen Lümmelbeschlag gezaubert. Mein vorschnelles Urteil tut er mit einem Kopfschütteln ab. Ohne sich wichtig zu machen, gibt Hervé den Tarif durch: Er will die Gesamtwertung auch dieses Jahr gewinnen. Ich hätte es schlechter treffen können!
Ein Revier wie ein Traum
Die Königsetappe sind ganz klar die 26 Seemeilen von Bora Bora nach Taha’a. Sie sollen zum Höhepunkt meiner Reise werden. Doch der Start ist eine einzige Katastrophe. In der allgemeinen Hektik machen wir vieles falsch und patzen bei den Manövern. Zudem klemmt die Rollleine. Unser speziell für die TPR zusammengestelltes Team aus heimischen Regatteuren bringt die ersten Seemeilen mehr schlecht als recht hinter sich. Der Start ist gelinde gesagt mittelmässig – kein Wunder, bei dem Rumgewurschtel. Wir sind zu weit leewärts abgedriftet, sodass die Gavr’inis nicht genug Tempo aufnehmen konnte und deshalb stehen wir kurz davor, die Segel zu streichen. Aber wir reissen uns zusammen.
Zeit, die legendäre Schönheit der Lagune von Bora Bora, den imposanten Schattenriss des steil abfallenden Mont Otemanu und das Farbenspiel der Untiefen über den Korallenriffen zu bewundern, bleibt sozusagen keine. Fast maschinell durchqueren wir den Kanal unter Spi und setzen zur Aufholjagd an. Unsere Oceanis fährt, den Spibaum bis zum Vorstag ausgefiert, so nahe wie möglich dem Korallenriff des Atolls entlang und macht immer mehr Boden gut. Jetzt zeigen auch die Mundwinkel der Besatzung wieder nach oben.
Kaum haben wir Bora Bora hinter uns gebracht, verweigert sich der Wind. In den langen, chaotischen Wellen weicht die bunte Spi-Wand den schlichten Genuas. Auf der Gavr’inis machen sich neun der brennenden Sonne ausgesetzte Paar Beine bereit, auf einem sehr langen Amwindkurs über Bord zu baumeln. Beim Ausreiten wird viel diskutiert und rumgealbert, was sich unweigerlich auf die Konzentration auswirkt.
Wortlos und unbeirrt zieht Hervé am Steuer sein Ding durch. Er ist ein etwas eigenbrötlerischer tropischer Kauz. Obwohl er sich zurückhaltend gibt, weiss er genau, was er will. Bei der Anfahrt auf Taha’a werden wir aus der Lethargie gerissen. Es wird zur allgemeinen Mobilisierung geblasen. Wachgerüttelt besprechen wir die beste Taktik. Anlegen auf den polynesischen Inseln ist eine Augenweide, verlangt aber viel Fingerspitzengefühl. Sollen wir direkten Kurs auf das Korallenriff nehmen, obwohl das Risiko besteht, dass der ablandige Wind durch die Gipfel abgeschwächt wird? Oder sollen wir besser einen grösseren Bogen machen und den Druck in den Segeln suchen? Aber was dann mit den Untiefen zwischen Taha’a und Raiatea? Und den Kanal, sollen wir ihn frontal oder lay-line ansteuern oder möglichst lange dem Rand des Korallenriffs folgen? Die Wahl hängt teilweise von den Gezeiten und vom Wellengang ab, der in den letzten Tagen vor der Lagune geherrscht hat. Eine echte Knacknuss!
Es wird lautstark verhandelt und wild gestikuliert, jeder hat seine feste Überzeugung. Doch schliesslich können wir uns doch auf eine Vorgehensweise einigen. Wir rechnen mit einer schwachen Strömung und wollen deshalb den Wind suchen. Ob wir richtig liegen, werden wir so oder so bald wissen.
Kaum haben wir den Kanal hinter uns, quert die A40 die Ziellinie als Erste. Zuvor schien jede Sekunde eine Ewigkeit zu dauern. Wir haben auf dem spiegelglatten Meer immer mehr Tempo zugelegt und auf der letzten halben Seemeile hat sich die Besatzung regelrecht an die Schoten geklammert. Bei der Zieleinfahrt bricht an Bord schliesslich grosse Freude aus. In der Rating-Wertung erreichen wir den ehrenwerten zweiten Platz in unserer Kategorie.
Verführung pur
Der wunderbare Segel- und Regattatag endet mit einem festlichen Abend auf einem Motu, inmitten von Kokospalmen. Er sollte zum absoluten Höhepunkt unseres tahitischen Traums werden. Vahiné schwingen zu Ukuleleklängen und Trommelschlägen ihre Hüften und Feuerspucker entflammen die Nacht. Mit Blumenketten um den Hals und einer Tiareblüte hinterm Ohr gehen die Teammitglieder von Bord und feiern ausgelassen mit.
Drei Tage lang lässt sich die Flotte der TPR von diesem unwiderstehlichen Rhythmus mitziehen. Manchen bekommen die endlosen, feuchtfröhlichen und oft durchgefeierten Nächte besser, anderen weniger gut. Trotzdem wird tagsüber gesegelt. Hart umkämpfte Duelle auf dem Wasser, laszive tahitische Tänze, bleierne Hitze, paradiesische Lagunen, taktische Scharmützel, Berglandschaften mitten im Ozean, lächelnde Einheimische, Glück und Pech bescheren uns ein an Intensität nur schwer zu überbietendes Erlebnis. Ich geniesse rückhaltlos und beglückwünsche mich immer wieder von Neuem, dass ich mich für eine Teilnahme an der TPR entschieden habe.
Die schönste Überraschung hält das Regattaprogramm mit der Taha’a- Tour innerhalb der Lagune bereit. Der Rundkurs entpuppt sich als hochsportliche, höllisch schwierige Aufgabe. Unter Spi rauschen wir die Lagune hinunter. Die windstarke Rückfahrt bewältigen wir weit über die Kante gelehnt. Ablandiger- und auflandiger Wind, die Betonnung und die hinterhältig verstreuten Korallen machen die Navigation zu einer komplizierten Angelegenheit. Die Kulisse aber ist fantastisch. Backbord erstreckt sich ein Korallenriff, über dem die sich brechenden Wellen einen weissen Schaum hinterlassen. Dahinter liegen wie auf einer Perlenschnur aufgereiht mehrere Motu. Auf ihnen stehen die auf Pfählen errichteten Hütten der Hotels für Robinson-Imitatoren mit Luxusansprüchen. An Steuerbord ragen unzählige, wie mit der Axt geformte Gipfel einer imposanten, grünen Insel in den Himmel. Auf ihre Hängen werfen die vorbeiziehenden Wolken dunkle Schatten. Am Fuss der Berge sind einige wenige Siedlungen mit kleinen, an ihren orangefarbenen und anisgrünen Dächern erkennbare Hütten auszumachen. Sie wirken verschlafen wie ein endloser Sonntag. In den Buchten dümpeln vereinzelt ein paar Poti Marara. Die Verlockung, sich zu diesen typischen Fischerbooten zu gesellen und sich vom sanften Rhythmus des tahitischen Lebens treiben zu lassen, ist gross.
Segeltechnisch ist unsere Leistung alles andere als perfekt. Aber trotz zuweilen heillosem Durcheinander, groben Schnitzern und falschen Positionierungen schaffen wir es immer aufs Podest und sichern uns den dritten Schlussrang. Der Sieg muss warten. Vielleicht ist es schon nächstes Jahr soweit. Die Gavr’inis aber wird verkauft und gegen den 3/4-Tonner Illusion, der 1998 das Sydney-Hobart Race gewonnen hat, ausgetauscht.
Viel wichtiger als das Ergebnis ist jedoch die Erfahrung. Und die ist schlicht einzigartig. Mit der Zeit wird die Erinnerung an alles Überflüssige verblassen. Zurück bleibt nur noch das Wesentliche, eine wunderbare, idealisierte Wahrheit. In vierzig Jahren werden wir am Kaminfeuer sitzen und unsere Kinder und Enkelkinder fragen: „Habe ich euch schon von meinem souveränen Sieg in Bora Bora erzählt?“
PRAKTISCHE INFOS
Die TPR findet jedes Jahr Anfang Mai statt. Nähere Infos unter tahitipearlregatta.org.pf
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[column size=“third“ last=“no“]Anreise
Air France und Air Tahiti Nui bieten Direktflüge von Paris nach Papeete an. Air Tahiti fliegt von Papeete auf die Leeward Islands.
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[column size=“third“ last=“no“]Charter
Bei Tahiti Yacht Charter (tahitiyachtcharter.com), Moorings (moorings.de) und Sunsail (sunsail.de) können für die Teilnahme an der TPR Ein- und Mehrrümpfer gemietet werden.
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[column size=“third“ last=“yes“]Reise
My Charter :
Oder Sailprosail
- sailpro.ch
- alain@sailpro.ch[/column][/columns]